Klassentheorie V

Klasse und Geschlecht

Die zentralen Kategorien der Analyse sozialer Ungleichheit und gegenwartsadäquate Ansätze ihrer theoretischen und empirischen Erfassung

März 2006

In der aktuellen Geschlechtertheorie gibt es die unterschiedlichsten Ansätze zur Erklärung der Geschlechterdifferenz: von biologistischen Ansätzen, die „weiblich“ und „männlich“ zur ewigen Naturdifferenz erklären (z. B. Pease, 2000), bis hin zu radikal konstruktivistischen Ansätzen (z. B. Judith Butler, 1991, 1995), denen zufolge „weiblich“ und „männlich“ bis in die Anatomie hinein nichts als Resultat gesellschaftlicher Konstruktions- und Definitionsprozesse ist, das dementsprechend durch die Arbeit der sprachlichen Umdefinition und Umkonstruktion auch wieder verändert und aufgehoben werden kann. Gemeinsam ist all diesen Erklärungsansätzen eines: sie bleiben abstrakt in dem Hegelschen Sinne, dass die Menschen auf ihre Eigenschaft, Männer und Frauen zu sein, reduziert werden, und von anderen, für sie möglicherweise bedeutsameren Eigenschaften wie, Angehörige einer bestimmten Klasse zu sein, abstrahiert wird.

Aus dem Blick geraten dabei spezifische Unterdrückungserfahrungen von Frauen verschiedener Klassen, Unterdrückung von Frauen einer Klasse durch Frauen einer anderen, sowie auch Solidarität von Frauen mit Männern ihrer Klasse, wenn sie gemeinsam die Erfahrung von Ausbeutung, Unterdrückung und Not machen. Die „doppelte Loyalität“ (Anja Meulenbelt, 1988, 116) der meisten Frauen mit ihren Geschlechtsgenossinnen und einem Mann (in der Regel aus der gleichen Klasse) muss bei Strategien der Aufklärung und des Kampfes gegen Benachteiligung und Unterdrückung von Frauen berücksichtigt werden, wie auch die je nach Klassenzugehörigkeit sehr unterschiedliche Aufnahme und Verarbeitung patriarchatskritischer Analysen und Programme durch Frauen.

Theoriegeschichte

Die beiden zentralen Aspekte sozialer Ungleichheit, nämlich Geschlechterungleichheit und Klassenungleichheit sind bislang arbeitsteilig, also unter Ausblendung des je anderen Aspektes, bearbeitet worden: auf der einen Seite feministische Theorie und Frauenforschung, auf der anderen Klassentheorie, soziale Ungleichheitsforschung und Sozialstrukturanalyse. Verschärft wurde diese arbeitsteilige Einengung in Deutschland noch, indem die Existenz von Klassen überhaupt bestritten (siehe Ulrich Beck „Jenseits von Klasse und Stand“ 1983) und durch individualisierte Risikolagen, pluralisierte Lebensstile und Kombinationen „alter“ und „neuer“ Ungleichheiten ersetzt wurden (wobei geschlechtliche Ungleichheit , ein paar Jahrtausende alt, zur „neuen“ Ungleichheit erklärt wurde). Doch angesichts der Fakten – Massenarbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigungsverhältnisse auch unter AkademikerInnen, der durch PISA offen gelegten anhaltenden Abhängigkeit des Schulerfolgs von der sozialen Herkunft und der enormen Zunahme von Armut, insbesondere auch bei Kindern und Beschäftigten (den sog. „working poor“) – hat sich selbst unter Soziologen der wissenschaftliche Diskurs der Realität wieder etwas angenähert[1][1].

Klassen und Klassenungleichheit wurden in England oder Frankreich viel selbstverständlicher thematisiert. In der „Gender & Class“-Debatte Mitte der 80er-Jahre kam es dort zum ersten systematischen Dialog zwischen Frauenforscherinnen und Klassen- bzw. Schichtungsforschern.[2][2] Es ging dabei um Fragen der Klassifikation und der Berücksichtigung geschlechtlicher Ungleichheit in der Kassenanalyse. Nach dem konventionellen Ansatz der Schichtungsforschung bilden Familien die Basiseinheit von Schichtung: ihre Klassenposition wird als homogen unterstellt, abhängig von der Person, die die höchste Stellung in der beruflichen Hierarchie einnimmt – in der Regel der männliche Haushaltsvorstand (Goldthorpe 1983, 1984), wobei ein Statusunterschied zwischen den Geschlechtern nicht vorhanden sei, da die Frau ihren Status über den Mann erwirbt (Lockwood 1986).

Angesichts wachsender Erwerbsbeteiligung verheirateter Frauen wurde eingewendet, daß die Klassenposition von Familien nicht mehr unbedingt einheitlich ist. Vorgeschlagen wurde daher eine „joint classification“ (Britten/Heath 1983, 1984) bzw. eine individuelle Klassifikation (Stanworth 1984), um die geschlechtliche Ungleichheit und Arbeitsteilung klassenanalytisch zu erklären, z. B. in Form von „cross class families“. Die Wechselbewegung von Frauen zwischen Markt- und Haushaltsökonomie (Walby 1986) und die Familie in ihrer hierarchischen Struktur (Delphy/Leonard 1986) müssen den kritischen Ansätzen zufolge als klassenkonstitutive Faktoren einbezogen werden.

