Berichte

Tradition der Linken und Programmdebatte

Tagung der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Leipzig, 19./20. Februar 2010

Juni 2010

Die Veranstalter der Konferenz „DIE LINKE – Erbe und Tradition“, ausgerichtet von der Rosa Luxemburg Stiftung und ihrer Landesstiftung in Sachsen, hatten ihre Tagung so konzipiert, dass Historiker und HistorikerInnen, mehrheitlich aus der Linkspartei oder ihr nahestehend, Gelegenheit bekamen, aus einer historisch-kritischen Standortbestimmung heraus Impulse für die aktuelle Programmdebatte der Linkspartei zu geben. Dazu wurde ein Doppelband mit Aufsätzen zur Geschichte der Arbeiterbewegung konzipiert und im Berliner Dietz-Verlag veröffentlicht, der nun auf einer gleichnamigen Konferenz in Leipzig vorgestellt wurde. Dieses Werk enthält eine ganze Reihe von wohlrecherchierten Beiträgen, die Traditionen linker Politik freilegen, die für das Selbstverständnis linker Politik heute relevant sind. Der Sachverstand und die Energie, mit der sich engagierte HistorikerInnen in die Selbstfindung der Linkspartei einmischen, sind einzigartig und bemerkenswert in Zeiten einer von ahistorisch-eventhafter Tagespolitik geprägten öffentlichen Debatte.

Es ist allerdings fraglich, ob sich historische Impulse und Bezüge reibungsfrei in aktuelle Parteipolitik übersetzen lassen – es droht stets die Gefahr der Vereinnahmung von Personen und Gruppierungen, wie sie im Kalten Krieg von SED und SPD gleichermaßen exzessiv betrieben wurde – die Geschichte selbst als ergebnisoffenes Kontinuum blieb dabei auf der Strecke. Eine Geschichte der Arbeiterbewegung hat heute potentiell die Möglichkeit, sich aus diesem Dilemma zu befreien. Die anhaltende Unsicherheit seit 1990 trägt die Chance in sich, einen ganz neuen Blick auf das von der sozialistischen Bewegung formulierte Projekt der Emanzipation zu werfen.

Wertvolle Impulse dazu waren auf der Leipziger Konferenz auf jeden Fall vorhanden – etwa in dem Referat von Wolfgang Schröder zum Wirken von Marx und Engels in der Revolution von 1848. Schröder schilderte die Geschichte eines fehlgeschlagenen Zusammenspiels von Intellektuellen und politischem Handeln, indem er quellenreich nachwies, wie sehr Marx und Engels die 1848 erstmals vollzogenen Gründungen von Gewerkschaften und Arbeitervereinen auf gesamtdeutscher Ebene unterschätzten – Gründungen, die letztlich zur Keimzelle der gesamten organisierten Arbeiterbewegung in Deutschland wurden.

In anderen Teilen der Konferenz fehlte jedoch dieser ergebnisoffene Blick auf die Vergangenheit – etwa in der Einführungsveranstaltung am Freitag, in der neben dem Linkspartei-Vorsitzenden Lothar Bisky und der sozialdemokratischen Ikone der Arbeitergeschichtsschreibung Helga Grebing eine ganze Reihe von Diskutanten das Thema vorstellten. Abgesehen von der Überladung des Podiums, dessen zahlreiche TeilnehmerInnen kaum auf der Bühne Platz fanden, dominierte hier nicht die Geschichte, sondern die Tagespolitik. Helga Grebing etwa fungierte hier weniger als die Expertin in Sachen Geschichte, sondern als Vertreterin der SPD, der sie seit über 60 Jahren angehört. Man kann es ihr kaum verübeln, wurde sie doch von der ganzen Anlage der Veranstaltung immer wieder in die Rolle der Parteisprecherin gedrängt. Denn für ihre jeweilige Partei sprachen natürlich auch Edelbert Richter, der von der DDR-Bürgerbewegung in die SPD und schließlich zur Linkspartei kam, sowie Lothar Bisky als deren Vorsitzender. Dabei konnte allerdings der Eindruck entstehen, es gehe weniger um Geschichte als um die Frage, wie weit sich SPD und Linkspartei aktuell schon annähern können und wo noch Differenzen liegen.

Wesentlich spannender war die Debatte um den Begriff des demokratischen Sozialismus, der einst der PDS ihren Namen verlieh und der von der SPD auch in ihrem aktuellen Programm nicht aufgegeben wurde. Sehr eng und dadurch auch irreführend war hier jedoch das Referat von Helga Grebing, die als Vertreter des Demokratischen Sozialismus vor allem jene Personen sah, welche als ehemalige Mitglieder der 1931 von der SPD abgespaltenen „Sozialistischen Arbeiterpartei“ später den Weg in die SPD fanden. Ihr prominentestes Beispiel für diese Vertreter des Sozialismus war unter anderem Willy Brandt. Immerhin kam aus dem Publikum in diesem Zusammenhang der Hinweis auf den antikommunistischen Radikalenerlass von 1972, der als Grundlage für zahlreiche Berufsverbote diente – und zuletzt 2004 (!) angewandt wurde.

Leider blieb der weitere Inhalt des Begriffs „Demokratischer Sozialismus“ ungeklärt. Zu fragen wäre, ob in dieser von Eduard Bernstein geprägten Formel die Abkehr von der Revolution schon enthalten ist, oder ob der Begriff sinnvoller Bezugspunkt ist für eine zeitgemäße Kritik an parlamentarischer Degeneration der SPD und autoritärer Entwicklung der KPD/SED. Dazu müsste freilich diskutiert werden, was SozialistInnen heute wollen, welche Impulse sie dafür aus der Geschichte entnehmen können. Eine kurze Kontroverse zur Rätedemokratie bot Gelegenheit für diese Debatte. Diese entstand jedoch eher unfreiwillig aus einem Referat von Manfred Lauermann, der das antimarxistische Godesberger Programm der SPD von 1959 als Leitschnur empfahl – mehr als verwunderlich für ein Mitglied der Historischen Kommission der Linkspartei. Die eigentliche Frage der immer wieder drohenden Abschleifung linker Prinzipien durch parlamentarische Integration konnte in Leipzig leider nur gestreift werden – ein lohnendes Thema für eine ganz eigene Veranstaltung. Die direkte Neigung zur Tages- und Parteipolitik hatte also einen unguten Einfluss auf die Konferenz und verhinderte bisweilen, dass historische Begriffe geklärt und für heutiges Handeln fruchtbar gemacht werden konnten. Dennoch ist der Impuls der Veranstaltung, historisches Wissen offensiv in politische Debatten zu tragen, alternativlos. Gerade deshalb ist zu hoffen, dass der ambitionierte Tagungsband eine breite Resonanz findet, und dass die Linke innerhalb und außerhalb der Parlamente sich ihre historischen Wurzeln wieder mehr bewusst macht.

Ralf Hoffrogge