TTIP und Freihandelsideologie

EU-Investitionspolitik am Scheideweg: Riss oder Kitt im globalen Parallelrecht für Konzerne?

von Pia Eberhardt
Juni 2014

„Ich möcht’ auch so ein Privatgericht haben! Das nächste Mal, wenn sie mich erwischt haben, wenn ich mit 120 durch die Fußgängerzone gebrettert bin – ja warum nett, ich fühl mich eingeschränkt in meiner persönlichen Freiheit! – dann frag ich ein Privatgericht und in dieses Privatgericht setz’ ich meine Tante, meine Nichte und vielleicht noch den Bernersennenhund meines Vermieters. Und die entscheiden dann ganz neutral.“

Erwin Pelzig in der Kaberett-Fernseh-Show „Pelzig Hält sich”, 11. Februar 2014

Mit der Debatte um das transatlantische Handelsabkommen (Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP) ist die Auseinandersetzung um das globale Investitionsrecht endlich auch in Europa angekommen. Insbesondere in Deutschland wächst die Kritik an diesem Parallelrecht für Konzerne – bis hinein in bürgerliche Mainstream-Medien und das konservative Parteienlager. Doch auch jenseits von Deutschland entzündet sich der Widerstand gegen TTIP vor allem an den im Abkommen geplanten Sonderklagerechten für Konzerne.

Weltweit gibt es bereits zahlreiche internationale Verträge, die diese Klagerechte enthalten. Sie ermöglichen ausländischen Investoren[1], Staaten vor privaten internationalen Schiedsgerichten zu verklagen – und zwar wegen jeder Politik, die ihre Eigentumstitel und die geplanten Gewinne aus ihren Investitionen bedroht, sei es wegen Gesundheits- und Umweltschutzauflagen oder durch eine Sozial- und Wirtschaftspolitik, die ihre unternehmerischen Freiheiten beschränkt. So verklagt der Energiekonzern Vattenfall derzeit die Bundesrepublik Deutschland, weil ihm der Atomausstieg nicht passt. In Australien und Uruguay geht Philip Morris gegen Anti-Tabak-Politiken vor. Der kanadische Öl- und Gaskonzern Lone Pine verklagt über eine US-Niederlassung seine eigene Regierung, weil die Provinz Quebec aufgrund von Umweltrisiken bei der Gasförderung ein Moratorium für die als Fracking bekannte Tiefenbohrtechnik erlassen hat. Und der Ölkonzern Chevron greift über eine Investor-Staat-Klage ein ecuadorianisches Gerichtsverfahren an, in dem er wegen massiver Umweltzerstörung im Amazonas-Gebiet zu Schadensersatz-Zahlungen verpflichtet wurde. (siehe zu diesen und anderen Klagen Democracy Center 2013).

Die Klagen werden vor internationalen Schiedsgerichten verhandelt. Sie setzen sich meist aus drei, von den Streitparteien ernannten Privatpersonen zusammen, die nach den Schiedsregeln agieren, die im jeweiligen Investitionsabkommen genannt sind. Nationale Gerichte haben keinen Einfluss auf die Verfahren.

Im Fall des transatlantischen Handelsabkommens bergen die Sonderklagerechte für Konzerne unkalkulierbare Risiken. Schon heute kommt über die Hälfte der ausländischen Direktinvestitionen in den USA und in der EU von der jeweils anderen Seite des Atlantiks. Es gibt zigtausend Niederlassungen US-amerikanischer Konzerne in Europa und vice versa. Investor-Staat-Klagerechte in einem EU-US Abkommen würden diesen Konzernen ermöglichen, über Filialen im Ausland auch gegen ihre eigene Regierung vorzugehen. Und die jeweils progressivere Gesetzgebung zum Gesundheits-, Umwelt- oder Arbeitsschutz anzugreifen – egal, auf welcher Seite des Atlantiks.[2]

Kein Wunder also, dass sich der Widerstand gegen TTIP in der Ablehnung der geplanten „transatlantischen Verfassung der Konzerne‟ (Eberhardt/Fuchs 2013) einig ist. Um den Kritiker_innen Wind aus den Segeln zu nehmen, hat die Europäische Kommission die Verhandlungen über den Investitionsschutz im TTIP vorerst ausgesetzt. Ende März 2014 wurde eine öffentliche Konsultation zum Thema gestartet, die bis Anfang Juli laufen wird (Europäische Kommission 2014). Darin geht es allerdings nicht um die Frage, ob und warum es den Investitionsschutz in einem EU-USA-Abkommen überhaupt braucht, sondern allein darum, wie er ausgestaltet sein soll. Es geht der Kommission also nicht um eine offene Diskussion mit offenem Ausgang, sondern darum, ihre eigene Agenda zu verkaufen und auszufeilen.

