Internationales

Warum wir den PCF verlassen

September 2010

Politische Erklärung vom 14. April 2010*[1]

Im folgenden Text legen wir auf unsere Weise dar, warum wir zwar die Französische Kommunistische Partei (PCF) verlassen, nicht aber den Kommunismus.

Seit einem Vierteljahrhundert vertreten wir beide die Ansicht, dass der politisch organisierte Kommunismus nur dann seine Dynamik wiedergewinnen kann, wenn er sich in Inhalt und Form radikal wandelt. Im Juni 1984 hatte der eine von uns im Wochenmagazin ‚Revolution’ die Ansicht vertreten, dass der seit 1981 einsetzende wahlpolitische Niedergang nichts anderes widerspiegele als „die Überlebtheit unseres gesamten Herangehens angesichts der neuen Entwicklungen in der französischen Gesellschaft“. Der andere erklärte zur gleichen Zeit vor dem Zentralkomitee des PCF, dass es notwendig sei, „so etwas wie die historische Wiedergründung („refondation historique“) der Partei auf die politische Tagesordnung zu setzen.“

Eine solche Partei, verstanden als kommunistisch und erneuert zugleich (kommunistisch und refondateur gehören u. E. untrennbar zusammen), war und ist Motiv und Triebkraft unseres Engagements. Während eines Vierteljahrhunderts haben wir dieses Ziel innerhalb der Französischen Kommunistischen Partei verfolgt. Das haben wir aus zwei Gründen getan. Einmal, weil der PCF der größte und stärkste Zusammenschluss von Kommunisten war und daher ein unschätzbares Potential jener Kräfte darstellte, welche die Jahrhunderte währende Ordnung des Kapitals überwinden wollen. Zum anderen, weil diese Organisation ein doppeltes Gesicht zu haben schien: Einerseits zwar behindert durch die Starrheit seiner Entstehungsform (einem ‚stalinisierten’ Bolschewismus), andererseits aber auch auf eine unvergleichlich vielfältige und lebendige Weise verbunden mit der sozialen und kulturellen Wirklichkeit der französischen Gesellschaft. Im Zeitraum von Mitte der 1930er bis zu den 1970er Jahren hatte es diese Verankerung in der Realität dem PCF immer wieder erlaubt, sich anzupassen, ja selbst sich zu erneuern.

Als sich die Bewegung der ‚refondateurs’ im Jahre 1989 verbreiterte wussten wir, dass ihr Kampf schwierig sein würde: Aber aus den erwähnten Gründen hielten wir ihn für notwendig und möglich. Das war zwar gewagt, aber doch vernünftig. Das glauben wir heute nicht mehr. Denn mit der Schwächung des PCF hat sich das Gravitationszentrum des Kommunismus verlagert: Die Mehrheit der Kommunisten gehört heute nicht mehr dem PCF an, und das ist unumkehrbar. Schlimmer noch, denn von Niederlage zu Niederlage hat die Partei den Bezug zur Realität und jene Lebendigkeit des Denkens eingebüßt, die doch seine größte Stärke gewesen waren. Ohne diese Lebensquelle aber ist nur noch das Gewicht eines Apparates geblieben, der am Ende sein eigenes Überleben für wichtiger hält als die Erreichung politischer Ziele. Was als Werkzeug der Emanzipation gedacht war ist so zu einer Maschine zur Sicherung und Verteilung winziger Machtpositionen geworden; was den Zusammenhalt der Kommunisten fördern sollte wurde zu einem Mechanismus der Ausgrenzung all jener, die sich nicht mit der blinden Logik der Organisationsdisziplin zufrieden geben wollen.

Heute müssen wir unser dreifaches Scheitern konstatieren.

Zuerst weil wir uns in einer strategischen Sackgasse befinden. Das 20. Jahrhundert hat sicherlich nicht die Untauglichkeit des Kommunismus selbst gezeigt, aber doch der Art und Weise, des Weges, auf dem man ihn über eine Revolution verwirklichen wollte. Der Verzicht auf den alten revolutionären Weg hat aber niemals dazu geführt, einen neuen zu eröffnen. Schwankend zwischen stolzem Selbstbewusstsein einerseits und faktischer Abhängigkeit von der Sozialdemokratie andererseits ist der PCF in der politisch-institutionellen Logik (des Parlamentarismus, Red.) untergegangen, während die Krise dieser Logik es eigentlich notwendig gemacht hätte, für ihre Veränderung zu kämpfen (was nicht heißt, sich davor zurückzuziehen).

