Berichte

Gewerkschaftspolitik jenseits von Standort- und Wettbewerbsorientierung

6. bundesweites Treffen der Gewerkschaftslinken, 14.-15. Januar 2005 in Stuttgart

März 2005

„Die Bilanz des Jahres 2004 ist für uns klassenbewusste Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen durchwachsen“ – so der Grundtenor der Einschätzung der Veranstalter des mit über 250 TeilnehmerInnen gut besuchten Treffens der bundesweiten „Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken“ Mitte Januar 2005.

Zu Beginn der Tagung wurde bedauert, dass es nach dem Aktionstag vom 3. April keine Konzeption für einen koordinierten Widerstand gegeben habe. Durch das „Arbeitnehmerbegehren“ sei die Dynamik abgeflacht. Dagegen wäre ein Bündnis mit sozialen Bewegungen der richtige Weg gewesen. Die Folgen der Angriffe der Kapitalseite seien verheerend; Verschlechterungen von Lohn- und Arbeitszeitstandards wirkten sich auch auf das Bewusstsein der abhängig Beschäftigten aus. Die Funktion der Linken bestehe darin, auf das „Versagen der Gewerkschaften“ aufmerksam zu machen.

Elemente einer anderen Gewerkschaftspolitik sind für Bernd Riexinger (verdi Stuttgart):

- Überbetriebliche Gegenwehr gegen Angriffe auf die Tarifverträge;

- Widerstand gegen Sozialabbau und Verbindung mit den tariflichen und betrieblichen Fragen und damit Politisierung der Gewerkschaften auf jeder Ebene;

- Internationalisierung der Gewerkschaftspolitik;

- Zusammenarbeit und Vernetzung mit anderen Gruppen (Erwerbslose, GlobalisierungskritikerInnen, MigrantInnen).

Heiner Köhnen von TIE (Transnational Informations Exchange), einem internationalen Netzwerk von GewerkschaftsaktivistInnen, referierte über die Gründe für den Niedergang der amerikanischen Automobilarbeitergewerkschaft. Die Konzessionspolitik der UAW in den 80er und 90er Jahren führte nach Köhnen zu einem Niedergang auf breiter Front. Demgegenüber entstand in Kanada aus Enttäuschung über die sozialdemokratische Regierung mit der CAW eine neue Gewerkschaft, die bis Ende der 90er Jahre kampffähig blieb. Der CAW gelang dies mit „movement unionism“ und einer „Kultur des Widerstands“. Demokratie und Selbstbestimmung gehörten zum Selbstverständnis der CAW. Es gab eine starke Betonung des Zusammenhangs zwischen Politik und Ökonomie, was sich auch in der erfolgreichen Bildungsarbeit widerspiegelte. Allerdings schaffte es auch die CAW auf Dauer nicht, dieses Selbstverständnis aufrecht zu erhalten. In der Diskussion ging es auch um die Übertragbarkeit solcher Erfahrungen auf die Bundesrepublik.

Werner Sauerborn (verdi Baden-Württemberg) sprach über „Gewerkschaften in der Globalisierungsfalle“. Entscheidend, so Sauerborn, sei die Entwicklung „von der formellen zur reellen Subsumption“, also von der historischen Entwicklung des Kapitalismus bis zur Durchdringung aller Lebensbereiche mit der Ware-Geld-Beziehung („Kommodifizierung“). Die Ideologie des Neoliberalismus sei als Ausdruck ökonomischer Verhältnisse zu begreifen. Nicht die Etablierung der transnationalen Regulation, sondern die jeweils nationale Optimierung der länderspezifischen Ausgangslage für den neuen globalen Wettbewerb sei die Leitlinie. Sie habe sich durch „homogene Meinungsmache“ („pensée unique“) auf allen Feldern der Tarifpolitik etabliert. Von den Gewerkschaften verlange die neoliberale Herausforderung einen permanenten und hohen Grad an Mobilisierung sowie die Repolitisierung der gewerkschaftlichen Arbeit in den Betrieben und Dienststellen, die im Regulationsmodell des Rheinischen Kapitalismus als „politikfreie Zonen“ akzeptiert waren. Während sich das Kapital aus seiner nationalen Befangenheit befreit habe, agierten Gewerkschaften immer noch national. Dadurch gerieten insbesondere Betriebsräte in ein strategisches Dilemma (Standortsicherung vs. transnationale gewerkschaftliche Kooperation). Wer die Krise der Gewerkschaften erfassen wolle, müsse das Auseinanderklaffen von mikro- und makroökonomischer Rationalität, das das Dilemma der Betriebsräte charakterisiere, als ein wesentliches Moment ihrer Handlungsbedingungen analysieren. Statt eine Perspektive für multinationale Branchengewerkschaften zu entwickeln, reagierten die Gewerkschaften mit dem Modell der nationalen Multibranchengewerkschaft.