Nichtsdestotrotz öffnet die Konsultation einen Raum für eine grundsätzlichere Debatte um globale Investitionsschutzregeln. Ihr Ausgang wird nicht nur Folgen haben für das geplante EU-USA-Abkommen, sondern für den globalen Kampf gegen die „Globalisierung der Konzernherrschaft‟ (Mies/von Werlhof 2003): Gelingt es, die Konzernklagerechte aus dem TTIP zu kegeln, stärkt das weltweit soziale Bewegungen und linke Regierungen, die sich transnationalen Konzernen entgegen stellen und versuchen, aus einst geschlossenen neoliberalen Knebelverträgen auszubrechen. Gelingt es dagegen der EU, ihre ‚reformierten‛ Investoren-Rechte im TTIP zu verankern, wird das dem global umkämpften Investitionsschutz-Regime einen Legitimierungsschub geben.

Zur Einordnung der Debatte werde ich im Folgenden einen kurzen Überblick über die Entwicklung des internationalen Investitionsrechts geben, einige Problembereiche und polit-ökonomische Einordnungen des Rechtsfelds nennen und anschließend auf aktuelle Brüche in und Kämpfe um dieses Feld eingehen. Abschließend werde ich auf die aktuellen Auseinandersetzung in der EU eingehen: Wer sind die relevanten Akteur_innen? Welche Strategien verfolgen sie? Und vor welchen Herausforderungen stehen emanzipatorische gesellschaftliche Kräfte?

Die Entwicklung des internationalen Investitionsrechts

Ohne Auslandsinvestitionen gäbe es weder transnationale Konzerne noch globale Produktionsketten. Sie bieten direkten Zugang zu Absatzmärkten, Technologien, billigen Rohstoffen und Arbeitskräften. Da sie ab einem gewissen Umfang in den Empfängerstaaten Produktions- und Gesellschaftsverhältnisse maßgeblich prägen, spielen sie eine wichtige Rolle für globale Hegemonie (im gramscianischen Sinne eines Macht- und Herrschaftsverhältnisses, das Staaten- und Klassenbeziehungen umfasst und sich neben Zwang und Gewalt auch auf Konsens stützt).

Seit der Nachkriegszeit werden vermehrt zwischenstaatliche Abkommen abgeschlossen, die den Vertragsparteien bestimmte Verpflichtungen im Umgang mit Investitionen und Investoren aus dem jeweils anderen Land auferlegen. Sie können z.B. festlegen, dass Staaten für Enteignungen bzw. ‚enteignungsgleiche‛ Maßnahmen umgehend Entschädigung zahlen müssen und Investoren im Konfliktfall direkte Klagerechte vor einem internationalen Schiedsgericht einräumen. Weltweit gibt es über 3.000 solcher Abkommen, der Großteil davon auf bilateraler Basis (Bilateral Investment Treaties, BITs). Laut der UN Organisation für Handel und Entwicklung (United Nations Conference on Trade and Development, UNCTAD) wurde in den letzten Jahren im Durchschnitt jede Woche ein neues Investitionsabkommen abgeschlossen (UNCTAD 2013: 4).