Dann die organisationspolitische Lähmung: Partei ergreifen als Kommunist ist notwendig; es aber in der Form des bolschewistischen Parteimodells zu tun ist ein Relikt der Vergangenheit. Wenn es aber nicht mehr Ziel sein kann, das Volk zur Machtergreifung im Staat und zur ‚Diktatur des Proletariats’ zu führen, dann müssen die politischen Organisationsformen daran arbeiten, die Selbst-Emanzipation der Individuen und deren gemeinsames Handeln zu fördern. Leider hat sich gezeigt, dass der PCF dazu strukturell unfähig ist. Die Direktion der Partei will weiterhin dirigieren, kontrollieren, ausgrenzen. Deshalb dieses unheilbar taube und blinde System, das den Sinn des Kommunismus bis zur Karikatur verkehrt: Zum Beispiel indem die Parteivorsitzende sich selbst zur Kandidatin einer Einheitsfront erklärt und dann noch ihren Nachfolger bestimmt.[1][2]

Schließlich durch die Ablehnung von Pluralismus. So wie es keine grundlegenden Veränderungen geben wird ohne die Kommunisten, ebenso wenig wird es welche geben mit ihnen allein. Daraus entsteht ein Spannungsverhältnis, mit dem man umgehen muss: kommunistische Prinzipienfestigkeit muss mit der Öffnung zur Einheit verbunden werden. Um sich nicht weiter mit theoretischer Arbeit abgeben zu müssen hat es die Direktion dagegen vorgezogen, in einem überkommenen kulturellen Autismus zu verharren, dem alles Neue verdächtig ist. Was die Einheit betrifft so beharrt man auf der Form eines Kartells von Organisationen, um vergeblich verblichene Hegemoniepositionen wieder herzustellen. Während in Worten verkündet wird: „Die Verschiedenartigkeit ist Reichtum“, gilt im praktischen Parteileben jeder Widerspruch als Fehler. Seit Jahren hat die Direktion nur eine Sorge: Jede wirkliche Alternative zu beseitigen. Wir verlassen die Partei? Aber ist es nicht der Apparat, der uns tatsächlich schon seit Jahren auf Distanz gehalten hat?

Wir glauben nicht mehr dass diese Struktur, trotz des großen Werts ihrer Mitglieder, noch über die Kraft verfügt, die notwendig ist, um sich zu erneuern und sich so erneut nützlich zu erweisen. Dass sie dies nicht schafft ist wirklich ein Drama: Die historischen Aufgaben des PCF werden von ihr nicht mehr wahrgenommen; es gibt aber auch keine anderen gesellschaftlich verankerten Kräfte, die diese Lücke ausfüllen könnten, weder die dominierende Sozialdemokratie noch die aus dem Trotzkismus hervorgegangene radikale Linke. Es gibt aber zu viel zu tun als dass man weiter Zeit verschwenden sollte, um einen Transformationsprozess von innen heraus zu versuchen, der leider undurchführbar ist.

Eine Seite in unserem Leben wird umgewendet, obwohl das Herz wehtut: Man gibt nicht ohne Schmerzen das auf, was doch bisher das Leben erfüllt hatte. Aber es muss aufgegeben werden, denn es geht um grundlegende Ziele. Nur so bleiben wir den engagierten Kämpfern nahe, den gewählten Volksvertretern auf allen Ebenen, den kreativen Intellektuellen, den Frauen und Männern, die immer noch ihre ‚Mitgliedskarte’ behalten, obwohl sie uns verstehen: Wir alle zusammen haben große Aufgaben. Für uns aber sind ebenfalls die hundertausenden von Kommunisten unvergesslich, die sich von der Partei entfernt haben, von denen sich so viele als Kommunisten ohne Partei verstehen, von denen andere sich dagegen abgestoßen fühlen vom Kommunismus, wenn nicht überhaupt von der Politik. Wir müssen diesem tödlichen Austrocknen ein Ende setzen und dieses Kapitel endlich abschließen. Denn wir sehen uns sowohl einer furchtbaren Krise unserer Zivilisation und gleichzeitig den Anfängen einer wahren menschlichen Solidarität gegenüber. Der Refrain unseres Abschiedsliedes lautet: Der Kommunismus ruft uns.