Eine vermittelnde Position zwischen konventioneller und feministischer Sicht (Mann 1986) versuchte, unter Rekurs auf Heidi Hartmanns These vom Neopatriarchat (1979) das Verhältnis von Klasse und Geschlecht in der modernen kapitalistischen Gesellschaft derart zu bestimmen, dass die Segregation qua Geschlecht (in Opposition zu Lockwood) ein zentraler Mechanismus der Schichtung ist. Die Klassen sind geschlechtsgeteilt, und die Geschlechter sind klassengeteilt. Das Geschlecht allein aber konstituiert noch keinen einheitlichen Akteur. Allerdings bilden Frauen in der Erwerbsphäre eine Reihe von „Quasi-Klassenfraktionen“, die sich aus ihrer beruflichen Stellung in den Pufferzonen zwischen Männern der eigenen Klassen und Männern der nächstunteren Klasse herleiten (Mann, 1986).

Diese Auseinandersetzung zeigt deutliche Züge von Ökonomielastigkeit bei der Klassendefinition und -zuordnung. Stets geht es um rein ökonomische Bestimmungen beim Versuch, Segregationslinien und Ungleichheitsdimensionen zwischen den Klassen und den Geschlechtern zu identifizieren. Eine kulturelle Komponente von Klassenstrukturierung scheint nicht auf, was umso mehr verwundert, als „Kultur“ oder das Symbolische ein zentrales Reproduktionsmedium von sozioökonomischen (Ungleichheits-) Verhältnissen bildet.[3][3]

Die englische Debatte gab Hinweise auf bis dahin unzureichend beachtete Probleme und Fragestellungen:

1. Geschlechtliche Ungleichheit lässt sich nicht in Kategorien der konventionellen Schichtungsforschung und Klassenanalyse ausdrücken: erstere sieht Frauen in erster Linie als Verheiratete und Hausfrauen innerhalb der als sozial homogen angenommenen Haushaltseinheit Familie – höchstens noch, sofern sie erwerbstätig sind, als „secondary workers“; letztere klassifiziert die Geschlechter­ungleichheit gegenüber der Klassenungleichheit als Nebenwiderspruch. Die Frauen als abgeleitete Größe oder Anhängsel zu klassifizieren, mutet aber angesichts ihres Bildungsniveaus und Erwerbsverhaltens sowie angesichts der Differenzierung von Lebensformen anachronistisch an (Kreckel 1989, 312).

2. In der Schichtungsforschung wurde die geschlechtliche Arbeitsteilung in Familie und Beruf und die Zuständigkeit von Frauen für die familiale Reproduktion nicht als eigenständige Quelle sozialer Ungleichheit gesehen bzw. klassenanalytisch für irrelevant erklärt.

3. Umgekehrt ignorieren Ansätze, die alle Frauen entweder aufgrund zugewiesener Hausarbeit oder unterer Berufspositionen zu einer „Klasse“ zusammenfassen (und die Ehemänner komplementär zur entgegensetzten „Klasse“), die Klassenunterschiede zwischen Frauen (wie zwischen Männern). „Geschlecht“ geht nicht in „Klasse“ auf und umgekehrt, sodass beide Ungleichheitsstrukturierungen nur als Verschränkung zu fassen sind; wie aber diese Verschränkung konkret aussieht, war bis dahin empirisch weitgehend unerforscht. Einzige Ausnahmen im deutschsprachigen Raum waren Marianne Friese (1987, 1995) mit ihren historischen (später auch aktuellen) Untersuchungen über Klassenherrschaft zwischen Frauen am Beispiel von Dienstbotenverhältnissen (Friese, 1987, 1995), Regina Becker-Schmidt u. a. (1982) mit ihrer Untersuchung von Arbeiterinnen zwischen Familie und Fabrik und Anja Meulenbelt (1988) mit ihrer Aufarbeitung der Gender & Class-Debatte in Verbindung mit eigener Empirie aus der Arbeit mit angehenden Sozialarbeiterinnen verschiedener ethnischer und Klassenherkunft (m. E. nach wie vor das Erfahrungshaltigste und politisch Klügste, was es zur Frage des Verhältnisses von Klasse und Geschlecht gibt).

Projekt „Klasse und Geschlecht“

Eva Cyba und Andreas Balog (1989) sowie Reinhard Kreckel (1989) haben neben Anja Meulenbelt die zentralen Ergebnisse der englischen Gender & Class-Debatte in den deutschsprachigen Raum transportiert. Petra Frerichs und ich haben 1992 versucht, in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie den Dialog zwischen Frauenforscherinnen und Sozialstruktur- bzw. Ungleichheitsforschern in Gang zu bringen. Mit mäßigem Erfolg: zwar kommen in der Frauenforschung inzwischen auch Männer vor, sie hat sich weitgehend in Frauen- und Geschlechterforschung umbenannt, es gibt eine eigene Männerforschung, aber Klassenunterschiede zwischen Frauen (wie zwischen Männern) sind nach wie vor kaum Thema. Aspekte geschlechtlicher Ungleichheit in der sozialen Ungleichheitsforschung kommen inzwischen etwas häufiger vor, und inzwischen werden Statistiken etwas häufiger von vornherein nach Geschlecht differenziert.