Anfangs handelte es sich fast ausschließlich um Nord-Süd-Abkommen. In den 50er und 60er Jahren wollten kapitalexportierende Staaten so ihre Investoren in den ehemaligen Kolonien schützen. In den 70ern waren die Abkommen Teil der Konterrevolution gegen Bestrebungen nach veränderten Wirtschaftsbeziehungen wie sie in der Erklärung zur Errichtung einer Neuen Weltwirtschaftsordnung ihren Ausdruck fanden. In den 90ern kam es in Teilen des globalen Südens schließlich zu einem regelrechten Investitionswettlauf, der zu einem explosionsartigen Anstieg von Investitionsabkommen führte. Begünstigt wurde dieser Investitionswettlauf durch die Abhängigkeit von privaten Kapitalflüssen als Folge der Schuldenkrise der 80er Jahre, die immer stärker neoliberale Ausrichtung der Programme des Internationalen Währungsfonds IWF und der Weltbank sowie den Siegeszug des Neoliberalismus. Entsprechend basieren die zentralen Vorkehrungen in Investitionsabkommen auf der Idee vom „Reichtum-schaffenden Spiel“ (Friedrich August von Hayek) privater Kapitalflüsse in einem gegenüber staatlichem Interventionismus und den Launen demokratischer Politik immunisierten freien Markt, der zu seiner Entfaltung jedoch starker, staatlich garantierter Eigentumsrechtsrechte bedarf.

Noch heute sitzt der globale Süden in Investor-Staat-Verfahren am häufigsten auf der Anklagebank: Laut UNCTAD (2014:7-8) richteten sich etwa drei Viertel aller Klagen, die bis Ende 2013 bekannt geworden sind, gegen Entwicklungs- und Schwellenländer; in der überwältigenden Mehrheit der Fälle, 85 Prozent, klagte ein Investor aus dem globalen Norden. Argentinien und Venezuela sind die Länder, die am häufigsten vor Investitionsschiedsgerichte gezerrt wurden. Allerdings müssen sich in Zeiten veränderter Kapitalströme auch Industrieländer immer häufiger dort behaupten: Tschechien ist mittlerweile der am dritt-häufigsten verklagte Staat; und fast die Hälfte aller 2013 eingereichten Verfahren richten sich gegen Industrieländer (ibid: 1). Bei einer wachsenden Zahl von Nord-Nord-Investitions- bzw. Freihandelsabkommen mit Investitionsschutzkapiteln wie dem geplanten zwischen der EU und den USA dürfte dieser Trend anhalten.

Auch die staatlichen ‚Verstöße‛, die in solchen Verfahren geahndet werden, wurden in den letzten zwei Jahrzehnten sukzessive ausgeweitet. Während ursprünglich willkürliche Enteignungen und die Diskriminierung ausländischer Investoren Anlass zu Investor-Staat-Klagen boten, richten sie sich zunehmend gegen Gesetze, die auf demokratischem Wege, im öffentlichen Interesse und im Einklang mit nationalem Recht verfasst wurden. Unter anderem dieser Entwicklung ist es geschuldet, dass das internationale Investitionsrecht wieder auf stärkeres Interesse stößt.

Dass derartige Klagen überhaupt Aussicht auf Erfolg haben, liegt am schwammig formulierten, aber weitreichenden Eigentumsschutz, der Investoren im internationalen Investitionsrecht garantiert wird (siehe Krajewski 2013; Hoffmann 2013). Einige Schiedsgerichte interpretieren beispielsweise den Standard der ‚fairen und gerechten Behandlung‛ so, dass Staaten immer völlig transparent und ohne Widersprüche zu handeln hätten und die ‚legitimen Erwartungen‛ eines Investors bezüglich des regulatorischen Umfelds seiner Investition nicht enttäuschen dürften (siehe Bernasconi-Osterwalder/Liu 2013). Und während der Schutz vor ‚indirekter Enteignung‛ in den meisten nationalen Verfassungen so nicht zu finden ist, garantiert dieses Recht, in Investitionsabkommen verankert, ausländischen Investoren Entschädigung, wenn ihr Eigentum durch Regulierungen an Wert verliert. So lässt sich ein Fracking-Moratorium ebenso angreifen wie der Atomausstieg.

Internationales Investitionsrecht als Teil des neuen
Konstitutionalismus

Die Gefahren für öffentliche Haushalte und demokratische Politik liegen auf der Hand: Investor-Staat-Klagen können Entschädigungszahlungen in Milliardenhöhe nach sich ziehen. Durch politische Reformen verursachte Gewinneinbußen einzelner Unternehmen werden auf diese Weise sozialisiert. Die Kosten für die Staaten steigen dabei immer höher: 2012 verpflichtete ein Schiedsgericht Ecuador zu einer historisch bislang einzigartigen Schadensersatzsumme von 2,3 Milliarden US-Dollar. Geklagt – und Recht bekommen – hatte der US-Konzern Occidental, weil das Land die Ölförderverträge mit dem Unternehmen einseitig aufgekündigt hatte.

