Berichte

30 Jahre Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik

Wissenschaftliche Tagung, 22. Oktober 2005, Berlin

von Corinna Loeser
Dezember 2005

Die Zeiten ändern sich: Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik feiert ihr 30-jähriges Bestehen und die Grußworte sprechen Repräsentanten der zwei größten deutschen Gewerkschaften.

Früher, erinnert sich der IG-Metall-Vorsitzende Jürgen Peters, sei das undenkbar gewesen. „Da stand die Memorandum-Gruppe bei Gewerkschaftern unter Kommunismus-Verdacht.“ Zwar hätten die Arbeitnehmer-Vertreter im Gegenkonzept der alternativen Ökonomen von Anfang an eine wichtige Rolle gespielt, „doch die Gewerkschaften wollten damals diese Rollenzuweisung nicht so richtig annehmen“. Dass er und die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Margret Mönig-Raane nun im Haus der ver.di-Bundesverwaltung die Grußworte zum 30-jährigen Jubiläum überbrachten, das zeige, so Peters, dass die Abgrenzung einer konstruktiven Zusammenarbeit gewichen sei. Die Alternativgutachten der Memo-Gruppe zu den Gutachten des Sachverständigenrates hätten die Gewerkschaften auf vielfältige Weise unterstützt, „manchmal eben auch gegen ihren Willen“.

Aber trotz dieser Unterstützung, stellte Peters nüchtern fest, befänden sich die Gewerkschaften nicht gerade in der Offensive. Als Gründe nannte er den Wegfall des internationalen Systemgegensatzes, die Globalisierung der Kapitalströme und damit verbunden den Shareholder-Kapitalismus sowie die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit. Die Gewerkschaften allein könnten die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht ändern. Dazu bedürfe es weiterer Bündnispartner und gemeinsamer gesellschaftlicher Aktivitäten. Peters regte unter anderem die Bildung von Netzwerken und Think-Tanks an. Die Gewerkschaften hätten noch keine ausreichenden Gegenstrategien entwickelt, wie sie der Globalisierung der Finanzströme und der Vermarktlichung aller Lebensbereiche wirkungsvoll begegnen könnten.

Allerdings machte der IG-Metall-Vorsitzende auch Hoffnungsschimmer aus. Die Vormacht des Marktradikalismus sei nicht mehr ungebrochen, das zeige nicht zuletzt das Ergebnis der Bundestagswahl. Weder sei dadurch die Agenda 2010 bestätigt worden noch der marktradikale Kurs von Schwarz-Gelb. Vielmehr komme in dem Wahlergebnis der Wille großer Teile der Bevölkerung zum Ausdruck, den Sozialstaat zu stärken, interpretierte Peters den Wahlausgang.

Der anhaltende Sozialabbau, die Ursachen der Arbeitslosigkeit und die erforderlichen Maßnahmen zur ihrer Überwindung sind seit 30 Jahren die Haupt-themen der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik. In einer Vortragsrunde referierten daher Mitglieder der Memorandum-Gruppe unterschiedliche Aspekte der neoliberalen Doktrin und ihrer wissenschaftlichen Alternativen.

Herbert Schui, ehem. Professor an der Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik und zusammen mit Jörg Huffschmid Begründer der Memo-Gruppe, stellte einen Vergleich zwischen keynesianischer Theorie und neoliberalem Mainstream an. Die beiden Theorien unterscheiden sich laut Schui nicht nur in der Betonung der Rolle, die der Staat sowie die Nachfrage- und die Angebotsseite im ökonomischen Prozess spielen. Gravierende Unterschiede gebe es auch im Menschenbild beider Theorien. Während es sich beim Keynesianismus um einen reformatorischen, demokratischen, auf Partizipation ausgerichteten Ansatz handele, impliziere die Programmatik des Neoliberalismus Eigenschaften wie Demut, Unwissenheit und Unterwerfung, sie sei mithin antirationalistisch und antiaufklärerisch.