Vor dem Hintergrund dieser bescheidenen Forschungssituation haben Petra Frerichs und ich 1991-1995 an ISO-Institut Köln und der Angestelltenkammer Bremen ein empirisches Forschungsprojekt zum Verhältnis von „Klasse und Geschlecht“ durchgeführt. Mithilfe quantitativer (Auswertung des Datensatzes 1990-West des Sozioökonomischen Panels [SOEP]) wie qualitativer Methoden (ausführliche soziobiographische Interviews, flankiert von häuslichen Beobachtungen sowie Zeit- und Geldverwendungstagebüchern mit als Paaren zusammenlebenden Frauen und Männern aus verschiedenen Klassen) wollten wir der Frage nachgehen, was die Menschen mehr verbindet bzw. trennt: das Geschlecht oder die Klassenzugehörigkeit, bzw. wie die jeweilige Verschränkung beider Zugehörigkeiten je konkret aussieht.

Interessiert haben uns dabei Sozialisation, Arbeit, Macht und Anerkennung, Habitus, Lebensstil und Interessen (zu den Ergebnissen s. Frerichs 1997, Steinrücke 1996, Frerichs/Steinrücke 1996, 1997; 1997a), wobei wir von drei heuristischen Hypothesen ausgegangen sind: 1. Der Klassenhypothese, derzufolge die Klassenzugehörigkeit, unabhängig von bzw. quer zum Geschlecht, die Lebenschancen und Verhaltensmöglichkeiten entscheidend bestimmt; 2. der Geschlechtshypothese, derzufolge die Geschlechtszugehörigkeit dafür entscheidend ist bzw. derzufolge Frauen aufgrund ihrer stellungsspezifischen Gemeinsamkeit „die Unterschicht in jeder Klasse“ bilden (wie Regina Becker-Schmidt [1987, 217] das einmal treffend ausgedrückt hat); 3. die Klassengeschlechtshypothese, derzufolge jede Klasse und Klassenfraktion ihre eigenen Vorstellungen und Realisierungsformen von Männlichkeit und Weiblichkeit und von Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern hat (s. Bourdieu, 1982, 185).

Das Analyseninstrument Bourdieus

Auf der Suche nach einer für die Untersuchung solch komplexer Überkreuzungs- und Verschränkungszusammenhänge geeigneten Klassentheorie sind wir auf Pierre Bourdieus Theorie des Sozialen Raums und der klassenspezifischen Lebensstile und Habitusformen gestoßen. U.E. hat Bourdieu damit ein Analyseninstrument entwickelt, das die heutigen Klassenverhältnisse in ihrer Differenziertheit, stärkeren Bildungs- und Kulturvermitteltheit und weniger starken Offensichtlichkeit angemessen erfassen kann. Zudem ist es darüber hinaus für die Analyse anderer Ungleichheitsdimensionen wie Geschlecht, Alter, ethnische und regionale Zugehörigkeit (Bourdieu 1982, 182 ff.) gut geeignet. Bourdieu entwickelt einen relationalen anstelle eines substantialistischen Klassenbegriff, in dem eine Klassenposition sich nicht absolut, sondern immer nur in Relation zu den anderen Positionen im sozialen Raum definieren lässt (Bourdieu 1985). Ein Gefüge, das ständig in Bewegung ist, da sowohl die materiellen Grundlagen, als auch die Definitionen der verschiedenen Positionen umkämpft sind (symbolische Kämpfe, 1982, 378 ff, 727 ff.).

Gleichzeitig entwickelt er durch eine Integration des Marxschen Klassenbegriffs und des Weberschen Begriffs des Standes einen Klassenbegriff, demzufolge das Wahrgenommensein einer Klasse genauso wichtig ist wie ihr Sein, d. h. der Lebensstil einer Klasse ist genauso klassenkonstitutiv wie der Besitz oder die Bildung, und der Alltag mit seinen subtilen Konkurrenzen und Distinktionen ist eine ebenso wichtige (möglicherweise sogar wichtigere) Dimension des Klassenkampfs wie große Streiks oder Demonstrationen.

Angesichts des enorm gestiegenen Einflusses der Bildung auf die sozialen Positionen entwickelt Bourdieu den Begriff des kulturellen Kapitals: Bildungstitel (institutionalisiertes kulturelles Kapital), Kulturgüter, die jemand besitzt (objektiviertes kulturelles Kapital) und Wissen, Sprachvermögen, Manieren, über die jemand verfügt (inkorporiertes kulturelles Kapital), die neben dem (nach wie vor entscheidenden) ökonomischen Kapital und dem sozialen Kapital (die sozial nützlichen Beziehungen) zur Definition einer Klassenposition heute von größter Wichtigkeit sind. Den Habitus, der auch der Träger des inkorporierten kulturellen Kapitals ist[4][4] , führt Bourdieu ein als praktischen Operator zwischen klassenspezifischen Existenzbedingungen und Lebensstiläußerungen. Der Habitus ist ein relativ stabiles, körpergewordenes Ensemble von Wahrnehmungs-, Beurteilungs- und Verhaltensschemata, das generativ in den verschiedensten Lebensbereichen für eine Klasse typische Äußerungsformen hervorbringt, diese damit für andere Angehörige der gleichen Klasse als verwandt erkennbar macht und für Angehörige anderer Klassen als fremd erscheinen lässt (1982, 277 ff.). Dieses Erkennen und Wiedererkennen ist in der Regel kein bewusster Vorgang, sondern einer des un- oder vorbewussten Wahrnehmens und Verarbeitens, weshalb Bourdieu den Habitus auch als das Klassenunbewusste bezeichnet anstelle eines mythischen und kaum je anzutreffenden Klassenbewusstseins, von dessen Abwesenheit dann gern auf die Nicht-Existenz von Klassen geschlossen wird (1985, 9 f.).

