Berichte

Zukunft der gewerkschaftlichen Interessenvertretung

spw-Frühjahrstagung, 2. April 2005 in Hamburg

Juni 2005

Die „Zukunft der gewerkschaftlichen Interessenvertretung“ war Thema bei der Frühjahrstagung der Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft (spw) am 2. April in Hamburg. Ca. 50 Teilnehmer aus der sozialdemokratischen Linken sowie aus der gewerkschaftlichen Praxis diskutierten, wie die betriebliche Realität zu fassen ist und eine gewerkschaftliche Antwort auf die ökonomische Krise aussehen kann, welche Schlussfolgerungen hieraus für die Interessenvertretung – betrieblich und gewerkschaftlich – zu ziehen sind und wie das gesellschaftspolitische Mandat der Gewerkschaften heute auszufüllen ist. Die Veranstalter betonten, dass diese Fragen für sozialdemokratische Linke keine fremden, sondern eigene Probleme beschreiben und nur eine intensive Zusammenarbeit bei der theoretischen und programmatischen Arbeit Grundlage eines erneuerten Bündnisses von Arbeit, Wissenschaft und Kultur sein könne.

Den Auftakt bildeten Referate von Michael Vester (Uni Hannover) und von Jutta Blankau (IG Metall Bezirksleiterin Küste). Vester stellte anknüpfend an Bourdieu eine Milieuanalyse für Deutschland vor und identifizierte verschiedene Gruppen von Beschäftigten, die von Gewerkschaften durch verschiedene Ansprachestile gewonnen werden wollen und können. Hervorgehoben wurde neben der Kompetenzrevolution der Arbeit die relative Stabilität der Milieus. Vester stellte die wachsenden modernen sozialintegrativen Milieus vor, deren fortschrittlicher politischer Anspruch in den letzten Jahren von SPD und Grünen nachhaltig enttäuscht wurde. Bisherige Zielgruppenbeschreibungen wie „Angestellte“, „Intelligenz“ usw. seien viel zu ungenau, betonte Vester. Entgegen der vorschnellen Annahme, dass sich die neu entwickelten gehobenen Dienstleistungsmilieus von Solidarität, kollektiver Interessenvertretung und Sozialstaat verabschiedet hätten, betonte Vester die prinzipielle Gewinnbarkeit dieser Gruppen für Gewerkschaften. Keinesfalls können die Defizite der Gewerkschaften auf eine mangelnde Öffentlichkeitsarbeit reduziert werden. Vielmehr hat auch der seit den 1980ern entwickelte militante Anti-Keynesianismus zu einem Verlust politisch-ökonomischer Deutungs- und Gestaltungskraft und damit zu einer Hegemonieverschiebung geführt.

Die neue Bezirksleiterin der IG Metall Küste, Jutta Blankau, berichtete von der betriebspolitischen Offensive des Bezirks. Ausgehend von der Überlegung, dass die über Betriebsräte und den haupt- und ehrenamtlichen Gewerkschaftsapparat vermittelte Stellvertreterpolitik immer stärker an Grenzen stößt, wurde für eine stärker beteiligungsorientierte Betriebspolitik geworben. Diese sollte zwar von Seiten der Gewerkschaften mit einer orientierenden Position verbunden sein, gleichwohl sollen stärker die diversifizierten betrieblichen Realitäten Berücksichtigung finden. „Mal hören und nicht die Leute vollquatschen“, drückte diese Überlegung aus. Diskussionsteilnehmer berichteten später aus Kiel, dass in Unternehmen durch eine entsprechende Betriebspolitik Organisationserfolge zu erzielen waren.

In der Arbeitsgruppe „Tarif- und Arbeitszeitpolitik in der Defensive“ berichtete Peter Werner (IG Metall Kiel) von den jüngsten Rückschritten beim Flächentarifvertrag sowie in vielen Klein- und Großunternehmen und plädierte dafür, stärker aus den „innerbetrieblichen Häuserkampf“ herauszukommen. Auch hier wurde die Veränderung der Beteiligungspraxis als zentral für erfolgreiche Gewerkschaftspolitik sowie eine neue Kultur des Nein-Sagens hervorgehoben.

Das gesellschaftspolitische Mandat der Gewerkschaften bildete das Thema der Arbeitsgruppe, in der Konrad Klingenburg und Thorben Albrecht (beide DGB) über Erfahrungen politisch-institutioneller Auseinandersetzungen auf nationaler und europäischer Ebene berichteten. Die jüngste Demonstration in Brüssel gegen die Dienstleistungsrichtlinie wurde als Erfolg gewertet, gleichwohl wurde eine strukturelle Überlegenheit der Gegenseite festgestellt. Auch die teils selbstverschuldete Schwäche gewerkschaftlicher Publizistik wurde hier angesprochen.

In der Abschlussdiskussion unterstrich Michael Guggemos (IG Metall), dass die Gewerkschaften vor allem den Kampf um die ökonomische Performance und den Respekt vor der Arbeit zum Hauptkampfplatz machen müssten. Auf dem sozialen und ökonomischen Feld und nicht in Auseinandersetzungen auf dem politischen Feld – wie um die Agenda 2010 in der Rolle einer „Ersatzpartei“ – werde sich die Zukunft der Gewerkschaften entscheiden. Kontrovers wurden in diesem Kontext im Plenum die Frage der gewerkschaftlichen Proteste gegen die Hartz-Gesetze und der Umgang mit der Einheitsgewerkschaft im Zusammenhang mit der Gründung der „Wahlalternative“ diskutiert.

Die Hauptreferate sowie weitere Beiträge zur Aufgabe und Strategie von Gewerkschaften werden in einem Schwerpunkt der Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft (SPW) in der Ausgabe 4/2005 dokumentiert. Das Heft kann unter www.spw.de bestellt werden. Weitere Informationen sind unter www.proms-nord.de abzurufen.