Die Anzahl der Investor-Staat-Klagen ist seit der Jahrtausendwende explodiert. Bis Ende 2013 verzeichnete die UNCTAD (2014: 1) weltweit 568 Klagen – Mitte der 1990er waren es erst ein Dutzend. Die Dunkelziffer dürfte aufgrund der Intransparenz des Systems noch um einiges höher liegen. Und die Tendenz ist steigend. Allein im Jahr 2013 kamen 57 neue Verfahren dazu – nur eines weniger als im Jahr zuvor, das Rekordjahr bei den neu eingeleiteten Verfahren.

Manchmal genügt allein die Androhung einer Klage, um geplante Gesetze abzuwürgen oder zu verwässern. ‚Regulatory chill‛ heißt das im Fachjargon. Fünf Jahre nach Inkrafttreten des Freihandelsabkommens zwischen Mexiko, Kanada und den USA beschrieb ein kanadischer Regierungsbeamter das Phänomen folgendermaßen: „Bei beinahe jeder neuen umweltpolitischen Maßnahme gab es von Kanzleien aus New York und Washington Briefe an die kanadische Regierung. Da ging es um chemische Reinigung, Medikamente, Pestizide, Patentrecht. Nahezu jede neue Initiative wurde ins Visier genommen und die meisten haben nie das Licht der Welt erblickt”[3] (Greider 2001).

Tatsächlich scheinen Unternehmen internationales Investitionsrecht heute mehr als Waffe bzw. „Präventivschlag“ in politischen Auseinandersetzungen um Regulierungen zu nutzen, denn als Schutzschild gegen staatliche „Übergriffe“.[4] So verschwanden in Kanada zweimal Anti-Tabak-Gesetze in der Schublade, nachdem die Tabakindustrie mit NAFTA-Klagen gedroht hatte. In Indonesien wurden Unternehmen von einem Bergbau-Verbot im Regenwald ausgenommen, nachdem sie gedroht hatten, den Staat deshalb vor einem Schiedsgericht zu verklagen (Tienhaara 2011). Auch Vattenfall hat im Rahmen einer Einigung bei seiner ersten Investitionsklage gegen Deutschland die Verwässerung einer Umweltauflage für das umstrittene Kohlekraftwerk im Hamburger Stadtteil Moorburg erreicht (Krajewski 2013: 354).

Letztendlich geht es beim Investitionsrecht darum, gegenhegemoniale Kräfte und die Demokratie einzuhegen. Ein Zitat zweier Mitarbeiter von Milbank, einer der führenden Kanzleien im internationalen Investitionsrecht, macht das deutlich: „Unerwünschte Maßnahmen von Regierungen gibt es nicht nur im Rahmen von autokratischer Herrschaft. Der Populismus, den Demokratien mit sich bringen können, ist oft Katalysator für solche Aktionen“.[5] Kein Wunder, dass Länder wie Argentinien, Venezuela und Ecuador, die nach heftigen sozialen Kämpfen Privatisierungen zurückgenommen und Unternehmen verstaatlicht haben, zu den Ländern gehören, die sich am häufigsten vor Investitionsschiedsgerichten verantworten mussten.

Zur kritischen Analyse des internationalen Investitionsrechts eignet sich daher das maßgeblich von Stephen Gill (z.B. 2002) geprägte Forschungsprogramm zum „neuen Konstitutionalismus“. Es untersucht politisch-juridische Strukturen, welche den Neoliberalismus und bestehende Eigentumsverhältnisse durch die Einschränkung staatlicher Interventions- und demokratischer Kontrollmöglichkeiten quasi konstitutionell absichern.