Wie es einen Klassenhabitus gibt, gibt es auch einen vergeschlechtlichten (oder Geschlechts-) Habitus. Die gesellschaftliche Konstruktionsarbeit an der Zweigeschlechtlichkeit gräbt ihre eindeutigen Zuweisungen und Anweisungen nicht nur in die Institutionen und ungleichen Chancenstrukturen für Männer und Frauen ein, sondern ebenso in deren Körper in Form von geschlechtstypischen Haltungen, Empfindungsweisen, Ängsten, Vorlieben, die Männer und Frauen i.d.R. von selbst, ohne äußeren Zwang die ihnen zugedachten Orte, Positionen, Tätigkeiten aufsuchen und auswählen lässt. Die Politisierung der Körper oder die Somatisierung des Politischen, wie Bourdieu (1997) diesen Vorgang genannt hat, macht eine Veränderung und Aufhebung der geschlechtlichen Ungleichheit so schwierig, da sie, wie jede Form symbolischer Gewalt, auch auf der weitgehend unbewussten, weil körpergewordenen, Zuarbeit, collusio, der Beherrschten, hier der Frauen, beruht.

In Bourdieus Modell des sozialen Raums werden vertikal je nach Gesamtumfang von ökonomischem und kulturellem Kapital, über das verfügt wird (viel, mittel, wenig) die drei großen Klassen (Groß)Bürgertum, Kleinbürgertum und Volksklassen mit ihrem jeweiligen Habitus und Lebensstil (Distinktion, Prätention und Wahl der Notwendigkeit) gebildet, die je nach Zusammensetzung der beiden Kapitalarten (relativ viel kulturelles und wenig ökonomisches, gleichviel von beidem oder umgekehrt viel ökonomisches und wenig kulturelles Kapital) horizontal in Klassenfraktionen differenziert werden.

Soziale Klassenmilieus

Michael Vester u.a. (1993) haben dieses Modell des sozialen Raums auf Deutschland übertragen und empirisch fundiert neun soziale Klassenmilieus gebildet, von denen wir theoretisch und bei der Auswahl der von uns befragten Paare ausgegangen sind. Aus den so konstruierten neun sozialen Milieus, je drei in der Ober-, Mittel und Arbeiterklasse – von rechts nach links nach Grad der Modernisierung bzw. des Verfügens über relativ mehr kulturelles als ökonomisches Kapital angeordnet – haben wir unsere Paare aus drei modernisierten und einem teilmodernisierten Milieu ausgewählt (vgl. nachstehende Übersicht).

Übersicht: Die lebensweltlichen Sozialmilieus der pluralisierten Klassengesellschaft

Tabelle siehe Datei zum Download

Anordnung der SINUS-Lebensstil-Milieus für Westdeutschland nach Bourdieus Konzept des sozialen Raums und des Habitus der Klassenfraktionen. Die Prozentzahlen markieren die Veränderung von 1982 bis 1992 (aus Vester u.a., 1993, 16).

Diese Paare stammen aus dem Alternativen Milieu respektive der mit relativ viel kulturellem, aber weniger ökonomischem Kapital ausgestatteten Fraktion der Oberklasse aus Oberschul- und HochschullehrerInnen und etablierten Künstlern u. ä..; aus dem Hedonistischen Milieu, respektive dem von Bourdieu so genannten Neuen Kleinbürgertum der Öko-, Kreativ- und Beratungsberufe; aus dem Neuen Arbeitnehmermilieu, in dem sich v.a. jüngere und besser ausgebildete ArbeiterInnen und Angestellte finden, die aus Arbeiterfamilien stammen und einerseits eine Horizonterweiterung erfahren haben, andererseits aber an den egalitären Normen ihres Herkunftsmilieus festhalten; aus dem technokratisch-liberalen Milieu respektive der mit gleichermaßen viel ökonomischem und kulturellem Kapital ausgestatteten mittleren Fraktion der Oberklasse aus Freiberuflern und Führungskräften. Die Auswahl aus modernisierten bzw. teilmodernisierten Milieus begründet sich u.a. damit, dass wir in Bezug auf die Ausgestaltung des Geschlechterverhältnisses eher Tendenzen untersuchen wollten und insofern weniger an den „Auslaufmodellen“ der schrumpfenden traditionellen Milieus interessiert waren.

Geschlecht als Strukturkategorie

Was die andere Seite des Verhältnisses von Klasse und Geschlecht angeht, so haben wir uns bei den Theorien des Geschlechterverhältnisses insbesondere auf Regina Becker-Schmidts Konzepte von Geschlecht als Strukturkategorie (1993) und der doppelten Vergesellschaftung von Frauen (1987) gestützt. Ihr zufolge strukturiert die Geschlechtszugehörigkeit (ähnlich wie die Klassenzugehörigkeit) systematisch die Möglichkeiten und Chancen, objektive wie subjektive, die jemand in dieser Gesellschaft hat. Außerdem sind Frauen grundsätzlich in zwei Praxisbereichen vergesellschaftet: dem Bereich der privaten Haus- und Familienarbeit und dem Bereich der Erwerbsarbeit.

