Linke Parteien in Europa

Die französische Linke

Reorganisation und neue Bündnisse gegen eine erneuerte Rechte

September 2008

Auch nach einem Jahr Sarkozy ist die französische Linke immer noch kaum wahrnehmbar. Ihre ideologische und politische Krise ist alles andere als überwunden. Die guten Resultate der Gemeinderats- und Landkreiswahlen vom März 2008 können darüber nicht hinwegtäuschen, obwohl die Rechte dabei unzweifelhaft eine Niederlage erlitten hat.[1][1] Zwar hat die Linke, vor allem die Sozialistische Partei, in den Städten und Landkreisen Positionen gewonnen. Die Konsequenzen in Form entschlossener und wirksamer Aktionen angesichts der ‚Dampfwalze’ Sarkozy lassen aber auf sich warten. Obwohl die Versuche Sarkozys, die in Schwierigkeiten geratene neoliberale Hegemonie auf neue und originelle Weise dauerhaft zu erneuern, bislang nicht erfolgreich waren, sind die Umrisse einer linken Alternativen bis jetzt nicht sichtbar.

Sarkozy führt einen sich ständig erneuernden Bewegungskrieg. Pierre Musso macht auf Ähnlichkeiten mit Berlusconi aufmerksam, „vor allem was die politischen Positionen betrifft. Kernpunkt: Beide wenden sich gegen die traditionelle Politik und präsentieren sich als Männer des ‚Bruchs’ mit dem Alten. Sie nehmen innerhalb des politischen Spektrums die an der Politik geübte Kritik selbst auf.“[2][2] Für jedes der vielen Einzelprobleme weiß Sarkozy eine praktische Lösung, ohne den Eindruck zu erwecken, als handele es sich um die einzig mögliche Lösung: Er zeigt, dass Spielräume existieren, dass also wieder Politik gemacht wird. Diese Haltung scheint außerordentlich pragmatisch, fern jeder Dogmatik. Trotzdem folgt er einer kohärenten Logik. Es ist dieselbe Logik, der er, noch bevor er offizieller Präsidentschaftskandidat wurde, bei der Reorganisation der bürgerlichen Rechten gefolgt war. Innerhalb der UMP wurde alles an Erkenntnissen und Kompetenzen zu vereinnahmen versucht, was aussichtsreich schien, unabhängig davon ob es von rechts oder von links kam. „Wenn man mehrere Jahre hindurch Sarkozys Kampagne beobachtet, mit den Ereignissen von 2005 im Hintergrund, dann sieht man als Hauptmerkmal eine Strategie zur Gewinnung der Hegemonie, d.h. dass es zuerst um eine kulturelle und ideologische Hegemonie ging, und erst danach um Programm und Wahl. Gramsci ist hier die Referenz, mit seiner Analyse einer politischen Konfrontation, die zuerst im Bereich der Vorstellungen und Werte zu führen ist und erst danach um der Frage der Macht; das heißt eine Konfrontation, die sich in der Zivilgesellschaft abspielt bevor sie Ergebnisse auf der politischen Szene, oder bei Wahlen bringt.“[3][3]

Sicherlich, Sarkozys Umfragewerte sind derzeit auf einem Tiefpunkt, und der Verzicht auf „bling-bling“[4][4] hat nicht dazu beigetragen, das Vertrauen in ihn wiederherzustellen. Obwohl in der Defensive, ist er entschlossen, nicht nachzulassen und zeigt seine autoritäre Seite; auf allen Kampffeldern aktiv stürzt er sich in zahlreiche Konflikte. Ob die Unzufriedenheit mit ihm versteckt oder offen ist: Alle Umfragen verweisen auf Erscheinungen der Ermüdung, der Enttäuschung und eine sich verschlechternde Stimmung in Frankreich. Aber die Dampfwalze der ‚Reformen’ rollt weiter. Und dies verweist auf ein zentrales Problem, mit dem sich die Linke auseinandersetzen müsste: Sakozys geschickt geführter ‚Bewegungskrieg’ geht weiter, obwohl seine Legitimität in der öffentlichen Meinung reduziert ist – auch weil sich in dieser Situation die Linke nicht fähig zeigt, die großen sozialen, politischen und ideologischen Widersprüche auf konsequente und kohärente Weise aufzugreifen. Alle Proteste stoßen an eine bislang unüberwindliche Mauer. Trotz offensichtlicher Schwierigkeiten glaubt die bürgerliche Rechte, dass sie den ideologischen Kampf, den Kampf um die Köpfe, gewonnen habe: „Wir haben den kulturellen und moralischen Relativismus überwunden, den die französische Linke in den 1980er Jahren im Land verbreitet hat“, freut sich Premierminister Fillon[5][5] und behauptet, dass überall die Markenzeichen der Rechten über die Werte der Linken obsiegt hätten: Überstunden statt Teilung der Arbeit, Pflichten statt Rechte, Verantwortung statt Straflosigkeit, Notdienste statt Streik …[6][6]

Dabei befinden sich die Gewerkschaften in einer besonders exponierten Stellung. Erst kürzlich, anlässlich der überfallartig verfügten Lockerung der Arbeitszeitregeln und der weiteren Aushöhlung der berühmten „35-Stunden-Woche“ durch das Parlament, hat man feststellen können, in welchem Ausmaß sich Präsident, Regierung und Parlamentsmehrheit befugt fühlen, gesetzliche Regeln und die Ergebnisse von Tarifverhandlungen (vom Frühjahr 2008) zu missachten. Erst hatte man während der laufenden Verhandlungen die Gewerkschaften unter Druck gesetzt indem man erklärte, dass gesetzlich eingegriffen werden müsse, wenn nicht rasche Ergebnisse erzielt würden, und zwar auf die für die Lohnabhängigen ungünstigste Weise. Als aber Verhandlungsergebnisse vorlagen, wurden diese nicht, wie versprochen, gesetzlich bestätigt. Mehr noch: Das ganze kompliziert gestrickte Gebilde der Arbeitszeitregelungen wurde zerschlagen. Das neue Gesetz verlängert die Arbeitszeit (gleichzeitig mit der europäischen Direktive, die bis zu 65 Wochenstunden erlaubt), vergrößert die Flexibilität für die Unternehmen, schränkt weiter die Arbeitszeitsouveränität der abhängig Beschäftigten ein, schafft als Ausgleich für Überstunden gedachte Ruhepausen ab, begünstigt individuelle Abmachungen und sichert den Vorrang einzelbetrieblicher vor branchenweiten Regelungen; die Befreiung der Unternehmen von Sozialabgaben für Überstunden, die im Rahmen der 35 Stunden vereinbart worden war, wird dagegen aufrecht erhalten. Die Regierung „missachtet jene Prinzipien des sozialen Dialogs, die sie immer zu verteidigen vorgab. Sie erträgt nicht die Vorstellung, dass die Gewerkschaften autonome, politisch unabhängige Interessenvertretungen und Verhandlungspartner sind. Die Achtung dieser Unabhängigkeit ist jedoch ein wesentlicher Bestandteil von Demokratie,“ bilanziert Maryse Dumas, Vorstandsmitglied der CGT.[7][7] Zwar ist die Anzahl der verschiedenen Kampf- und Widerstandsaktivitäten beeindruckend; aber angesichts der Vielfalt der Kampffelder und der Angriffe gegen die Welt der Arbeit ist die Vereinheitlichung der Aktionen schwierig.