Dabei wird das Politische neu definiert – z.B. wenn Investitionspolitiken durch die Festschreibung ökonomischer Prinzipien in Investitionsabkommen entpolitisiert und der popular-demokratischen Kontrolle entzogen werden. Der neue Konstitutionalismus geht zudem einher mit einer Rekonfiguration von Staatsapparaten und Verschiebungen im Klassengefüge: dass Investor-Staat-Klagen vor privaten Schiedsgerichten verhandelt werden, und zwar unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne Information der Parlamente, wertet private Netzwerke wie das der Schiedsrichter_innen ebenso auf wie Finanz- und Wirtschaftsministerien, während „massenintegrativere“ Staatsapparate wie Parlamente und deliberative Diskussionsprozesse geschwächt werden. Die Tatsache, dass Investitionsabkommen ausländischen Investoren durch exklusive Klagerechte eine privilegierte Stellung im Politikprozess einräumen, verschiebt gesellschaftliche Kräfteverhältnissen zudem zugunsten weltmarktorientierter Kapitalfraktionen.

Ein weiterer Effekt von Investitionsabkommen ist die konstitutionelle Festschreibung des neu konfigurierten Wettbewerbsstaats (Joachim Hirsch), der weniger als kontrollierende Instanz ökonomischer Akteure auftritt als vielmehr die nationalen und regionalen Ebenen durch die Harmonisierung von Politiken auf den globalen Wettbewerb ausrichtet. Der Rechtswissenschaftler David Schneiderman (2008) hat das am Beispiel zahlreicher Verfassungsänderungen z.B. in Lateinamerika untersucht, im Rahmen derer infolge eines Investitionsabkommens Eigentumskonzeptionen, die private Eigentumsrechte zum Zwecke gesellschaftlicher Umverteilung durch den Staat einschränkten, zugunsten der liberalen Konzeption aus nationalen Verfassungen verdrängt wurden. In seiner Funktion als Durchsetzungsinstanz privater Eigentumsrechte wird der Staat damit gestärkt, während verteilungs- und sozialpolitische Kompetenzen beschnitten werden.

Brüche im System

Allerdings sind diese Prozesse nicht widerspruchsfrei. Im Gegenteil: Es gibt heftige Kämpfe um das internationale Investitionsrecht und unübersehbare Brüche in dessen Regime. Soziale Bewegungen skandalisieren erfolgreich einzelne Klagen;[6] kritische Wissenschaftler_innen brandmarken die Risiken für staatliche Regulierung, öffentliche Haushalte und die Demokratie;[7] einige Staaten haben sich in den letzten Jahren von Teilen des Regimes abgewandt und versuchen, Alternativen aufzubauen; und auch unter den Verfechter_innen des Regimes wird von einer Legitimationskrise gesprochen, die es zu bearbeiten gilt.[8]

Vor allem im globalen Süden regt sich massiver Widerstand gegen die neoliberale Supra-Verfassung internationalen Investitionsrechts. Bolivien, Ecuador und Venezuela haben einige Abkommen und die ICSID-Konvention über die Einrichtung des gleichnamigen Investitionsschiedsgerichts bei der Weltbank aufgekündigt. In Ecuador prüft eine Kommission, ob die Investitionsabkommen des Landes mit nationalem Recht vereinbar sind. Auf einem Treffen der Länder des ALBA-Bündnisses (Bolivarianische Allianz für Amerika) im April 2013 wurde ebenfalls eine Überprüfung bestehender Abkommen beschlossen, sowie die Einrichtung einer eigenen regionalen Institution zur Lösung von Konflikten mit ausländischen Investoren. Südafrika hat Investitionsabkommen mit einigen EU-Staaten, darunter Deutschland, aufgekündigt und erklärt, dass weitere Abkommen aus der Post-Apartheid-Ära folgen werden, die das Land damals hastig abgeschlossen hatte, um Investitionen anzuziehen. Indonesien leitet gerade ähnliche Schritte ein. Und Indien erarbeitet laut Medienberichten einen Modellvertrag für Investitionsschutz, der sich stark von den Modellen der postkolonialen Ära bzw. der 90er und 2000er Jahre unterscheiden soll.