Des Weiteren hat Ursula Beer (1990) das bei uns herrschende Verhältnis zwischen den Geschlechtern als doppelten Sekundärpatriarchalismus gekennzeichnet. Im Gegensatz zum klassischen patriarchalischen System bezeichnet der Sekundärpatriarchalismus den Umstand, dass fast ausschließlich Männer Positionen mit Macht- und Herrschaftsbefugnissen besetzen, und dies, nach der historischen Trennung in Erwerbs- und öffentliche Sphäre auf der einen, Familien- und Privatsphäre auf der anderen Seite, zweifach: in Gestalt besser dotierter Posten im Produktions- und Politsystem und in Gestalt ökonomischer Abhängigkeit und einseitiger Verpflichtung zu generativer Versorgungsleistung im Reproduktionssystem für die Frauen.

Mit dem Fortwirken der alten (wenn auch in modernisierter Form) patriarchalischen Muster wird den Frauen institutionell und gewohnheitsmäßig unbewusst trotz formal gleicher Rechte immer noch eher der Platz drinnen, d.h. im Haus, im Privaten, bei den Kindern, im Gefühls- und Seelenleben, in den „weichen“ Studiengängen und Berufsfeldern zugewiesen, während das Draußensein, auf den Plätzen, in der Öffentlichkeit, in den Konkurrenz- und Machtkämpfen (der Männer) für Frauen immer noch für unpassend, weil unweiblich gehalten wird, auch von ihnen selbst. Bourdieu (1997, 1998) zufolge ist dies einer der wichtigsten Effekte der auch bei uns andauernden männlichen Herrschaft mit ihren von der männlichen „libido dominandi“ angetriebenen männlichen Spielen, in denen die Männer zwar Macht und Ansehen akkumulieren, aber auch gefangen sind (das Privileg als Falle), während die Frauen dem Ausschluss von diesen Spielen den „luziden Blick“, das Durchschauen der Unsinnigkeit der den Spielen zugrunde liegenden Konkurrenzkämpfe verdanken.

Anlage und Ergebnisse der Studie

Mit diesem klassen- und geschlechtertheoretischen Rüstzeug ausgestattet haben wir uns an die empirische Erforschung des Verhältnisses von Klasse und Geschlecht gemacht, von deren Ergebnissen ich hier eine kleine Auswahl darstellen will. Methodisch haben wir uns der Untersuchung mithilfe der drei oben genannten Hypothesen (Geschlechts-, Klassen- und Klassengeschlechtshypothese), einer Datenauswertung des Sozioökonomischen Panels (1990 Westdeutschland) und (1994 geführten) Interviews mit Paaren aus vier modernisierten bzw. teilmodernisierten Klassenmilieus aus dem von Vester u.a. (1993) für Deutschland modifizierten sozialen Raum genähert.

Bei den Paaren handelte es sich um ein Arbeiterpaar, Herr und Frau F.: sie Lagerarbeiterin, er Lagerverwalter; ein Angestelltenpaar, Herr S. und Frau J.: sie Leiterin der Poststelle einer großen Versicherung, er Programmierer und freigestelltes Betriebsrats-Mitglied in derselben Versicherung; ein Lehrerpaar, Herr und Frau G.: sie beurlaubte Realschullehrerin, er Gymnasiallehrer, und ein Managerpaar, Herr und Frau S.-G.: sie Leiterin in der Verwaltung einer privaten Hochschule, er Geschäftsführer einer mittelgroßen EDV-Firma.

Die erstaunliche soziale Homogenität dieser Paare war kein Zufall. Die Überprüfung der sozialen Zusammensetzung der im sozio-ökonomischen Panel befragten Paare (ca. 1.200) ergab ein außerordentlich hohes Maß an Homogamie (Paarbildung in der eigenen Klasse). In der Regel wird in der eigenen Klasse, maximal eine Stufe höher oder tiefer (z.B. ungelernte Arbeiterin - angelernter Arbeiter), geheiratet. Unsere Daten widerlegen hier die in der „gender and class“-Debatte von Feministinnen geäußerte Vermutung, es gebe inzwischen so viele „cross class-families“, dass von der Klassenposition des in der traditionellen Sozialstrukturanalyse i.d.R. männlichen Haushaltsvorstands nicht mehr auf die Klassenposition der ganzen Familie bzw. der Frau geschlossen werden könne.

Beim Wohnen sehen wir zunächst, dass die Paare wie durch wundersame Fügung jeweils im sozial „passenden“ Viertel wohnen: das Arbeiterpaar in einem Arbeiterviertel, das Angestelltenpaar in einem gemischten, leicht kleinbürgerlich dominierten Viertel, das Lehrerpaar in einem von Akademikern und Selbständigen bewohnten Vorort mit Eigenheimen, das Managerpaar in einem innenstadtnahen Villenviertel. Neben dem Wohnviertel variieren auch Wohnform und Wohnungsgröße sehr stark nach Klassenzugehörigkeit: während das Arbeiterpaar mit seinem 19-jährigen Sohn eine 68 qm-Genossenschaftswohnung bewohnt, wohnt das Angestelltenpaar allein in einer 80 qm-Mietwohnung, das Lehrerpaar mit seinen drei kleinen Kindern in einem 135 qm großen, von Frau G.s Erbteil gekauften Haus mit sehr großem Garten und das Managerpaar auf 180 qm einer Jugendstilvilla, die es mit einem befreundeten Paar in ähnlicher sozialer Lage gekauft hat. Frau S.-G. bewohnt außerdem unter der Woche ein Appartement an ihrem entfernt liegenden Arbeitsort.