Die ‚Reform’ des Arbeitszeitregimes zeigt, wie radikal und brutal der von Sarkozy verfolgte gesellschaftliche Umbau in Wirklichkeit ist. Dieser ist allerdings auch eine typische ‚Flucht nach vorn’ – in Folge von Versprechungen wie „mehr arbeiten um mehr zu verdienen“ oder „die Wachstumsrate steigern“, die keinerlei positive Effekte gebracht hatten. Im Rahmen eines finanzmarktgetriebenen Kapitalismus, in dem nicht wirtschaftliches Wachstum, sondern kurzfristige Rentabilität im Vordergrund steht, können politische Maßnahmen wie die von Sarkozy die Krise nur verschärfen. Die Zweideutigkeit von Sarkozys Politik, die gleichzeitig entschlossene politische Eingriffe in die Wirtschaft einerseits und Markt und freien Wettbewerb andererseits propagiert, wird rasch unhaltbar. Der angekündigte „Wachstumsschub“ hat nicht stattgefunden. Sarkozy, „zu einer wirtschaftspolitischen Kehrtwendung gezwungen“, musste die finanzpolitische Notbremse ziehen.[8][8]

Aber trotz Desillusionierung und wachsender Widersprüche begünstigt die Situation in dem Maße die Rechte, wie es der Linken nicht gelingt, neue Antworten, neue Konzepte und politische Interventionsformen zu entwickeln, die wirksam und glaubwürdig sind und die mobilisierend wirken können.

Wenn Sarkozy den Eindruck erwecken konnte, er sei auf der Höhe der Anforderungen und politisch handlungsfähig, dann ist dies vor allem das Ergebnis der offensichtlichen Schwäche der Linken.[9][9] Die Organisationen der Linken insgesamt hatten enorme Schwierigkeiten, die tiefgreifenden Veränderungen der kapitalistischen Produktionsweise seit den 1970er Jahren zu verstehen. Diese hatten dem ‚asymmetrischen Klassenkompromiss’ der fordistischen Periode die Grundlage entzogen und damit eine politische Ökonomie der sozialen Unsicherheit befördert, durch welche die Arbeitsverhältnisse in eine Spirale der Prekarisierung hineingezogen werden. Die neoliberale Welle bekam Dynamik und stieß zunächst kaum auf Widerstand. Die Politik des Verzichtes seitens der Sozialdemokratie einerseits und das offensichtliche Scheitern staatssozialistischer Ansätze im Osten andererseits haben die Krise der Linken noch verschärft. Der Herausforderung, die mit der Dominanz des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus und der damit verbundenen sozialen Demontage verbunden war, konnte die Linke keine demokratischen Antworten und angemessenen neuen politischen Konzepte entgegensetzen.

Die Linke: Verlust der Beziehung zu den einfachen lohnabhängigen Schichten[10][10]

Die Sozialistische Partei, zusammen mit dem, was man als „Regierungslinke“[11][11] bezeichnet, scheint lange Zeit jene Analysen ignoriert zu haben, die eine wachsende Distanz zu den einfachen lohnabhängigen Schichten der Bevölkerung[12][12] zeigten. Nach einer relativ starken gaullistischen Verankerung im Arbeitermilieu (1958/69) orientierten sich in der Ära Mitterand nach den Arbeitern auch die einfachen Angestellten und die unteren Leitungsebenen nach links.[13][13] Die neoliberale Wende wurde 1983 von der Regierung Mauroy eingeleitet, gefolgt vom Regierungsaustritt der PCF ein Jahr später. Die Entscheidung für eine restriktive Haushaltspolitik und den gemeinsamen Markt, die Abschaffung der Indizierung von Preisen und Löhnen, markieren das Ende einer Periode, in der die Arbeiter ungefähr die Hälfte der Produktivitätszuwächse nutzen und ihre Kaufkraft steigern konnten. Es folgten Jahre, in denen der Front National die Gefühle der Ohnmacht und der Aufgabe durch die Institutionen und politischen Repräsentanten funktionalisieren konnte. Die Angst der Arbeiter und Angestellten vor dem sozialen Abstieg nahm zu und das Stimmverhalten der Arbeiter für die Linke wurde durch massive Wahlabstinenz ausgehöhlt. Bei der Volksbefragung über den Maastricht-Vertrag 1992 stimmten nur ein Viertel der stimmberechtigten Arbeiter und einfachen Angestellten mit ‚ja’. Dagegen votierten 45% der Arbeiter und 40% der einfachen Angestellten gegen die Europapolitik Mitterands, und dies nach einer Kampagne, in der die die neoliberale Offensive ablehnenden Stimmen aus dem eher nationalistischen und extrem rechten Lager wahrnehmbarer waren als die der Linken. Bei den Parlamentswahlen von 1993 erhielt die Rechte erstmals mehr Stimmen aus dem Lager der Arbeiter und Angestellten als die Linke. „Zwischen 1995 und 2002, von ‚Maastricht’ bis zur Abstimmung über die europäische Verfassung[14][14], wird das Stimmverhalten der Lohnabhängigen[15][15] mehr und mehr durch Protestverhalten und ‚nein’ gekennzeichnet“.[16][16] Seit Anfang der 1990er Jahre verfestigen sich die Zweifel am politischen System und die Kluft zwischen den „Regierungsparteien“, d.h. den politischen Kräften innerhalb des Systems, und den „extremen oder protestierenden“ Parteien nimmt zu. Erstere ziehen eher die Rentner und die leitenden Angestellten an, letztere vor allem die Arbeiter und einfachen Angestellten und die Zwischengruppen.