Auch in manchen Industrieländern und internationalen Organisationen vollzieht sich ein Paradigmenwechsel. Die sozialdemokratische Gillard-Regierung Australiens hatte 2011 angekündigt, dass sie in ihren Freihandelsabkommen keine Investor-Staat-Klagerechte mehr verhandeln werde. Auch die konservative Nachfolgerregierung hat jüngst ein Abkommen mit Japan abgeschlossen, das keine Klagerechte enthält. Und während die UNCTAD vor allem in den 90er Jahren Länder des Südens drängte, Investitionsabkommen zu unterzeichnen, skizzierte sie in jüngeren Publikationen (2012, 2013a) Optionen zur Reform gegenwärtiger Investitionspolitiken – von klarer begrenzten Rechten für Investoren bis zu Investorenpflichten. Neben der UNCTAD warnt inzwischen sogar der Internationale Währungsfonds IWF (2012: 42) davor, dass Investitionsabkommen Staaten bei der Bekämpfung von Wirtschafts- und Finanzkrisen stark einschränken können.

Konflikte in der Höhle des Löwen

Inmitten dieses zähen Ringens um das globale Investitionsrecht platzt nun das Ringen um die Investitionspolitik auf europäischer Ebene. Denn bis zu dem im Dezember 2009 in Kraft getretenen Vertrag von Lissabon hatte die EU überhaupt keine Kompetenz, Investitionsschutzverträge und entsprechende Kapitel in Freihandelsabkommen zu verhandeln. Das oblag allein den EU-Mitgliedstaaten. Diese sind bis heute Weltmeister in diesem Geschäft: Kein Land hat so viele bilaterale Investitionsabkommen abgeschlossenen wie Deutschland (131 Verträge).[9] Konzerne mit Hauptsitz in einem EU-Staat stehen ganz oben auf der Liste der Kläger: Die meisten der weltweit bekannten Investor-Staat-Klagen wurden zwar von Investoren aus den USA eingeleitet (127 Verfahren) – darauf folgen dann aber Investoren aus den Niederlanden (61 Verfahren), Großbritannien (43 Verfahren) und Deutschland (39 Verfahren) (UNCTAD 2014: 8).

Seit 2009 gibt es nun eine Auseinandersetzung darum, wie der Investitionsschutz in Zukunft EU-weit ausgestaltet werden soll. Hier gibt es einerseits Kompetenzgerangel: Die Mitgliedstaaten möchten die neu gewonnene Rolle der Kommission beschränken, während die Kommission, in weiten Teilen unterstützt vom Europaparlament, ihre neu gewonnene Kompetenz nutzen und ausweiten möchte. Es gibt aber auch Streit um die Substanz des Investorenschutzes: Hier hat die federführende Generaldirektion Handel der Kommission erkannt, dass es marginaler Reformen bedarf, um das Investitionsrecht global zu re-legitimieren und zu erhalten – ohne jedoch den harten Kern der Konzernprivilegien anzurühren. Der Großteil der Mitgliedstaaten – allen voran die deutsche Bundesregierung – wehrt sich jedoch gegen diese marginalen Reformen, von der Präzisierung der Investorenrechte bis hin zu mehr Transparenz in den Verfahren. Vorläufiges Ergebnis dieses EU-internen Ringens ist eine Reihe konzernfreundlicher Leitlinien und Mandate – für Investitionsschutz-Verhandlungen der EU mit Kanada, Indien, Singapur, Japan, den Staaten des Arabischen Frühlings, China, Malaysia, Vietnam, Thailand – und eben den USA.

Im Kontext der Verhandlungen mit den USA gelang es einigen Nichtregierungsorganisationen, das Thema zu politisieren und weite Teile der Zivilgesellschaft gegen die transnationale Verfassung der Konzerne zu mobilisieren. Diese Politisierung verschärft einerseits die Konflikte zwischen Mitgliedstaaten und Europäischer Kommission. Gleichzeitig setzt sie die traditionellen Befürworter_innen des Investitionsrechts unter enormen Rechtfertigungsdruck – von konservativen Parteien über Wirtschaftsverbände bis zum deutschen Wirtschaftsministerium. Dieser Rechtfertigungsdruck wiederum stärkt den Reformdiskurs der Europäischen Kommission. Das jüngste Positionspapier des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI) (2014) ist beispielsweise kaum noch von den Vorschlägen der EU-Bürokratie zu unterscheiden.

