Editorial

Dezember 2016

Das „postdemokratische Zeitalter“ ist gekennzeichnet durch die „Dominanz riesiger Unternehmen, welche … eine Gefahr für die Demokratie darstellt.“ (Colin Crouch) Während die demokratiegefährdende Macht großer Konzerne selbst im Feuilleton der FAZ beschworen wird, beschäftigt sich die linke und marxistische Kapitalismusanalyse kaum noch mit dem monopolistischen Charakter des modernen Kapitalismus. Das vorliegende Heft widmet – erstmals wieder seit 1999 (Z 39) – dem Prozess der Konzentration und Zentralisation des Kapitals einen Schwerpunkt.

Jörg Goldberg/André Leisewitz skizzieren die Hauptmerkmale der aktuellen Fusionswelle und ziehen vorläufige theoretische Schlussfolgerungen. Die Veränderung der Kapitalstrukturen in Deutschland wie auch in globalem Maßstab zeigt, dass Konzentration und Zentralisation nicht linear aufsteigend verlaufen, dass Monopolisierung und Konkurrenz kein Gegensatz sind. Das zunehmende Volumen der Unternehmenszusammenschlüsse reflektiert weniger einen allgemein steigenden Konzentrationsgrad als vielmehr die Umstrukturierung der Unternehmenslandschaft unter dem Druck von Internationalisierung, Finanzialisierung und Digitalisierung der Reproduktionsprozesse.

Heinz Bontrup zeigt, dass der hohe Grad der Marktbeherrschung durch wenige Konzerne der Wettbewerbsideologie keinen Abbruch tut. Allerdings entsprechen selbst die schwachen Instrumente der gestaltenden Wettbewerbspolitik (Kartellgesetzgebung) heute nicht mehr den aktuellen Herausforderungen. Notwendig sei eine drastische Verschärfung der existierenden Wettbewerbsgesetze und unternehmensintern ein Ausbau von Wirtschaftsdemokratie und Mitbestimmung. Die Beiträge von Uwe Foullong und Hermannus Pfeiffer behandeln den Bankensektor und die Versicherungen. In beiden Kernbereichen der traditionellen Finanzindustrie schreitet der Konzentrationsprozess voran, besonders stark im Bankenbereich. Während die Banken in Folge der Krise von 2008 nach wie vor Schwierigkeiten haben, die erhöhten Sicherheitsanforderungen zu erfüllen, profitieren davon die Versicherungen in ihrer Eigenschaft als Kapitalsammelstellen: Die sich in ihrer Verfügung befindlichen Kapitalmassen haben sich vervielfacht, einige Unternehmen versuchen, sich neue Geschäftsfelder im Bereich der Vermögensverwaltung zu erschließen. Sowohl bei Banken wie bei Versicherungen ist die starke Stellung des Sparkassen- und Genossenschaftssektors eine deutsche Besonderheit („Drei-Säulen-Modell“). Beide Autoren halten deren Förderung (gegen in EU und Monopolkommission erhobene Privatisierungsforderungen) für wichtig. Ulrich Dolata analysiert die Kapitalkonzentration und Politik der Internetkonzerne Apple, Amazon, Google und Facebook. Er zeigt, wie diese Unternehmen einerseits Monopole in ihren jeweiligen Kerngeschäften etablieren (Unterhaltungs- und Kommunikationsgeräte, Handel, Suchmaschinen und soziale Netzwerke), andererseits in Konkurrenz zueinander diese Grenzen zu erweitern trachten. Durch ihre Aktivitäten und die Rahmenbedingungen ihrer Angebote gewinnen die Konzerne ökonomische Macht, Macht über Daten, infrastrukturelle und regelsetzende Macht. Der sehr differenzierte Bereich der Metall- und Elektroindustrie ist Wilfried Kurtzke zufolge auf den ersten Blick durch Stabilität und Kontinuität gekennzeichnet, wobei der Konzentrationsgrad vor allem in der Autoindustrie noch zugenommen hat. Diese Stabilität könnte aber im Gefolge der dramatischen technologischen Umwälzungen erschüttert werden.

Dass die Macht auch hochkonzentrierter Konzerne nicht unerschütterlich ist, zeigt Heinz Bontrups Analyse der Elektrizitätswirtschaft. Die Entscheidungsträger der „Big-4“ waren lange Zeit der Ansicht, sie könnten die Änderungen im Energiebereich über ihre Marktmacht und ihren politischen Einfluss steuern. Der Atomausstieg und die ebenfalls durch Druck von unten vorangetriebene Energiewende haben einen dicken Strich durch diese Rechnung gemacht, die Position der traditionellen Großkonzerne erschüttert und die Unternehmenslandschaft der Energiewirtschaft umgepflügt. Chemiekonzerne sind derzeit besonders intensiv an den großen transnationalen Übernahmen und Fusionen beteiligt. Diese Aktivitäten gehen, wie André Leisewitz zeigt, auf deren Restrukturierungsbemühungen zurück. Die Konzerne reagieren damit auf Internationalisierung, Finanzialisierung und monopolistische Konkurrenz, wie u.a. am Beispiel der sehr unterschiedlichen Wege der drei großen Chemiekonzerne der BRD gezeigt wird.