Auch bei der Wohnungseinrichtung finden wir klassenspezifisch stark differierende Stile. Während beim Arbeiterpaar nach der Maxime „praktisch-preiswert-hell“, den bei einem Haushaltseinkommen von 4.100,- DM sehr beschränkten Möglichkeiten entsprechend, verfahren wird, mit gelegentlichen „exotischen“ Ausreißern (ein teurer Duoherd, ein Wasserbett, eine Vogelspinne) quasi als Entschädigung für die Permanenz der Einschränkung, folgt die Einrichtung beim Angestelltenpaar eher der Maxime, ein leicht romantisch angehauchtes Ambiente für seine auf seelisch-geistigen Austausch und Freiheit von Zwängen und sonstigen Bindungen gegründete Zweisamkeit zu bieten. Dagegen zeichnet sich der Stil des Lehrerpaars durch den Bourdieu zufolge typischen asketischen Aristokratismus dieser an kulturellem Kapital reichen, an ökonomischem Kapital relativ armen Fraktion der herrschenden Klasse aus: auf Basis eines Haushaltseinkommens von 5.300,- DM für fünf Personen wird an allem „Materiellen“ (Essen, Trinken, Kleidung etc.) gespart, aber Wert darauf gelegt, bei der Einrichtung das Verfügen über viel kulturelles Kapital gebührend zu demonstrieren: geerbte alte Teppiche und Möbelstücke, ein Klavier, hohe Bücherregale, Lithographien und selbstgefertigte Skulpturen, ein nach langem Suchen gefundener Kirschbaumsekretär etc. Dem steht der eindeutige und durch keine finanziellen Hemmnisse eingeschränkte Luxus-Geschmack des Managerpaars gegenüber: ausgewählte Designermöbel auf Parkett mit teurem Teppich bilden hier eine durchgestylte Einheit.

Gegenüber dieser ausgeprägten Klassenspezifik der Wohnstile, die eindeutig die Klassenhypothese bestätigt, gibt es keine Eigenart des Lebensstils, die auf eine durchgängige Geschlechtsgemeinsamkeit beziehbar wäre. So sind es z.B. nicht immer die Frauen oder immer die Männer, die bei der Einrichtung das entscheidende Wort haben, sondern es sind gemeinsame Entscheidungen, bei denen jeweils der- oder diejenige einen stärker stilprägenden Einfluss zu haben scheint, der/die über mehr, v.a. geerbtes, kulturelles Kapital verfügt. Ansonsten gibt es klassenspezifisch unterschiedliche Zuständigkeiten für Mann und Frau: während beim Arbeiterpaar Frau F. für Kochen und Kleidung weitgehend allein zuständig ist und ihr Mann ihr beim Kochen zuarbeitet, spült und fürs Auto sorgt, ist beim Angestelltenpaar jeder individuell für alles zuständig; dagegen sind die Frauen in den beiden Oberklassepaaren für die Pflege der sozialen Kontakte zuständig und für die alltäglich sich wiederholenden wenig sichtbaren Dinge (z.B. tägliches Mittagessenkochen), während die Männer z.T. Gleiches tun, aber eher in außeralltäglicher, auffallender, öffentliche Anerkennung eintragender Form (z.B. Edelmenüs für Gäste). Hier findet sich also eine Bestätigung unserer Klassengeschlechtshypothese, derzufolge jede Klasse ihre eigene Form der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern entwickelt: unten zwar komplementär, in der Bewertung aber dennoch egalitär, in der Mitte radikal-egalitär und oben verbal-egalitär (Gleichverteilung der Hausarbeit gehört hier zum vielbeschworenen Programm), aber subtil doch hierarchisch.

Dagegen bestätigen sich auf dem Gebiet der Erwerbsarbeit sowohl Klassen- wie Geschlechtshypothese: zunächst einmal klaffen zwischen den Klassen hier Abgründe, etwa beim Einkommen. Von Arbeiterin und Arbeiter zu Angestellter und Angestelltem, von Angestellter und Angestelltem zu Lehrerin und Lehrer und von Lehrerin und Lehrer zu Managerin und Manager gibt es jeweils ca. 1.200,- bis 1.300,- DM Abstand beim Nettoeinkommen (ganz oben sogar 3.600,- bei den Frauen und 10.400,- bei den Männern). Dagegen ist bis auf das Managerpaar (7.500,- Differenz) der Abstand zwischen Mann und Frau innerhalb einer Klasse erheblich geringer (zwischen 500,- und 700,- DM). Insofern haben wir hier eine klare Dominanz der Klassenzugehörigkeit. Gleichzeitig ergibt sich aber eine durchgängige Geschlechtsgemeinsamkeit aus der jeweils gleichen Stellung der Frauen zu ihren Männern: die Frauen stehen innerhalb der gleichen Klassenlage sowohl hinsichtlich der beruflichen Position wie hinsichtlich des Einkommens stets eine Stufe tiefer. Die Daten unserer Paare entsprechen weitgehend denen des SOEP.[5][5]

Beim Einkommen wie auch beim beruflichen Status finden sich die Frauen in der gleichen Klasse also jeweils eine Stufe unter den Männern. Sie bilden damit, wie es Michael Mann in der „gender and class“-Debatte formuliert hat, „Pufferzonen“ zwischen den Männern ihrer eigenen Klasse und den Männern der Klasse darunter.