In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre thematisiert Staatspräsident Chirac das Problem des sich auflösenden gesellschaftlichen Zusammenhalts und verspricht, die soziale Kluft zu verringern. Da das misslingt, verliert die Rechte 1997 die Parlamentswahlen, der Sozialist Jospin wird Premierminister, getragen durch die erste große Protestbewegung gegen den Neoliberalismus im Jahre 1995. In den Präsidentschaftswahlen von 2002 aber wird die ‚pluralistische Linke’ abgestraft, es zeigt sich eine Radikalisierung der Arbeiter und einfachen Angestellten. Diese stimmen weniger für die Regierungslinke als die lohnabhängigen Mittel- und Oberschichten und die Rentner. Das Epizentrum des politischen Erdbebens von 21. April 2002 liegt bei den Arbeitern und einfachen Angestellten, nach einem Jahrzehnt, in dem sich die traditionelle Linke von diesen entfernt hatte. Die Vorstellung, „dass die Arbeiter und Angestellten wegen ihrer sozialen Lage quasi ‚von Natur aus’ für die Regierungslinke stimmen würden, muss seither bestritten werden. Allerdings nützt die wachsende Distanz zwischen den Lohn- und Gehaltsempfängern und der Regierungslinken nicht der regierenden Rechten. „Je mehr die einfachen Lohnabhängigen an der Wahl teilnehmen, desto mehr Gewicht bekommen jene Kräfte, die Protest verkörpern. Seit dem Beginn des Jahrhunderts gehen auch Teile der Mittelschichten zum Protest an der Wahlurne über. Das EU-Referendum vom 29. Mai 2005 verstärkt die Tendenzen der Volksabstimmung über den Maastrichtvertrag an. Während 1992 das ‚nein’ zu Maastricht nur bei den Arbeitern und einfachen Angestellten überwog, mit einem Unterschied von 20 Prozentpunkten zu den Mittelschichten, haben 2005 alle abhängig Beschäftigten mehrheitlich mit ‚nein’ gestimmt, und selbst Teile der Mittel- und Oberschichten.[17][17]

Obwohl in Frankreich Kritik am Marktradikalismus und auch am Kapitalismus stärker verankert ist als in anderen europäischen Ländern, spiegelt sich dies nicht notwendig in Wahlergebnissen wider. Die öffentliche Meinung erscheint widersprüchlich, als Mischung von wirtschaftlichem Liberalismus und Antiliberalismus. Die Entstehung der globalisierungskritischen Bewegung ist Ausdruck und Element einer zunehmenden Ablehnung des Neoliberalismus; diese kritische Haltung bezieht sich allerdings vorrangig auf Erscheinungen des Kapitalverkehrs und lässt den Kern des Verhältnisses von Kapital und Arbeit, d.h. die Ausbeutungsbeziehungen, beiseite.

Welche Linke?

In der Folge der ‚Erdbeben’ von 2002 (Präsidentschaftswahlen) und 2005 (EU-Referendum) hat die bürgerliche Rechte unter Sarkozy an ihrer Erneuerung gearbeitet, um auf der Grundlage der neuen Widersprüche mehrheitsfähig zu werden. Die Linke dagegen hat es nicht verstanden, die Lehren aus dem Schock von 2002 zu ziehen. Die PS hatte auf einen quasi automatischen Wechsel gesetzt. Links von der PS waren die Bemühungen um eine Erneuerung konsequenter, was eine neue Dynamik aufgrund der gemeinsamen Aktion der kritischen und anti-neoliberalen Kräfte und damit den Sieg im Referendum von 2005 erlaubt hatte. Allerdings ist es nicht gelungen, diese Dynamik der Bewegung gegen den Neoliberalismus in ein linkes Projekt zu verwandeln, auf welches sich gemeinsame Kandidaturen bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen des Jahres 2007 hätten stützen können. Die Resultate der Präsidentschaftswahl von 2007 waren für die Linke insgesamt die schlechtesten seit 1969. Dies hat gezeigt, dass die Erneuerungsbemühungen der letzten Jahrzehnte unzureichend gewesen sind.

Die Linke hat die Tiefe der gesellschaftlichen Umwälzungen und die wirtschaftlichen, sozialen, politischen und ideologischen Folgen der neoliberalen Offensive seit den 1970er Jahren nicht erfasst. Das politische System hat sich verändert, was sich vor allem in der Tatsache zeigte, dass die Wähler bei jeder nationalen Wahl die jeweils Regierenden abgewählt haben. Um ‚Kohabitationen’ zwischen Staatspräsidenten aus einem politischen Lager mit einer Regierung aus dem jeweils anderen zu vermeiden, wurde die Verfassung stärker auf den Präsidenten ausgerichtet[18][18], was sich als nützlich für die Rechte herausgestellt hat. Aber in Wirklichkeit ist es weniger die große Bereitschaft zum Wechsel, welche die Veränderungen im Wahlverhalten beschreibt. Es handelt sich vor allem um eine anhaltende Erosion der Position der ‚Regierungslinken’ bei nationalen Wahlen seit dem politischen Wendepunkt 1983, mit dem ein Umschwenken auf den Neoliberalismus erreicht war. Zwar freut sich die gegenwärtige Führung der Sozialistischen Partei (PS) darüber, dass das in vielen europäischen Ländern verankerte Zwei-Parteien-System nun auch in Frankreich angekommen sei; das ist allerdings eine sehr oberflächliche Betrachtungsweise, da die sozialen Grundlagen der Partei fragil geworden sind und die Hinwendung der PS zur politischen Mitte[19][19] es dieser nicht erlaubt, sie zu konsolidieren. Im Übrigen wird die französische Gesellschaft weiterhin durch ein starkes Bedürfnis nach etwas „anderem auf der linken Seite“ gekennzeichnet, was sich in einem Wahlverhalten niederschlägt, welches der PS ihre Suche nach einer neuen Mehrheit aufgrund der Aufsplitterung der Linken sehr erschwert.