Im Einzelhandel ist die Monopolisierung weit fortgeschritten, wie Thomas Goes und Johannes Schulten zeigen. Dabei gehen Monopolisierung und Prekarisierung Hand in Hand. Unter den Bedingungen eher stagnierender Umsätze werden die scharfen und ruinösen Verdrängungskämpfe auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen. Im Medienbereich finden sich seit Jahren relativ stabile monopolistische Strukturen, jedoch mit inneren Verschiebungen: Printmärkte schrumpfen, das Fernsehen ist stabil, Internetmärkte wachsen rasch. Die zukünftigen Strukturen werden sich erst noch herausbilden. Gert Hautsch geht diesen Entwicklungen nach und zeigt, dass in den jeweiligen Sparten stets wenige Unternehmen den Markt beherrschen.

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Postkapitalismus: Im zweiten Teil seines Literaturberichts zu über den Kapitalismus hinausweisenden Theoriekonzepten widmet sich Werner Goldschmidt Antonio Negri als Repräsentanten des „autonomen Marxismus“. Goldschmidt zeichnet zunächst den Werdegang Negris (vom „Operaismus“ zum „Postoperaismus“) nach und diskutiert anschließend die in der gemeinsam mit Michael Hardt vorgelegten Trilogie „Empire“ – „Multitude“ – „Commonwealth“ getroffenen Annahmen zu ökonomischem und politischem Wandel sowie zum Umbruch der Klassenverhältnisse.

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Betriebliche Konflikte: In einer neuen Folge des Streikmonitors geben Lea Schneidemesser und Juri Kilroy einen Überblick über die Streikaktivitäten des ersten Halbjahres 2016. Dabei kristallisieren sich deutlich zwei Regulierungswelten und Dynamiken heraus: zum einen Streiks in der „ersten Welt“, in der der Flächentarif noch weitgehend intakt ist (große Konzerne und öffentlicher Sektor), zum zweiten eine Vielfalt von Streikaktivitäten – oft mit kurzer Dauer - in der „zweiten Welt“ kleinerer Betriebe mit entstandardisierten Arbeitsbeziehungen. Thomas Goes und Marcel Thiel gehen dem noch wenig erforschten Feld des gewerkschafts- und mitbestimmungsfeindlichen Arbeitgeberhandelns nach. Solche Obstruktion nimmt zu, muss aber kein unüberwindbares Problem sein. Durch strategisches Vorgehen kann dennoch eine stabile Organisationsmacht im Betrieb aufgebaut werden.

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Weitere Beiträge: Das neue Buch „Marx and the Earth“ von John Bellamy Foster und Paul Burckett nimmt Christian Stache zum Anlass für ein Gespräch mit Foster zu Ökologie und Marxismus. Foster verteidigt die Marxistische Tradition gegen den Vorwurf, die Ökologie sei ihr blinder Fleck. Insbesondere wendet er sich gegen neuere ökosozialistische Vorstellungen, die davon ausgehen, Ökologie sei eine Menschheitsfrage und keine Frage des Klassenkampfs. Der Frage, weshalb Europa unter den Bedingungen einer einheitlichen Währungszone auf Basis weitgehend deregulierter Märkte immer weiter divergiert geht Charles Pauli nach. Pauli zeigt, wie die ungleiche ökonomische Entwicklung zu einer Öffnung von Produktivitäts-Lohn-Scheren und weitgehender Deindustrialisierung der „Verliererstaaten“ (wie etwa Griechenland) führt. Dabei widmet er sich auch weit verbreiteten Mythen, wie dem, die deutschen Exportüberschüsse wirkten als Lokomotive für die gesamte Eurozone. Manfred Weißbecker bilanziert und würdigt in seinem Beitrag die Arbeit des im August 2016 verstorbenen Historikers Kurt Pätzold. Für die marxistisch orientierte Faschismusforschung war Pätzold sicherlich einer der wichtigsten und produktivsten Wissenschaftler. Weißbecker stellt drei aktuelle, teils nach dessen Tod erschienene Bücher von Pätzold vor. Insbesondere in der Zusammenschau von wirtschaftspolitischem Kalkül und ideologischem Wahn der NS-Führung mit dem Denken und Verhalten der Volksmassen sieht Weißbecker wichtige Impulse Pätzolds für eine Erneuerung marxistischer Faschismustheorien.

Des weiteren werden Beiträge aus Z 107 diskutiert (Zuschriften), Tagungen zu Krisentheorie, Kritischer Psychologie, EU-Krise, Streiks und Gewerkschaften und zu Stand und Perspektiven des Marxismus besprochen (Berichte); die Rezensionen betreffen Marxistische Theorie, Geschichte, Kapitalismusanalyse und -kritik.

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Z-Archiv im Netz: Unter www.zeitschrift-marxistische-erneuerung.de findet sich Z von 1990 bis zum Jahrgang 2011 im Internet. Die Jahrgänge 2012 und 2013 werden folgen. Aus den neueren Jahrgängen und aktuellen Heften werden jeweils zwei Beiträge auf der Z-Seite eingestellt. Darüber hinaus sind u.a. auch im linksnet.de Beiträge aus der jeweils aktuellen Nummer zu finden.

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Z 109 (März 2017) wird als Schwerpunktthema „1917-2017“ behandeln. Das ist auch das Thema der „Marxistische Studienwoche“ vom 13. bis 17. März 2017 in Frankfurt am Main, Haus der Jugend. Anmeldungen/Rückfragen unter redaktion@zme-net.de[1].

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  1. redaktion@zme-net.de