Berichte

Making History

Ein etwas anderer Historikertag – München 10.-12. 10. 2003

Dezember 2003

Für die meisten Linken, sei es nun im politischen Feld oder im wissenschaftlichen, ist München selten ein zentraler Ort für bundesweite Vernetzungstreffen gewesen. Die vom Arbeitskreis Kritische Geschichte (www.kritische-ge-schichte.de) mit Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung (www.rosa-lux.de) und zahlreicher anderer Institutionen und Gruppen organisierte Tagung „Making History. Positionen und Perspektiven kritischer Geschichtswissenschaft“ vom 10.-12. Oktober 2003 fand nun aber im Historicum der Universität München statt, dessen Ausstattung vielen TeilnehmerInnen aus Nord- und Ostdeutschland beneidenswert erschien.

Der Anlage und Entstehung der Tagung entsprechend, die aus einem Netzwerk von Promovierenden und Studierenden und einem offen angelegten „Call for papers“ erwuchs, ist positiv die thematische Breite und Vielfalt hervorzuheben. Dem gegenüber sind die Mängel, so etwa das weitgehende Fehlen aktueller geschichtspolitischer Debatten im Programm (der Workshop zu „Dokumentation und Aktion – Möglichkeiten geschichtspolitischer Intervention am Beispiel der Traditionspflege deutscher Gebirgsjäger“ einmal ausgenommen) und die wenig ausgeprägte europäische Dimension der Tagung in den Diskussionsverläufen und ihrer personellen Zusammensetzung bei einer offen angelegten Netzwerktagung kaum zu vermeiden und nur ein Ansporn, in der weiteren Arbeit des Netzwerks diese Defizite zu bearbeiten. Dabei waren die behandelten Themen durchaus international, wie Beiträge zur „globalen Revolution“ (mit Beispielen aus der Migrationsgeschichte und -debatte, zu „wilden Streiks“ in der Bundesrepublik und operaistisch beeinflussten Strömungen in Mexiko), zur „Re-Education“ deutscher Kriegsgefangener und zur Rolle radikaler HistorikerInnen und SozialwissenschaftlerInnen im Südafrika der siebziger und achtziger Jahre dokumentieren. Nicht zuletzt auch das die Tagung eröffnende Gespräch „Politik und Geschichte“ mit Richard Evans (Cambridge) und Marcel van der Linden (Amsterdam), in dem u.a. der „Geschichtsboom“ in angelsächsischen Ländern und die Intensivierung einer Geschichtsschreibung der Arbeit in Asien, Afrika und Lateinamerika konstatiert wurden, verdeutlichten den internationalen Charakter der Tagung. Der Austausch in den Debatten konzentrierte sich aber zumeist auf Sichtweisen, wie sie Linke in Deutschland kennzeichnen. Manche Debatte, so etwa der antinationale Diskurs oder die Auseinandersetzung mit den geschichtspolitischen Themen von Flucht und Vertreibung, Bombenkrieg usw. würde vermutlich gewinnen, wenn sie andere europäische linke Debatten und ihre Akteure stärker einbeziehen würde. Klar wurde auch, dass linke Geschichtspolitik den akademischen wie auch den linken Elfenbeinturm verlassen muss.

Auch für Deutschland kann durchaus von einem Geschichtsboom gesprochen werden, insbesondere in Fernsehen und Zeitungen. In gewisser Weise hat Geschichte als Fach andere Sozial- und Geisteswissenschaften in der öffentlichen Wahrnehmung weit hinter sich gelassen. Dem steht aber kein Bedeutungsgewinn der Geschichtswissenschaft im Verteilungskampf der akademischen Welt gegenüber, und auch historisch orientierte Projekte außerhalb der Universitäten erleben einen drastischen Rückgang ihrer Förderung. Womit sich nicht nur die leidige Geld- und Jobfrage für HistorikerInnen weiterhin und zunehmend drängend stellt, was in der weiteren Arbeit des Netzwerkes ein Thema werden sollte, sondern auch emanzipatorisch angelegte Sichtweisen auf Geschichte in Nischen abgedrängt werden und dort auf absehbare Zeit verbleiben werden.

Die TeilnehmerInnen der Tagung in München repräsentierten ganz unterschiedliche linke und kritische Zugänge zu Politik und Geschichte. Heterogene marxistische Positionen und Bezugnahmen auf die kritische Theorie waren stark vertreten, aber erfreulicher Weise fanden andere Blickweisen ebenfalls ihren Platz. Das Fehlen einer verbindlichen theoretischen Festlegung dürfte von den meisten TeilnehmerInnen eher als Freiraum denn als Mangel verstanden worden sein.

Die Frage nach der Verstrickung von ArbeiterInnen in den Nationalsozialismus und, weiter gefasst, der Arbeiterbewegung in Nationalismus und Rassismus, wurde nur in einem Workshop („Arbeitergeschichte und Nationalsozialismus“) zentral behandelt, tauchte aber in verschiedenen Debatten immer wieder auf. Ein altes, für ein sich herrschaftskritisch und positiv auf emanzipatorische soziale Bewegungen beziehendes Netzwerk von HistorikerInnen aber wichtiges Thema, in dem eine Balance zwischen modischer Kritik an der alten Arbeiterbewegung, auch aus antinationalen, antirassistischen und linksradikalen Strömungen, und einer Verteidigung der Arbeiterbewegung sowie einer traditionell marxistischen Faschismusdefinition mit Erklärungsdefiziten hinsichtlich der Shoa ständig neu gesucht werden muss.

Auf der Ebene der Erkenntnistheorie haben sich durch den Impuls der postmodernen Theorien Konfliktlinien verschoben, denen sich eine kritische Geschichtswissenschaften stellen muss. Während die 68er Generation gegen den schein-neutralen Objektivismus kämpfte, geht es heute gegen einen losgelassenen Subjektivismus. Wolfgang Fritz Haug bot Anknüpfungspunkte für eine Theoriearbeit, die sich den Zusammenhang von „Objektivität und Parteilichkeit“ neu erarbeiten will.

Auf Defizite ganz anderer Art, solche sich radikal verstehender linker Strömungen und Bewegungen in der Bundesrepublik seit den siebziger Jahren, verwies der Workshop „Geschichte/slosigkeit und neue soziale Bewegungen“ und traf damit einen offenbar großen Bedarf vieler AktivistInnen dieser Strömungen und Bewegungen.

„Making History“ hat kein theoretisches Programm und keine politische Handlungsanleitung für linke Geschichtsarbeit hervorgebracht, und das ist gut so. Die Tagung des Arbeitskreises Kritische Geschichte hat aber ihre Hauptfunktion erfüllt, nämlich sich plural verstehende linke Akteure aus dem wissenschaftsnahen wie außeruniversitären Bereich, die eine herrschaftskritische Sicht auf Geschichte verbindet, zusammen zu bringen. Eine Fortführung mit weiteren Workshops und Tagungen, Mailinglisten und gegenseitigen Informationen, ist sinnvoll und realistisch. Indem „Making History“ ein Forum für den Austausch herrschaftskritischer Historikerinnen und Historiker und einen Einstieg in ihre Vernetzung geboten hat, erfüllte die Tagung mit ihrem knappen Budget, bei aller denkbaren Kritik an vielen Einzelaspekten, ihren Zweck. Kann gleiches von jeder Tagung behauptet werden? Auf einen im Sommer 2004 in Bremen geplanten Workshop kann man/frau sich jedenfalls freuen.