Die Linke vor den Europawahlen – fragmentiert

19.03.2019
von Peter Wahl

Zu den Fragmentierungen, die sich gegenwärtig durch die Linke ziehen, gehören auch die europapolitischen Differenzen. Das schlägt sich auf die Wahlen zum EU-Parlament (EP) nieder, die vom 23. bis 26. Mai stattfinden. Anders als bei den letzten Wahlen, wo der Zusammenschluss der Linksparteien (Europäische Linke) mit Alexis Tsipras als Spitzenkandidat geschlossen antrat, werden jetzt zwei Plattformen getrennt kandidieren. Darüber hinaus wird sich mit DIEM25, der Bewegung des. griechischen Ex-Finanzministers Varoufakis, eine neue linke Formation beteiligen. Und natürlich werden die Grünen und die Sozialdemokraten jeweils mit eigenen Listen antreten.

Da es keine transnationalen Listen gibt, sind solche Bündnisse neben der symbolischen Bedeutung vor allem für die Formierung einer Fraktion nach den Wahlen relevant. Der Fraktionsstatus ermöglicht Zugang zu Finanzierung und parlamentarischen Rechten, z.B. zum Antragsrecht. Um Fraktion zu werden müssen mindestens 25 Abgeordnete aus mindestens einem Viertel der Mitgliedsstaaten – also aus sieben Ländern – zusammenkommen. Der Wahlkampf selbst findet aber nach nationalen Regeln und im Wesentlichen auch nach nationalen Themen und der jeweils innenpolitischen Dynamikstatt. Lediglich der Spitzenkandidat für die Kommission ist ein supranationales Element.

Maintenant le Peuple – stärkste Formation: Wenn man die Ergebnisse bei nationalen Wahlen als Kriterium nimmt, ist als stärkste Kraft das Wahlbündnis Maintenant le Peuple („Jetzt das Volk“) im Rennen. Es besteht aus PODEMOS (21 Prozent), La France Insoumise (19,6 Prozent), dem portugiesischen Bloqued’Esquerda (10,1 Prozent), sowie der schwedischen Linkspartei (7,9 Prozent), der dänischen Enhedslisten (7,7 Prozent) und dem finnischen Linksbündnis (7,1 Prozent).

Der entscheidende Unterschied zu ihren ehemaligen Mitstreitern in der Europäischen Linken besteht darin, dass sie den Bruch mit der neoliberalen Substanz der EU-Verträge anstrebt und nicht länger bereit ist, die EU in ihrer gegenwärtigen Verfasstheit als Ausgangspunkt ihrer Strategiezu akzeptieren: „Es ist Zeit mit den anti-demokratischen europäischen Verträgen zu brechen“ heißt es in der gemeinsamen Erklärung.[1] Für den Fall einer Regierungsübernahme wird deshalb Ungehorsam gegenüber den Verträgen angekündigt. Das entspricht der sog. Plan B Strategie von Mélenchon: erst über einen Politikwechsel verhandeln (Plan A), und wenn dies nicht funktioniert, unilateraler Bruch z.B. mit dem Stabilitätspakt bis hin zum Ausritt aus dem Euro (Plan B).

In Deutschland ist das Bündnis nicht vertreten. Dass es jetzt eigenständig antritt, ist ein Rückschlag für die Europäische Linke und insbesondere für die deutsche Linkspartei, der damit die wichtigsten Partner abhanden kommen.

Europäische Linke: Angeführt wird die Europäische Linke von der deutschen Linkspartei (9,2 Prozent). Vorsitzender des internationalen Zusammenschlusses ist Gregor Gysi. Die in ihrem Land bedeutendste Mitgliedspartei ist SYRIZA. Allerdings hat Gysis Truppe dieses Mal nicht wieder Alexis Tsipras als Spitzenkandidaten nominiert, sondern eine Doppelspitze: Violeta Tomic von der slowenischen Partei Levica (9,3 Prozent) und der ehemalige Generalsekretär der belgischen Metallarbeitergewerkschaft MWB-FTGB, Nico Cue. Beide sind außerhalb ihres Landes unbekannt. Weitere Mitglieder sind die KP Portugals (8,2 Prozent), KP Böhmens & Mähren (7,7 Prozent), die französische KP (2,7 Prozent) sowie einige Kleinstparteien wie die KPÖ. Unbestätigten Berichten zufolge bemüht sich die SPD, SYRIZA in die sozialdemokratische EP-Fraktion hinüber zu ziehen.