Aber genau an diesem Punkt können sich viele, die unsere Beweggründe teilen, noch nicht entscheiden: gehen wohin, gehen für was? Machen wir uns nichts vor: Ein Vierteljahrhundert oppositioneller Arbeit der Erneuerung im PCF hat zwar viel Gutes bewirkt, aber, eingezwängt in eine Vergangenheit die nicht sterben wollte, hat sie letzten Endes jeden tauglichen organisationspolitischen Neuanfang unmöglich gemacht. Zwar wissen wir heute, für was wir uns einsetzen wollen: einen erneuerten Kommunismus als Teil einer breiten, radikal-kritischen und alternativen Bewegung. Wir wissen aber nicht im Einzelnen, wie die Inhalte und Formen dieser Erneuerung aussehen könnten. Allerdings wissen wir, was wir nicht wollen: Wir wollen nicht das soundsovielte totgeborene Grüppchen sein, wir wollen nicht in einer haltlosen Kakophonie sektenhafter Auseinandersetzungen versinken. Und wir wollen nichts wieder beleben, was im alten Gehäuse dahinvegetiert.

Die Irrwege und Fehlschläge des vergangenen Jahrhunderts müssen Anlass sein zu gesunder Beunruhigung, zu vernünftigem Zweifel; ihre Lehren helfen zu verstehen, dass kommunistische Formen und Inhalte nur dann entstehen, wenn der Prozess ihrer Herstellung mit dem Zweck vereinbar ist. Kommunistische Ziele können nur mit strikt kommunistischen Mitteln erreicht werden. Wenn wir wirklich erfolgreich zusammenarbeiten wollen, dann in drei Richtungen: eine gemeinsame, gut reflektierte Praxis, die Erprobung von neuen Organisationsweisen und die Sicherung einer wirklichen Pluralität der Linken. Wenn eine bestehende Organisationsstruktur dies nicht erlaubt, dann muss eben eine neue geschaffen werden, so wie es der Kongress der Sozialisten von Tours im Dezember 1920 getan hatte, als er beschloss, sich der Leninschen kommunistischen Internationale anzuschließen. Wenn interne Auseinandersetzungen die Zeit und Energie beanspruchen, die für die notwendige Arbeit der Erneuerung erforderlich ist, dann muss man sich die zeitlichen Freiräume eben schaffen.

Angesichts der Zeitverschwendung eines Vierteljahrhunderts ist unser Zorn unermesslich. Weil er es nicht gewagt hat, seine kommunistische Erneuerung voranzutreiben, hat der PCF bedeutende Kräfte lahmgelegt, die für eine Alternative zum Kapitalismus kämpfen wollten. Ein gemeinsames Haus wäre möglich gewesen, hätte man nur ein gleichberechtigtes, gemeinsames Eigentum daran akzeptiert. Der PCF aber hat es unglücklicherweise vorgezogen, in einem abgeschotteten Raum zu verharren, mit einem Apparat, der stets vorgegeben hat, den Willen hunderttausender Kommunisten im Voraus zu kennen. Im Namen dieser Allwissenheit hat er hunderttausende von Kommunisten aus einer Partei vertrieben, die dieser doch derart eng verbunden waren, dass die große Mehrheit von ihnen niemals eine andere politische Bleibe gefunden hat.

Dass dieses gemeinsame Haus der Kommunisten eines Tages entstehen möge bleibt unser Traum, ebenso wie der einer dauerhaften Gemeinschaft, die alle alternativen Richtungen und Strömungen umfasst. Dieses Ziel zu erreichen ist der Sinn unseres Kampfes.

Übersetzung: Jörg Goldberg

*[3] Am 10. Juni d.J. berichtete die „L’Humanité“ ausführlich über den Austritt von etwa 200 Mitgliedern aus dem PCF, der Französischen Kommunistischen Partei. Unter ihnen Roger Martelli und Lucien Sève, die auch in der marxistischen Linken der Bundesrtepublik seit Jahrzehnten durch ihre theoretischen Arnbeiten bekannt sind. Martelli und Sève legen in der hier dokumentierten Erklärung die Gründe für ihren Austritt dar. (Red.)

[1][4] Die Autoren beziehen sich auf die Präsidentschaftswahl 2008, als der PCF ihre Vorsitzende zur Kandidatin jener breiten Bewegung erklärte, die in einer Volksabstimmung gegen den ersten EU-Lissabon-Vertrag gesiegt hatte. Mit 1,9 % der Stimmen erzielte die als Einheitskandidatin deklarierte Vertreterin der PCF ein historisch einmalig schlechtes Ergebnis. (Red.)

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