Der PS-Kandidatin Royal war es nicht gelungen, Antworten zu geben auf die drängenden sozialen Fragen; der bloße Appell, ‚nützlich’ zu stimmen, d.h. keine Stimmen ‚zu verschenken’, hat in dieser Situation nicht gefruchtet, obwohl in Umfragen 52% der Bevölkerung erklärten, Angst vor Sarkozy zu haben.[20][20] Sarkozy hat gewonnen, weil man ihn als einen Kandidaten wahrnahm, ‚der die Dinge wirklich verändern’ würde. Die innerhalb der PS-Führung geübte Kritik an Royals Wahlkampagne bleibt oberflächlich, weil die Kritiker die beunruhigende Distanz zu den Arbeitern und Angestellten, den unteren Bevölkerungsschichten, nicht zur Kenntnis nehmen. Dagegen bringt Henri Guaino, Sarkozys Berater und Redenschreiber, den Kern der Konfrontation zynisch auf den Punkt: „Die unteren Schichten sind ein strategisches Ziel. Diese Welt ist Ségolène Royal fremd. Diese Bevölkerung fühlt sich vielleicht von der Politik verraten, hat aber keinen anderen Ausweg als die Politik.“[21][21]

Die Sozialistische Partei (PS)

In Vorbereitung des PS-Parteitags (November 2008) spiegeln die 21 bislang vorliegenden offiziellen Stellungnahmen unterschiedliche Standpunkt wider. Derzeit ist es schwierig, die wichtigsten Konfliktlinien zu identifizieren. Es soll hier trotzdem versucht werden, einige Kernelemente der Debatte in der PS herauszuarbeiten.

Ohne den Debatten des Parteitags vorgreifen zu wollen, hat die PS kürzlich als Ausdruck eines bestehenden Grundkonsenses eine ‚Grundsatzerklärung’ angenommen (mit einer Mehrheit von 82% der Anhänger, wobei allerdings mehr als die Hälfte an der Abstimmung nicht teilgenommen haben), in der es heißt: „Die Sozialistische Partei ist eine reformistische Partei. Sie übernimmt Regierungsverantwortung auf allen Ebenen, um die Gesellschaft zu verändern.“ François Hollande, Ségolène Royal, Martine Aubry, Bertrand Delanoë, Pierre Moscovici und auch Laurent Fabius scheinen sich mit dieser Position zu identifizieren. Laurent Fabius stellt jedoch fest, die „Idee der Marktregulierung habe versagt“, wie die ökologischen, ökonomischen und sozialen Krisen und die Probleme der Energie- und Nahrungsmittelversorgung zeigen; er befürwortet einen Kurswechsel der PS um die „Linke wieder zu erobern“.[22][22] Der linke Flügel, der 5 der 21 Beiträge geliefert hat, lehnt den Anspruch des Reformismus ab. Der Europaabgeordnete Benoit Hamon erwähnt die 13 Niederlagen, welche die europäische Sozialdemokratie in den letzten zwei Jahren (bei 15 nationalen Wahlen) hat hinnehmen müssen. Zusammen mit dem ehemaligen PS-Generalsekretär Henri Emmanueli sieht er die Notwendigkeit eines Systembruchs. Die Linke könne nicht gewinnen, solange sie auf dem Terrain der Rechten bleibt; die unteren und mittleren Schichten der Bevölkerung müssten wieder gewonnen werden, indem die Linke eine Politik entwickelt, die gegen soziale Ungerechtigkeiten Stellung nimmt und Umverteilung nach unten, bessere öffentliche Dienstleistungen, mehr soziale Sicherheit und das Recht auf Arbeit fordert. Sie lehnen eine ’Anpassung’ ab, die in Wirklichkeit nur ein Rückzug sei. Anpassen müsse man die Wirtschaft an die Bedürfnisse der Bevölkerung; der Unterschied zwischen Rechts und Links müsse wieder klar werden als Ausdruck von legitimen ökonomischen und sozialen Interessengegensätzen. Jean-Luc Melenchon, eine der führenden Persönlichkeiten in der Kampagne für ein ‚Nein’ zur EU-Verfassung von 2005, hat sich zum Ziel gesetzt, „die Verwandlung der sozialistischen in eine beliebige demokratische Partei wie in Italien zu verhindern.“ Zwei ehemalige Minister, Marie-Noelle Lienemann und Paul Quilès, wollen alle jene sammeln, „die diesen Ausverkaufs-Reformismus ablehnen …, die der Ansicht sind, dass Politik machen heißt, den Lauf der Dinge zu ändern.“ Marc Dolez, ein Politiker aus dem Norden, möchte einen „antikapitalistischen Charakter“ für die PS und befürwortet eine „kämpferische Erhebung“ um jenen Widerstand zu leisten, „die die Partei von Jean Jaurès liquidieren wollen.“[23][23]