Drei Vertreter von Hafen Hamburg, DaimlerChrysler und Opel Bochum berichteten über ihre Erfahrungen in den jüngsten betrieblichen Kämpfen. Die Kolleginnen und Kollegen von Hafen Hamburg waren erfolgreich im Kampf gegen die EU-Richtlinie „port package“.1 Dieses Ergebnis ermutigte die anderen, die im letzten Jahr nicht so viele Erfolge erzielen konnten.

Danach ging es um die Frage der Vernetzung der Gewerkschaftslinken. Jakob Schäfer (Forum Gewerkschaftliche Gegenmacht, Wiesbaden) prognostizierte eine substanzielle Schwächung der Gewerkschaften, die die Niederlage der IG Metall 2003 (Streik-Niederlage in Ostdeutschland) noch weit in den Schatten stellen werde, wenn es nicht gelinge, die gewerkschaftspolitische Erstarrung aufzubrechen. Um aus der Defensive herauszukommen, müssten die Gewerkschaften einen Weg nach vorne weisen und sich an die Spitze der Proteste stellen; sie müssten Konfliktbereitschaft und Durchsetzungswillen demonstrieren und Regierung und SPD nicht mehr schonen. Schäfer benannte zwei wesentliche Herausforderungen für die Gewerkschaftslinke: Arbeitszeitverkürzung und Mindestlohn. Dabei müsse sich die Gewerkschaftslinke besser strukturieren und für all diejenigen offen sein, die an einer gewerkschaftlichen Gegenmachtpolitik interessiert sind. Von Bochum aus sollte die Initiative zu einer besseren Vernetzung unter den Belegschaften der Opel-Standorte ergriffen werden. Nur wenn es gelänge, das Druckmittel Streik noch einzusetzen, so lange von Bochum aus verschiedene Werke in Europa getroffen werden könnten, könne man damit etwas erreichen.

In der Diskussion ging es vor allem darum, inwiefern sich Gewerkschaftslinke innerhalb von Gewerkschaften engagieren sollten oder ob es besser sei, die Kräfte außerhalb der Gewerkschaften zu bündeln. Viele Kolleginnen und Kollegen berichteten aber einfach nur von ihren Erfahrungen im letzten Jahr und äußerten das Bedürfnis, sich zu vernetzen und zusammenzuschließen.

Anschließend wurden drei Arbeitsgruppen angeboten: Ein Vertreter der verdi-Linken berichtete über die Tarifrunde im öffentlichen Dienst; Kirsten Huckenbeck (express) referierte über Standortsicherung; die dritte Arbeitsgruppe beschäftigte sich mit „Neuen Arbeitskampfformen“ (Mag Wompel, Labournet). Aufgrund der straffen Zeiteinteilung blieb wenig Zeit zu Diskussion und Austausch der Arbeitsgruppenergebnisse.

Insgesamt waren die Veranstalter mit der Tagung sehr zufrieden. Um den Gedanken der Vernetzung noch stärker zu unterstützen, soll in diesem Jahr ein zweites Treffen stattfinden.

Aus Sicht der Berichterstatterin müsste sich die Gewerkschaftslinke noch mehr öffnen. Rhetorischer Internationalismus und proklamiertes Klassenbewusstsein sind nicht genug. Insbesondere eine engere Zusammenarbeit mit Erwerbsloseninitiativen, aber auch die Vernetzung mit Illegalisierten und prekär Beschäftigten würden die Initiative auf eine breitere Grundlage stellen, wenn auch eine gemeinsame Programmatik aufgrund der jetzt schon vorhandenen Differenzen schwer vorstellbar ist. Es ist nicht tragfähig, die „Gewerkschaftsbürokratie“ oder – noch schlimmer – die „Gewerkschaftsführer“ für gewerkschaftliche Schwäche und mangelnde Kampfbereitschaft verantwortlich zu machen. Hilfreicher für die Entwicklung einer fundierten Kritik erscheint es mir, einen genaueren Blick auf am shareholder value orientierte kapitalistische Verwertungsverhältnisse zu werfen. Diese Einschätzung wird offensichtlich auch von Teilen der Gewerkschaftslinken geteilt. Verschärfte globale Konkurrenz, Arbeitsverdichtung und neoliberale Ideologie haben auch Auswirkungen auf Denken und Subjektivität der abhängig Beschäftigten. Gewerkschaften und Gewerkschaftslinke müssen daran ansetzen. Möglichkeiten der Gegenwehr gibt es.

1 Vgl. auch den Bericht in Z 60, Dezember 2004, S. 180 ff.