Prof. Jörg Huffschmid (Bremen) setzte sich in seinem Vortrag mit europäischen Alternativen für Arbeit, Demokratie und Gerechtigkeit auseinander. Die in der vor zehn Jahren gegründeten, so genannten Euro-Memo-Gruppe zusammengeschlossenen Wirtschaftswissenschaftler sehen sich laut Huffschmid mit ähnlichen Problemen konfrontiert. Die Regierungen in den anderen europäischen Ländern verfolgten eine nur in Nuancen unterschiedliche neoliberale Wirtschaftspolitik. Das im EU-Binnenmarkt seit 1985 geltende Prinzip der gegenseitigen Anerkennung habe zu einem Wettbewerb der Staaten und zu einer anhaltenden Deregulierung geführt. Die Ablehnung der EU-Verfassung, die die neoliberale Wirtschaftspolitik zum Credo hatte, in Frankreich und in den Niederlanden begrüßte Huffschmid ausdrücklich. Die Eckpunkte einer alternativen europäischen Wirtschaftspolitik skizzierte er folgendermaßen: Regeln und Mindeststandards für den Binnenmarkt, koordinierte öffentliche Investitionsprogramme, Verstärkung der Strukturpolitik, koordinierte Lohnpolitik und Steuergesetzgebung. Zur Absicherung dieser Maßnahmen ist für Huffschmid eine Kontrolle des Kapitalverkehrs erforderlich.

Über die Wirtschaftsentwicklung in Ostdeutschland und die Erarbeitung alternativer Konzepte seit der so genannten Wiedervereinigung berichtete Prof. Klaus Steinitz, Berlin. Prof. Heinz Bontrup von der Fachhochschule Gelsenkirchen plädierte für Wirtschaftsdemokratie statt Shareholder-Kapitalismus. Der Staat habe sich aus seiner Verantwortung zurückgezogen und überlasse die wirtschaftliche Entwicklung den Selbstheilungskräften des Marktes. Diese führe zu einer Verschärfung der Krise. Um zu einer gerechteren Verteilung zu kommen, hält Bontrup eine produktivitätsorientierte Lohnpolitik und eine Gewinn-oder Kapitalbeteiligung in Arbeitnehmerhand für geeignet.

Michael Schlecht, Bereichsleiter Wirtschaftspolitik beim Verdi-Bundesvorstand, erörterte gewerkschaftliche Handlungsmöglichkeiten für einen Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik. Dabei ging Schlecht auch auf die Situation der abhängig Beschäftigten in den Betrieben ein. „Lohnverzicht schafft Arbeitsplätze“ – diese Erfahrungen prägten das Bewusstsein der Betroffenen. Dies sei der Nährboden dafür, dass viele die neoliberale Ideologie verinnerlichten. Es sei für die Gewerkschaften sehr schwierig, dieses falsche Bewusstsein zu korrigieren und zu verdeutlichen, dass es sich um erpresserischen Lohnverzicht handele und diese These aus gesamtwirtschaftlicher Sicht völlig falsch sei. Der Begriff Makroökonomie hat mit der Lebenswelt vieler Lohnabhängiger nach Ansicht von Schlecht allerdings ungefähr so viel zu tun wie das Wort zum Sonntag. Auch aus diesem Grund hält Schlecht eine „politische Alphabetisierung“ für erforderlich.

Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik argumentiert seit 30 Jahren gegen die herrschende Wirtschaftstheorie- und -politik. Nun sind zwei Memorandum-Mitglieder, Herbert Schui und der Geschäftsführer der Memo-Gruppe Axel Troost, als Abgeordnete der Linkspartei im Bundestag vertreten. Die Hoffnung der stellvertretenden ver.di-Vorsitzenden Margret Mönig-Raane, „jetzt werden wir der Mainstream“, mag etwas übertrieben sein, doch zumindest kann den wirtschaftpolitischen Alternativen gegen den neoliberalen Mainstream öffentlichkeitswirksamer Ausdruck verliehen werden.