In der PS wächst das Bewusstsein, dass man den Kontakt zu den Arbeitern und einfachen Angestellten verloren hat; aber die daraus gezogenen Lehren sind sehr verschieden. „Nur eine entschlossene Linke kann die soziale Gerechtigkeit wieder in den Mittelpunkt des politischen Handelns rücken, die Dominanz sozial ungebundener Märkte überwinden und dem Rechts-Links Gegensatz wieder einen Sinn geben“; „ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, in dem die Schwächen des neoliberalen Modells offensichtlich geworden sind, sollte man nicht versuchen, dieses veraltete Konzept wieder zu beleben“, sagten Hamon/Emmanueli bei der Vorstellung ihres Positionspapiers.[24][24] Sie befürworten eine erneuerte Bereitschaft zur Zuspitzung der sozialen Gegensätze, in klarer Abgrenzung vom Konzept Delanoe/Royal. Royal dagegen scheint ihre fehlgeschlagene Wahlkampagne fortsetzen zu wollen als sei nichts geschehen, wobei sie die Orientierung nach Rechts eher noch verstärkt.[25][25] Bertrand Delanoe, Bürgermeister von Paris und einer der Kandidaten für die Nachfolge von François Hollande, dem bisherigen Generalsekretär der PS, erklärt sogar das Erbe des Liberalismus in Anspruch nehmen zu wollen[26][26], auch wenn er dabei Elemente des „wirtschafts- und handelspolitischen laissez-faire“ und den „Rückzug des Staates“ ablehnt. Eine der Trennungslinien scheint sich aufzutun zwischen einerseits dem Diskurs über die ‚Wertorientierung’, der die drängenden sozialen Fragen ausklammert – so wie er im Mittelpunkt der Kampagne von Ségolène Royal stand –, und andererseits einer Position, welche die wirtschaftlichen und sozialen Fragen aufgreift – so wie es der ‚linke Flügel’, aber auch so unterschiedliche Persönlichkeiten aus der PS wie Fabius, Aubry und Strauss-Kahn tun, wenn auch mit unterschiedlichen Akzenten. Im Mittelpunkt der Debatte steht die Rolle des Staates. Angesichts der aufgeworfenen Fragen werden wahrscheinlich der Verlauf der aktuellen Finanzkrise, der Zustand der sozialen Bewegungen und der politisch-ideologischen Auseinandersetzungen am Ende der Sommerpause einen wichtigen Einfluss auf den Ausgang der Konflikte innerhalb der PS haben. Würde eine Zuspitzung der Finanzkrise jene begünstigen, die, wie die beiden PS-Ideologen Gérard Grunberg und Alain Bergougnioux, für eine Anpassung an den Sozialliberalismus der europäischen Sozialdemokratie plädieren? Welchen Einfluss werden die von Hamon angesprochenen sozialdemokratischen Wahlniederlagen in Europa haben, wie wird das Desaster der ‚demokratisch’ gewordenen Linkspartei in Italien wirken? Welchen Einfluss werden die Auseinandersetzungen zwischen den sozial-liberalen Parteien einerseits und den erstarkenden linken Kräften andererseits in einigen Ländern, darunter Deutschland, auf die französische PS haben?

Die verschiedenen Gruppierungen der französischen Linken müssen aber nicht nur dringend ihre politischen Projekte überprüfen; sie müssen zugleich ihre Strategie und im Besonderen ihre Wahlallianzen überdenken.

Ligue Communiste Revolutionaire (LCR)

Die Ligue Communiste Revolutionaire (LCR) bemüht sich, die Voraussetzungen zur Gründung einer neuen Partei zu schaffen, ein Vorhaben, das gegenwärtig unter der Bezeichnung „Neue Partei des Antikapitalismus“ (Nouveau parti anticapitaliste – NPA) läuft. 800 Delegierte, davon ein Drittel aus der LCR, haben sich im Juni zu einem ersten nationalen Treffen versammelt. Auch wenn das Vorhaben erstmal ‚im Konsens’ vorangeht, bleiben die strategischen und programmatischen Orientierungen, die Beziehungen zu anderen Organisationen und Kräften der Linken und der Name der zukünftigen Partei unklar. Besancenot, der derzeit Rückenwind hat,[27][27] steht für eine politische Linie, die den ‚radikalen Bruch’ mit dem System will und die jede strategische Annäherung an die ‚andere Linke’ ablehnt, d.h. an alle, die eine Vereinigung mit der PS nicht klar ablehnen. Seiner Ansicht nach „wird jeder Versuch, innerhalb neuer Allianzen mit der PS mehr Gewicht zu bekommen, in eine Sackgasse führen. Denn diese PS bemüht sich ja gerade, mehr und mehr marktfreundliche Positionen zu übernehmen.“[28][28] Inzwischen spielen die Medien ‚ping-pong’ zwischen Royal einerseits und Besancenot andererseits. Es besteht in der Tat die Gefahr der Polarisierung zwischen einer sich ‚zur rechten Mitte’ orientierenden PS einerseits und einem abstrakten und sterilen ‚reinen Protest’ andererseits, wie von der LCR/NPA propagiert, was die Entfaltung einer wirksamen neuen politischen Dynamik verhindern würde. Trotzdem gibt es – sicherlich weniger medienwirksame – aber gleichwohl ernsthafte strategische Debatten innerhalb der verschiedenen linken Strömungen der PS, in der PCF, unter nicht organisierten linken Aktivisten (bisweilen mit Sympathien für die NPA), in Gewerkschaften und Verbänden; dabei wird versucht, die Krise der Linken trotz starker Divergenzen zu überwinden.

Kein Linker kann auf Dauer die Frage der Allianzen ausklammern, nicht nur jene innerhalb der Institutionen, sondern auch bereits im Vorfeld der Wahlen. Das französische Wahlsystem – sowohl bei den Präsidentschaftswahlen als auch bei den Parlamentswahlen gibt es eine Mehrheitswahl in zwei Etappen – zwingt zu Blockbildungen vor der zweiten Wahlrunde. Wenn es darum geht, bei Wahlen Mehrheiten zu erringen und nicht bloß ‚Haltungen’ zu demonstrieren, wird dies zur zentralen Frage. Julien Dray, ein prominenter Sprecher der PS, ruft daher auf zur Bildung einer großen Regenbogenkoalition, die auch jenseits von Wahlen wirken soll. Er befürchtet, dass der Aufstieg der LCR (bzw. einer Folgeorganisation) in Zukunft linke Mehrheiten verhindern könnte, wenn sich nicht alle Stimmen der Linken in den jeweils zweiten Wahlrunden sammeln lassen. Andere Projekte, wie die Bildung einer großen pluralistischen Föderation im linken Lager werden seit Jahren diskutiert, allerdings ohne jeden Ansatz zur Umsetzung solcher Vorhaben.

Doch auch abgesehen von wahltaktischen Überlegungen stellt sich die Frage, wie in den täglichen Kämpfen gegen die Politik der Rechten die Kräfte gebündelt werden können. Denn angesichts der Erfahrungen von 2007/2008 betrifft das Problem, wie die linke Ohnmacht Sarkozy gegenüber überwunden werden kann, nicht nur die politischen Parteien. Dies geht ebenso die Gewerkschaften, die linken Bewegungen wie die engagierten Intellektuellen an. Ein europäisches Treffen in Paris im Juni 2008 hat nicht nur gezeigt, was auf diesem Gebiet von der Linken erwartet wird, sondern auch die wieder größer gewordene Bereitschaft zu gemeinsamen Anstrengungen, die allerdings im Dialog konzipiert werden müssten.[29][29]

Eine linke Sammlungsbewegung?