Das weist auf eine Herausforderung für die Kritiker_innen des Investorenschutzes hin. Ihnen muss es gelingen, die Reformen als unzureichend bzw. scheinheilig zu entlarven. Denn in der Tat handelt es sich eher um Reförmchen: Hier ein bisschen mehr Transparenz in den Verfahren, dort ein lascher Verhaltenskodex für die Schiedsrichter_innen, die die Klagen am Ende entscheiden. Am harten Kern des Investorenschutzes wird dagegen nicht gerüttelt. Auch der ‚reformierte‛ Investitionsschutz wird ausländischen Investoren weitreichendere Privateigentumsrechte einräumen, als sie z.B. in der deutschen Verfassung und im EU-Recht enthalten sind. Und mit der privaten Schiedsgerichtsbarkeit wird ihnen weiterhin ein exklusives und konzernfreundliches paralleles Rechtssystem zur Verfügung stehen, um diese Rechte einzuklagen. Auch die zukünftigen EU-Investitionsabkommen wären also Teil des neuen Konstitutionalismus, der Regierungen diszipliniert und gegenhegemoniale Akteur_innen bzw. Umverteilungsprozesse empfindlich einschränkt bzw. teuer macht.

Eine weitere Herausforderung besteht in der Ausweitung der Kritik über das TTIP hinaus. Zwar gibt es zumindest in Deutschland mittlerweile ein zartes Bewusstsein darüber, dass der Investorenschutz im TTIP nicht das einzige Problem ist. Auch das kurz vor seinem Abschluss stehende Abkommen zwischen der EU und Kanada, das CETA (Canada European Union Comprehensive Economic and Trade Agreement), enthält diese Klauseln. Es wird US-Unternehmen mit einer Niederlassung in Kanada auch ohne TTIP ermöglichen, EU-Regierungen zu verklagen, wenn deren Politik ihre Profite schmälert. Deshalb fordert z.B. das globalisierungskritische Netzwerk Attac nicht nur den Stopp der TTIP-Verhandlungen, sondern auch des CETA-Abkommens.[10] Über den Investitionsschutz in zukünftigen EU-Verträgen mit China oder Marokko beispielsweise spricht aber leider noch kaum jemand.

Nichtsdestotrotz: Angesichts der EU-internen Meinungsverschiedenheiten beim Thema Investitionsschutz und der zunehmenden Politisierung des TTIP-Abkommens stehen die Chancen nicht schlecht, den Investitionsschutz auch in anderen Abkommen als das zu entlarven, was er ist: eine antidemokratische neoliberale Zwangsjacke. Vor gut 15 Jahren hat diese „Dracula-Strategie” schon einmal zum Erfolg geführt: Ende der neunziger Jahre hatte die globalisierungskritische Bewegung den weitgehend unbekannten MAI-Vertrag ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt, ein Investitionsabkommen, das im Rahmen der OECD verhandelt wurde. Einem Vampir gleich überlebte es nicht lange, sobald das Licht einer kritischen öffentlichen Debatte aufschien. Im Oktober 1998 ließ Frankreich die Verhandlungen platzen. Empanzipatorische Kräfte in Europa sollten alles daran setzen, dass sich dieser Teil der Geschichte in der Auseinandersetzung um das TTIP wiederholt – und bei all den anderen geplanten Konzernverfassungen auch.

Literatur

BDI (2014): Positionspapier. Schutz europäischer Investitionen im Ausland: Anforderungen an Investitionsabkommen der EU, Berlin.

Bernasconi-Osterwalder, Nathalie/ Liu, Yalan (2013): Interpreting Fair and Equitable Treatment in International Investment Law, in: Juridikum. Zeitschrift für Kritik - Recht - Gesellschaft 3/2013, 374-385.

Democracy Center (2013): Unfair, Unsustainable, and Under the Radar. How Corporations use Global Investment Rules to Undermine A Sustainable Future.

Eberhardt, Pia/ Fuchs, Peter (2013): TTIP: Eine transatlantische Verfassung der Konzerne?, in: Luxemburg. Gesellschaftsanalyse und linke Praxis, Februar, http://www.zeitschrift-luxemburg.de/ttip-eine-transatlantische-verfassung-der-konzerne/.