Interessanterweise verhält es sich auf der Ebene des Habitus ganz ähnlich wie auf der Ebene der Erwerbsarbeit: auch hier finden wir eine relative Dominanz der Klassenzugehörigkeit, d.h. Mann und Frau in einer Klasse haben mehr Habitusaffinitäten, mehr ähnlich ausgebildete Züge ihres Habitus, als jeweils der Mann mit den anderen Männern oder die Frau mit den anderen Frauen. Gleichwohl gibt es einige markante Geschlechtsgemeinsamkeiten, die aber immer relational, relativ zum männlichen Pendant in der eigenen Klasse, d.h. als Stellungsgemeinsamkeit, definiert sind.

Was das Arbeiterpaar in seinem Habitus vor allem eint, ist die ausgeprägte Gemeinschaftsorientierung. Gemeinsam ist ihm auch die große Aufmerksamkeit, die dem leiblichen Wohl geschenkt wird, eine große Offenheit und Affektivität, die beide ohne Scheu und Zurückhaltung erzählen lässt, wobei Frau F. affektiv ganz durchlässig ist, während Herr F. etwas ruhiger und besonnener wirkt.

Dagegen zeichnet das Angestelltenpaar einerseits ein großer Freiheitsdrang aus, der Protest gegen Zwänge aller Art, den beide gegen die einengende, kleinbürgerliche Erziehung ihrer in diesem Punkt sehr ähnlichen Mütter entwickelt haben. Dazu gehört auch die Freiheit von Bindungen und Verpflichtungen bis auf die Zweierbeziehung, die als Medium des Austausches und der Selbstfindung für sie im Zentrum des Interesses steht. Dieses Muster von „Zweisamkeit und Freiheit“ steht in engem Zusammenhang mit dem, was Bourdieu die „Genussverpflichtungsmoral“ des Neuen Kleinbürgertums (Bourdieu 1982, 573ff) genannt hat: der Wunsch und in gewisser Hinsicht auch Zwang, Spaß zu haben, das Leben zu genießen, sich selbst zu verwirklichen, der aus der Angst resultiert, nicht richtig genießen zu können.

Dagegen zeichnet sich der Habitus des Lehrerpaars durch eine gewisse Leidenschaftslosigkeit und Zufriedenheit mit dem aus, was es hat. Neben diesem asketischen Aristokratismus, der sie materiell bescheiden und kulturell anspruchsvoll sein lässt, eint Herrn und Frau G. auch eine ausgeprägte Sicherheitsorientierung (in beider Beamtenstatus und eigenem Haus realisiert) und eine utilitaristische Auslegung von Beziehungen. Sie bilden als Paar eine erfolgreiche Interessengemeinschaft und unterhalten auch zu Verwandten und Bekannten vorwiegend an Nützlichkeitsgesichtspunkten orientierte Beziehungen.

Dagegen eint das Managerpaar eine absolut dominante Erfolgsorientierung, die sich in einer alle anderen Lebensbereiche überwuchernden Erwerbsarbeit realisiert, unter deren Konsequenzen, nämlich einem sinnlichkeits- und geselligkeitsarmen Leben von Arbeitsmonaden, Frau S.-G. allerdings etwas leidet, während Herr S.-G. dem Workoholismus als Sucht völlig verfallen ist. Gemeinsam haben sie auch den Luxus-Geschmack und die Freude an gutem Essen, wenn sie denn am Wochenende Zeit dazu haben, wobei es ihnen wichtig ist, jederzeit ohne großes Überlegen ein paar hundert Mark für ein Essen oder ein paar Tausend für Kleidung ausgeben zu können.

Die die Beziehungen der Paare auf Basis dieser Klassen-Habitus strukturierenden Muster ließen sich kurz gefasst vielleicht folgendermaßen charakterisieren: beim Arbeiterpaar „Gemeinsamkeit“, beim Angestelltenpaar „Zweisamkeit und Freiheit“, beim Lehrerpaar „Interessengemeinschaft“ und beim Managerpaar „Erfolgsgemeinschaft“.

Bei allen Gemeinsamkeiten qua Klassenhabitus zwischen Mann und Frau in einer Klasse gibt es doch auch einige Gemeinsamkeiten qua Geschlechtszugehörigkeit, die auf so etwas wie Züge eines Geschlechtshabitus schließen lassen (wobei zu überlegen wäre, ob nicht am sinnvollsten von vergeschlechtlichtem Klassenhabitus gesprochen werden sollte, wie es Bourdieu in einem Gespräch mit Irene Dölling und mir einmal vorgeschlagen hat (in Dölling/Krais [Hrg.], 1997). Dabei sind diese Geschlechtsgemeinsamkeiten stets relativ zu sehen, bezogen auf das jeweils gegengeschlechtliche Pendant in der eigenen Klasse, nicht absolut.