Für die kommenden Europawahlen (Juni 2009) stellt sich in Frankreich die Frage, ob eine gemeinsame Sammlungsbewegung gebildet werden kann, die es erlauben würde, an die Mobilisierungskraft des linken ‚Nein’ beim EU-Referendum von 2005 anzuknüpfen und gleichzeitig jene linken Kräfte einzubinden, die trotz Kritik an der neoliberalen Ausrichtung der EU 2005 das ‚Ja’ gewählt hatten. Es gibt Vorschläge zur Bildung einer linken Wahlfront; aber noch sind die Wunden nicht vernarbt, die das Scheitern der Versuche zur Bildung einer gemeinsamen ‚antiliberalen’ Kandidatur zu den Präsidentschaftswahlen 2008 geschlagen hatten. Der LCR wird vorgeworfen, als erste Gruppierung eine Eigenkandidatur (Besancenot) der Suche nach einem gemeinsamen Kandidaten vorgezogen zu haben; die PCF zahlt teuer für ihre Weigerung, eine andere Person als ihre Generalsekretärin (Buffet) als Gemeinschaftskandidatin zu akzeptieren; der Gruppierung um den sozialistischen Senator Melenchon[30][30] wird vorgeworfen, die gemeinsame Plattform verlassen und die PS unterstützt zu haben; den Koordinatoren einiger Basisgruppen, die den ökologischen Aktivisten Bové unterstützt haben, wird die Legitimität abgesprochen. Die große Mehrheit der politisch nicht organisierten Aktivisten des ‚Nein’ von 2005 hat somit keinen nationalen organisatorischen Rahmen. Die Erfahrungen der Kommunalwahlen von 2008 haben aber gezeigt: Gibt es ein gemeinsames linkes Projekt, gemeinsame politische Ziele und Organisationsformen, die die Unabhängigkeit der Partner respektieren (d.h. auf hegemoniale Absichten verzichten) und eine gewisse Glaubwürdigkeit der gemeinsamen Kraftentfaltung gewährleisten, dann kann es gelingen, eine politische Dynamik zu entfalten, die auch Bürger ohne Parteibindung mitreißt.

Die Idee einer gemeinsamen Wahlfront zu den Europawahlen, einer Sammlungsbewegung in Frankreich, aber auch europaweit, die einen neuen Charakter besäße, kann sich gegenwärtig nicht auf bestehende Strukturen stützen. Es geht vielmehr darum, einen Prozess in Gang zu bringen, der eine neue politische Dynamik entfalten könnte. Dies würde erstens voraussetzen, dass klare politisch-programmatischen Ziele formuliert werden, die alle jene mobilisieren könnten, die die radikale Kritik am Projekt der europäischen Verfassung geteilt haben und die wollen, dass sich ihr ‚Nein’ dieses Mal in Form veränderter politischer Kräfteverhältnisse in Europa niederschlägt.

Im Mittelpunkt der Sommeruniversität der Europäischen Linken stand folgendes Thema: Kann die fortschreitende ‚Prekarisierung’ der Arbeitsverhältnisse im europäischen Maßstab als Kernelement der kapitalistischen Herrschaft und der Widerstand dagegen zur programmatischen Achse einer linken Sammlungsbewegung werden? Denn dies berührt sowohl jene in prekären Arbeitsverhältnissen als auch abhängig Beschäftigte, die es bald werden könnten; Jugendliche und ihre Eltern, ganz besonders die Frauen. Zweitens müssten die bestehenden organisierten Gruppen der Linken bereit sein, der Schaffung einer neuen politischen Dynamik gegen Sarkozy, Berlusconi und andere Rechte in Europa absoluten Vorrang vor anderen, zweitrangigen Aspekten einzuräumen. Ein solcher Vorschlag ist nicht ganz ohne reale Grundlage, was die programmatisch-inhaltliche Seite anbetrifft. Denn in Vorbereitung einer möglichen gemeinsamen Kandidatur zu den Präsidentschaftswahlen 2007 haben die beteiligten Gruppen bereits beträchtliche Energie in die Analyse der konzeptionellen Unterschiede und Gemeinsamkeiten und die Erarbeitung programmatischer Aussagen gesteckt. Sicherlich erfordern die seither erfolgte Zuspitzung der Finanzkrise, die wachsende soziale Unsicherheit und die damit verbundenen Spaltungen innerhalb der lohnabhängigen Bevölkerungsgruppen und auch die von Sarkozy und dem Unternehmerverband MEDEF vorgenommenen strategischen Neuorientierungen eine gewisse Modifizierung der linken Konzepte; das dürfte aber keine unlösbaren Probleme beinhalten. Die größte Schwierigkeit besteht darin, aus der Sackgasse herauszukommen und damit zu ermöglichen, dem oben genannten Potential für etwas „Neues auf der Linken“, welches weit über den Dunstkreis der bestehenden Organisationen hinausgeht, neue politische Ausdrucksmöglichkeiten zu verschaffen.