Die im Januar 2019 verabschiedete Plattform für die EP-Wahlen lässt sich in der traditionellen Parole „Mehr Europa, aber anders!“ zusammenfassen. Die EU wird nicht grundsätzlich in Frage gestellt, obgleich ihre multiplen Krisen und Widersprüche ausführlich beschrieben werden. Anders als bei Maintenant le Peuple ist von einem Bruch der Verträge nicht die Rede. Es gibt einen umfangreichen Katalog von Einzelforderungen aus dem gängigen Repertoire linker Reformvorschläge.[2] Für dessen Durchsetzung wird auf Mobilisierung von unten und Zusammenarbeit aller fortschrittlichen Kräfte verwiesen.

Die Newcomer: Ursprünglich war DIEM25 als Bürgerbewegung gegründet worden. Hauptziel ist, bis 2025 eine grundlegende Demokratisierung der EU zu erreichen. „Denn die EU wird entweder demokratisch sein, oder sie wird zerfallen!“[3] Das Manifest von DIEM25 fand international breite Unterstützung. So hatte neben vielen Intellektuellen – von Noam Chomsky bis Slavoj Žižek– z.B. auch Katja Kipping unterzeichnet. Nachdem DIEM25 unter dem Label „Europäischer Frühling“ seine Kandidatur angekündigt hatte und damit zum Konkurrenten geworden war, stieg sie aus. Zudem will der linke Superstar aus Athen höchstpersönlich in Deutschland antreten.

Wie viele Stimmen er holen kann, ist schwer vorherzusagen. In einer Prognose von FORSA/Insa vom 14. Januar 2019 läuft der Europäische Frühling nur unter Sonstige. Die Linke käme auf 6 Prozent.[4] Nachdem Karlsruhe 2014 die 3%-Sperrklausel gekippt hatte und danach mehrere deutsche Kleinstparteien ins EP gekommen waren, könnte Varoufakis aber durchaus Chancen haben, zumindest einen Sitz zu gewinnen.

Als Indikator für Kräfteverhältnisse nur bedingt tauglich: Auch wenn das EP kein vollwertiges Parlament ist und im institutionellen Gefüge der EU nach Rat, EZB, Kommission, und EuGH machtpolitisch an letzter Stelle rangiert, wird der Symbolgehalt dieser Wahl von der staatstragenden Mitte zur Schicksalswahl deklariert. Es wird erwartet, dass das Ergebnis die Umbrüche in den politischen Systemen reflektiert, insbesondere eine Stärkung der Rechtsaußen-Fraktion.

Gerade weil es nicht um so viel geht wie bei nationalen Wahlen, wird weniger taktisch, d.h. das kleinere Übel gewählt und die Leute machen ihr Kreuz bei Parteien, mit denen sie sich tatsächlich am ehesten identifizieren können. Aus dem gleichen Grund aber ist die Beteiligung bei EP-Wahlen besonders gering. 2014 lag sie bei 42 Prozent. Gerade bei den unteren Schichten der Lohnabhängigen, Arbeitslosen und Marginalisierten ist die Nichtwählerquote besonders hoch. Gut verdienende, akademisch gebildete Gruppen in den metropolitanen Zentren können dagegen voll mobilisiert werden. Davon dürften vor allem die Grünen profitieren. So sagen z.B. Umfragen den französischen Grünen nach ihrem Desaster bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen eine Wiederauferstehung mit 8 Prozent voraus.

Insofern taugt diese Wahl als Indikator für die politischen Kräfteverhältnisse – auch innerhalb der Linken – nur bedingt.

[1] https://lafranceinsoumise.fr/2018/06/27/le-mouvement-europeen-maintenant-le-peuple-selargit/

[2] https://www.european-left.org/wp-content/uploads/2019/02/1.-EN-Electoral-Platform-2019-2.pdf

[3] https://diem25.org/manifesto-lange-version/

[4] Union 35%, Grüne 20%, SPD 15%, AfD, 10%, FDP 8%. https://dawum.de/Europawahl/