Europäische Kommission (2014): Öffentliche Konsultation zu den Modalitäten des Investitionsschutzes und der Investor-Staat-Streitbeilegung im Rahmen der TTIP, Brüssel, http://ec.europa.eu/yourvoice/ipm/forms/dispatch.

Gill, Stephen (2002): Constitutionalizing Inequality and the Clash of Globalizations, in: International Studies Review 4:2, 47-65.

Greider, William (2001): The Right and US Trade Law. Invalidating the 20th Century, in: The Nation, http://www.thenation.com/article/right-and-us-trade-law-invalidating-20th-century.

Hoffmann, Rhea Tamara (2013): Universalismus oder Vollstreckung partikularer Interessen? Eigentum zwischen Menschenrechte, Investitionsschutz und demokratischem Eigentumskompromiss, in: Juridikum. Zeitschrift für Kritik - Recht - Gesellschaft 3/2013, 361-373.

International Monetary Fund (2012): The Liberalization and Management of Capital Flows: An Institutional View, Washington.

Krajewski, Markus (2013): Vattenfall, der deutsche Atomaustieg und das internationale Investitionsrecht, in: Juridikum. Zeitschrift für Kritik – Recht – Gesellschaft 3/2013, 348-360.

Mies/von Werlhof (Hrsg.) (2003): Lizenz zum Plündern. Das Multilaterale Abkommen über Investitionen MAI. Globalisierung der Konzernherrschaft – und was wir dagegen tun können, Hamburg.

Schneiderman, David (2008): Constitutionalizing Economic Globalization. Investment Rules and Democracy’s Promise, Cambridge.

Tienhaara, Kyla (2011): Regulatory Chill and the Threat of Arbitration: A View from Political Science, in: Brown/Miles (Hrsg.): Evolution in Investment Treaty Law and Arbitration, Cambridge, 606-627.

UNCTAD (2012): World Investment Report 2012. Towards a New Generation of Investment Policies, Genf.

UNCTAD (2013): IIA Issues Note. Towards a New Generation of International Investment Policies: UNCTAD’s Fresh Approach to Multilateral Investment Policy-Making, Genf.

UNCTAD (2013a): IIA Issues Note. Reform of Investor-State Dispute Settlement: In Search of a Roadmap, Genf.

UNCTAD (2014): Recent Developments in Investor-State Dispute Settlement (ISDS), Genf.

[1] Bei Worten wie „Investor“ verwende ich dann keine geschlechtergerechte Formulierung (z.B. Investor_innen), wenn es sich i.d.R. nicht um Personen, sondern um Unternehmen handelt.

[2] Siehe die von der Organisation Public Citizen erstellte ‚Corporate Empowerment Map‛: https://www.citizen.org/TAFTA-investment-map.

[3] Übersetzung durch die Autorin.

[4] Zachary Douglas, damals noch an der Universität Cambridge und heute Anwalt der Kanzlei Matrix Chambers, erwähnte diesen Trend auf der Konferenz 50 Years of Bilateral Investment Treaties in Frankfurt, 1.-3.12.2009.

[5] Nolan, Michael/Baldwin, Teddy (2012): Minimising Risk in the Face of Government Action, in: Project Finance International, May, 47-49; Übersetzung durch die Autorin.

[6] Einen Überblick bietet die Webseite des Network for Justice in Global Investment, http://justinvestment.org/.

[7] Siehe z.B. Public Statement on the International Investment Regime, http://www.osgoode.yorku.ca/public_statement; An open Letter from Lawyers to the Negotiators of the Trans-Pacific Partnership Urging the Rejection of Investor-State Dispute Settlement, http://tpplegal.wordpress.com/open-letter/.

[8] Siehe z.B. Waibel/Kaushal/Chung/Balchin (Hrsg.) (2010): The Backlash against Investment Arbitration. Perceptions and Reality.

[9] http://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/B/bilaterale-investitionsfoerderungs-und-schutzvertraege-IFV,property=pdf,bereich=bmwi,sprache=de,rwb=true.pdf.

[10] https://www.attac.de/kampagnen/freihandelsfalle-ttip/unterschreiben/.