Die Kommunistische Partei Frankreichs (PCF)

Die PCF hat mit Sammlungsbewegungen beträchtliche Erfahrungen gemacht, manchmal interessante, manchmal sehr schmerzhafte. Sie ist sich in ihrer Mehrheit jedenfalls bewusst, dass in der Gesellschaft Potenzial für etwas „Neues auf der Linken“ vorhanden ist und dass der Vorschlag, sich der PCF anzuschließen, dafür kaum eine Lösung ist. Es ist zu früh um sagen zu können, welche Schlussfolgerungen der Parteitag vom Dezember 2008 ziehen wird.[31][31] Gegenwärtig jedenfalls hat der Widerstand gegen die Politik Sarkozys nicht das erforderliche Ausmaß. Eine große Anzahl von unbeantwortet gebliebenen Fragen und Problemen des Kampfes haben sich angehäuft. So muss die Kritik am Kapitalismus, wenn sie denn auf der Grundlage aktueller Konflikte politisch wirksam werden soll, aktualisiert werden. Die Bestimmung der handelnden Akteure im Klassenkampf von heute wirft hinsichtlich ihrer Ziele, ihrer Eigenschaften und ihrer räumlichen Bestimmung (national, europäisch, global) vielfältige theoretische und praktische Probleme auf. Theoretische Analysen und politische Bildungsarbeit sind vernachlässigt worden. Dagegen wird an der Bestimmung des neuen Entwicklungstyps intensiv gearbeitet. Debatten über kommunistische Perspektiven, entsprechende politische Ansätze und Bündniskonstellationen stehen zentral. Was allerdings die Aufarbeitung der verschiedenen strategischen Erfahrungen der Vergangenheit betrifft, so erweist sich die Debatte umso schmerzhafter, als die Perioden der Regierungsbeteiligungen der 1980er Jahre und der jüngeren Vergangenheit (1997-2002) bislang noch nicht ausgewertet worden sind. Die alte Linksunion ist auch in der Form der ‚pluralistischen Linken’ sicherlich nicht mehr lebensfähig; gleichwohl prägt sie immer noch die politische Landschaft und erschwert eine kritische Betrachtung der Entwicklung der PS und der Schlussfolgerungen, die daraus zu ziehen sind. Auch wenn es bei den Lokalwahlen möglich war, einen neuen Typ von Linksunion zu etablieren und sich verschiedentlich von der Hegemonie der PS zu befreien – nicht als Selbstzweck, sondern um eine neue politische Dynamik zu erreichen –, so ist das auf nationaler Ebene nicht gelungen. Was die kommunistische Partei betrifft, so gibt es lebhafte Diskussionen über das notwendige Ausmaß ihrer Veränderungen, der Transformation bzw. Metamorphose ihrer Organisationsstrukturen und ihres Selbstverständnisses. Es gibt lebhafte Auseinandersetzungen zwischen jenen, welche die Lösung vor allem in der Besinnung auf das Selbstverständnis und die organisatorische Kraft der PCF sehen, und anderen, die meinen, dass das Potenzial der Kommunisten und der kommunistischen Idee genutzt werden sollte, um am Beginn des neuen Jahrhunderts zur Herausbildung der Potenziale für radikale Veränderungen und strategische Neuausrichtungen beizutragen. Zu einem Zeitpunkt, an dem es vor allem um die Entfaltung neuer linker Initiativen geht, die aus der gegenwärtigen Sackgasse führen könnten, müssen sich die Kommunisten über die dafür am besten geeigneten Organisationsstrukturen und Funktionsprinzipien ihrer Partei klar werden. Angesichts der Schwierigkeit, auf diese Herausforderung adäquate Antworten zu finden, kann es durchaus zu einem Rückschlag innerhalb des PCF bei den Bemühungen um die Sammlung der linken Kräfte kommen, wobei die Folgen nicht nur für die kommunistischen Aktivisten und die gewählten Vertreter auf allen Ebenen[32][32] äußerst negativ wären, sondern für die gesamte Linke.

Die Kommunisten und die anderen veränderungsbereiten Kräfte der Linken müssen – ausgehend von den Widersprüchen, so wie sie heute sind – eine neue klassenorientierte und emanzipatorische Strategie entwickeln, die es ermöglicht, neue Wege der Emanzipation zu beschreiten. Zu diesem Zweck muss der Blick über Fragen der Struktur, der Methoden und das Selbstverständnis von Organisationen hinaus geweitet werden. Die Umwälzungen der 1980er und 1990er Jahre haben zu einer Zersplitterung der abhängigen Schichten der Bevölkerung, zu einer aufgespaltenen Gesellschaft[33][33] geführt, deren inneren Widersprüche sich im Zuge der aktuellen Krisenerscheinungen weiter zuspitzen. Wie kann man in dieser Zeit, in der die traditionellen Bündniskonstellationen nicht mehr funktionieren, ein solidarisches Projekt formulieren, wie die Grundlage für neue soziale Allianzen legen, die sich an linken Alternativen orientieren? Wie sind ideologische Auseinandersetzungen zu führen, die unter den Bedingungen eines finanzmarktgetriebenen Kapitalismus erneut kulturelle Hegemonialkonstellationen herstellen könnten und auf neue Weise eine demokratische und emanzipatorische politische Entwicklungsdynamik in Gang setzen? Dies sind die Herausforderungen, an deren Bewältigung eine veränderungsbereite Linke heute mit aller Kraft arbeiten muss.

(Übersetzung: Jörg Goldberg)

[1][34] Siehe die ausführlichere Analyse in: Elisabeth Gauthier: Neue linke Dynamik? Die Gemeinderats- und Kantonalwahlen in Frankreich, in: Sozialismus 4/2008.

[2][35] Pierre Musso: Humanité Dimanche v. 10.4.08; siehe auch sein Buch: Le Sarkoberlusconisme, Editions de l’Aube, 2008.

[3][36] Jérôme Sgard, Nicolas Sarkozy, lecteur de Gramsci. La tentation hégémonique du nouveau pouvoir. Revue Esprit, Juli 2007. Zitiert in: Joachim Bischoff/Elisabeth Gauthier, Sarkozy und die Hegemonie des Neoliberalismus, Supplement der Zeitschrift Sozialismus 12/2007, S. 5. Vgl. auch Lothar Peter, Neoliberale Hegemonie in Frankreich. Wie wurde Sarkozys Wahlsieg möglich? in: Z 71, September 2007, S. 150 ff.

[4][37] D.h. die medienwirksame Darstellung seines Privatlebens (Red.).

[5][38] Zitiert in: Le Monde v. 15.7.08.

[6][39] Francoise Fressoz, ebd.

[7][40] Erklärung von Maryse Dumas, CNNC v. 11.6.2008.

[8][41] Siehe die Bilanz eines Jahres Sarkozy in: Gescheiterte Überwindung der Krise des Neoliberalismus. Die Desillusionierung über das Projekt Sarkozy, Joachim Bischoff und Elisabeth Gauthier, in: Sozialismus 6/2008.