Relativ betrachtet haben die Männer jeweils eine ausgeprägtere und entschiedenere Erwerbsarbeitsorientierung als die Frauen, mit früh festgelegten und gradlinigen Erwerbsverläufen, während die Frauen hier sehr viel unbestimmter in ihren Vorstellungen wie auch diskontinuierlicher in den realen Erwerbsverläufen sind (absolut betrachtet dagegen hat z.B. die Managerin eine viel ausgeprägtere Erwerbsarbeitsorientierung als der Arbeiter und der Lehrer, nur im Vergleich zu ihrem Mann steht sie der Erwerbsarbeit distanzierter gegenüber). Zum Zweiten sind die Frauen relativ affektiver und bedürfnisbezogener als ihre Männer, weniger um Selbstkontrolle und -beherrschung bemüht. Während die Männer stärker leistungs- und regelbezogen agieren, sind die Frauen eher geneigt, auch Bedürfnisse zum Bezugspunkt ihres Handelns zu machen (aber auch hier ist absolut gesehen z.B. die Lehrerin viel kühler und kontrollierter als der Arbeiter). Gleichzeitig scheinen die Frauen eher an Beziehungen interessiert, während die Männer sich lieber in eine Materie versenken (Computer, Dampfmaschinen, Handwerken, Lagerorganisation); die Frauen scheinen pragmatischer, nehmen die Dinge nicht so prinzipiell und genau. Sie ärgern und amüsieren sich über ihre Männer, die in ihre „männlichen Spiele“ (wie Bourdieu das genannt hat) verstrickt sind, sei es nun die Leidenschaft für den Computer, die Politik oder das Drei-Sterne-Menü für ausgewählte Gäste.

Resumée

Was sagen diese Ergebnisse nun in Bezug auf die Ausgangsfrage nach dem Verhältnis von „Klasse und Geschlecht“?

Zunächst einmal machen sie deutlich, dass beide Kategorien nach wie vor relevante Strukturkategorien sind, die systematisch den Angehörigen verschiedener Klassen wie denen verschiedener Geschlechter unterschiedliche Plätze in der Gesellschaft zuweisen. Neben dieser objektiven Strukturierung wirken sie aber auch strukturierend auf der Ebene der Subjektivität, der Habitusformen, die ihrerseits zur Reproduktion dieser objektiven Strukturen beitragen (können).

Von einer Gesellschaft ohne Klassenunterschiede lässt sich im Lichte dieser Ergebnisse schwerlich reden. Sowohl auf der Ebene von Arbeit und Einkommen, wie auf der des Lebensstils, als auch auf der der Habitusformen sind Klassenunterschiede markant und deutlich sichtbar. Dass Individualisierung die Klassenstrukturierung ersetzt hätte, kann man so jedenfalls nicht behaupten. Auch tritt Individualisierung als Verhaltensmuster anscheinend nicht in allen Klassen gleichermaßen auf – hier scheint immer noch eher eine Trennlinie zwischen Arbeiterklasse mit einer dominanten Gemeinschaftsorientierung und den anderen Klassen mit ihren verschiedenen Spielarten von Individualismus zu verlaufen.

Ebenso wenig kann man sagen, dass die geschlechtliche Ungleichheit (wie immer man sie begründen oder ableiten mag) bedeutungslos geworden wäre. Sowohl was die objektiven Chancen, als auch was die Verhaltensmöglichkeiten angeht, wirkt das Geschlecht differenzierend und das Geschlecht Frau jedenfalls in den öffentlichen Zusammenhängen nach unten drückend, was etwa beim Einkommen deutlich sichtbar ist.

Gleichzeitig zeigen uns die Ergebnisse aber, dass die Geschlechtsunterschiede doch recht weitgehend von den Klassenunterschieden überlagert und dominiert werden, also in stärkerem Maße sich die von uns formulierte Klassenhypothese bestätigt. Die Gemeinsamkeiten und Affinitäten zwischen Mann und Frau innerhalb einer Klasse scheinen i.d.R. größer als die zwischen Frauen (oder Männern) über die Klassengrenzen hinweg. Wie wir gesehen haben, sind die Einkommensunterschiede qua Klassenzugehörigkeit weitaus größer als die innerhalb einer Klasse qua Geschlecht. Unabhängig davon bestätigt sich aber auf jeden Fall, insbesondere was die häusliche Arbeitsteilung angeht, unsere dritte, die Klassengeschlechtshypothese, derzufolge jede Klasse und Klassenfraktion ihre je eigene Vorstellung und Realisierungsform von Weiblichkeit und Männlichkeit hat.

Literatur

Beck, Ulrich, 1983: Jenseits von Stand und Klasse?, in: Kreckel (Hrsg.), S. 35-73

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[1][6] So machte der Soziologietag 2004 die verschiedensten Facetten sozialer Ungleichheit erstmals wieder öffentlich zum Thema.

[2][7] Als Überblick hierzu: Crompton/Mann (Hg.), Gender and Stratification, 1986

[3][8] In der britischen Soziologie, vor allem am Birminghamer Centre for Contemporary Cultural Studies, schon lange theoretisch auch so vertreten und empirisch gut erforscht.

[4][9] Das sich deswegen auch besonders gut zur Verschleierung sozialer Vererbungsprozesse eignet, weil es als körpergewordene Fähigkeit wie angeboren wirkt und nicht als Resultat vielfältiger klassenspezifischer Einprägungsarbeit vor allem in der Familie erscheint.

[5][10] Siehe Berechnungen nach SOEP, 7. Welle West, s. P. Frerichs, 1997, S. 214.

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