[9][42] Dazu ausführlicher: Joachim Bischoff/Elisabeth Gauthier, Sarkozy und die Hegemonie des Neoliberalismus, a.a.O..

[10][43] Im Folgenden werden Daten und Analysen aufgenommen aus: „Le descenseur social. Enquête sur les milieux populaires. “ Philippe Guibert/Alain Mercier, Collection Fondation Jean Jaurès, 2007. Zu den ‚lohnabhängigen Schichten’ werden hier nur die weisungsgebundenen Gruppen der Lohn- und Gehaltsempfänger gezählt.

[11][44] Zur „Regierungslinken“ werden die Sozialistische und die Kommunistische Partei – die „radicaux de gauche“ (Linksliberale), das MRC (Chevènement) und die Grünen gezählt.

[12][45] Die hier angesprochenen Gruppen weisungsgebundener Arbeiter und Angestellter zählen ungefähr 15 Millionen Menschen, d.h. mehr als die Hälfte der aktiven Bevölkerung (insgesamt: 27,4 Mio., davon 2,5 Mio. Selbständige, 4 Mio. Angestellte mit Leitungsbefugnis und intellektuelle Berufe, 6 Mio. Zwischengruppen, 8 Mio. einfache Angestellte und 7 Mio. Arbeiter). Siehe Fußnote 9, ebd.

[13][46] Parlamentswahlen von 1973: 64% der Arbeiter stimmten links, davon 37% PCF; Präsidentschaftswahlen 1974: 53% der Angestellten und unteren Leitungskader stimmen links. Siehe Fußnote 10 , ebd. Auch die übrigen Daten sind dieser Studie entnommen.

[14][47] 1995: Große soziale Kämpfe; 2002: Präsidentschaftswahl, bei der sich in der Stichwahl der bürgerliche Rechte Chirac und Le Pen als Vertreter der Front National gegenüberstanden, nachdem die Linke in der ersten Runde ausgeschieden war; Maastricht: Referendum über den Europavertrag von 1992, in dem das „Ja“ nur ganz knapp überwog; Europäische Verfassung: Zweites Europareferendum 2005 in dem das „Nein“ mit 54% gewinnt.

[15][48] Die Kategorie „Lohn- und Gehaltsempfänger“ (salariat) ist breiter gefasst als die der „lohnabhängigen Schichten“ (milieux populaires).

[16][49] Guibert/Mergier, ebd., S. 31.

[17][50] Die Angaben dieses Absatzes sind von Guibert/Mergier, ebd., S. 20ff. übernommen.

[18][51] Das Mandat des Präsidenten wurde von 7 auf 5 Jahre verkürzt, was eine Anpassung in der Abfolge von Präsidentschafts- und Parlamentswahlen mit sich brachte; jetzt liegen die Parlamentswahlen wenige Wochen nach den Präsidentschaftswahlen.

[19][52] In Frankreich ist damit die rechte Mitte gemeint, in den Präsidentschaftswahlen von 2007 durch Francois Bayrou vertreten.

[20][53] CEVIPOF – Le Baromètre français, 4ème vague février 2007. Zum Vergleich : 26% fürchteten Bayrou, 28% Marie George Buffet (PCF), 30% Olivier Besancenot (LCR) , 42% Ségolène Royal (PS) et 67% Jean Marie Le Pen (FN).

[21][54] Joachim Bischoff/Elisabeth Gauthier, Sarkozy und die Hegemonie des Neoliberalismus, Supplement Sozialismus 12/2007, S.11.

[22][55] Zit. in Humanité v. 30.6.08.

[23][56] Zusammenstellung aus Positionspapieren, Michel Nobelcourt, Le Monde.

[24][57] Zit. in Humanité v. v. 29.5.08.

[25][58] So in der Rentenfrage, wo sie ein Punktesystem empfiehlt, „welches die Höhe der monatlichen Rente von der durchschnittlichen Lebenserwartung der jeweiligen Altersgruppe abhängig macht.“ Zit in Humanité v. 30.6.08.

[26][59] In seinem jüngsten Buch mit dem Titel „De l’audace“ („Vom Wagemut“).

[27][60] Der Führer der LCR hat während des EU-Referendums 2005, im Kampf gegen den CPE (Erlaubnis, Berufsanfängern generell nur befristete Verträge anzubieten), als Präsidentschaftskandidat 2007 und in den Kommunalwahlen 2008 große Popularität erlangt. Dabei scheint es sich nicht bloß um eine vorübergehende und medial erzeugte Erscheinung zu handeln; seine starke, durch die Medien bestärkte öffentliche Position erscheint solide begründet. Siehe: Jerome Fourquet, Une menace bien réelle. Evolution de la popularité et de l’implantation d’Olivier Besancenot.(Ein reale Bedrohung. Die Entwicklung der Popularität und der Verankerung von Olivier Besancenot) www.jean-jaurès.org[61].

[28][62] Ausführung in Le Figaro, zit. in Humanité v. 30.6.08.

[29][63] Dieses Treffen war eine Initiative von Francis Wurtz (Präsident der Gruppe GUE/NGL im Europaparlament) in Zusammenarbeit mit „Espace Marx“. Etwa 30 Persönlichkeiten aus mehreren Ländern haben ihre Erwartungen an die Linke in Europa formuliert: www.100voixpourlechangement.eu[64].

[30][65] Die Gruppierung PRS (Pour une République sociale – Für eine soziale Republik) war Bestandteil der Allianz für das ‚Nein’. Ihr gehören Mitglieder und Nicht-Mitglieder der PS an.

[31][66] Beiträge zu den vorbereitenden Debatten finden sich auf www.alternativeforge.org[67]

[32][68] Bei einem nationalen Bedeutungsverlust könnten die Positionen, die die PCF bei den letzten Kommunalwahlen halten konnte, weiter abschmelzen; damit würde das Gewicht der 13.000 gewählten kommunalen Abgeordneten (wovon eine Hälfte Mitglieder der PCF sind während die andere Hälfte ihr nahe stehen) weiter zurückgehen.

[33][69] Entsprechende statistische Daten finden sich im Anhang zu: Joachim Bischoff/Elisabeth Gauthier: Sakozy und die Hegemonie des Neoliberalismus, Supplement Sozialismus 12/2007.

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