Prostitution/Sexarbeit

Was es mit dem Prostituieren auf sich hat und was das „Prostituiertenschutzgesetz" schützt

von Margarete Tjaden-Steinhauer
Dezember 2017

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Die folgenden Betrachtungen sind ein Versuch, eine Antwort auf die Frage zu finden, woher die Verbissenheit der bürgerlichen Staatsgewalt rührt, die Branche der sexuellen Dienstleistungen rechtlich aus den übrigen Gewerben auszugrenzen. Diese Frage stellt sich zumal, wenn sich die Staatsgewalt in einer Frau verkörpert. Und warum werden speziell die Akteurinnen der sexuellen Dienstleistungstätigkeit stigmatisiert und mit repressiven Maßnahmen an der Ausübung dieser Tätigkeit gehindert? Die Verbissenheit ist umso verwunderlicher, als heute zum einen per Gesetz offiziell klar gestellt ist, dass die sexuelle wie andere gewerbliche Dienstleistungen eine berufliche Tätigkeit ist, und zum anderen die Gesetzgebung mit dem Terminus „sexuelle Handlung“ offiziell zu einer neutralen und realistischen Sprachregelung in Bezug auf diese Tätigkeit gefunden hat. Sicherlich treten offensichtlicher als bei anderen Gewerben im Erscheinungsbild des sexuellen Dienstleistungsgewerbes ausbeuterische und kriminelle Machenschaften zutage, deren Leidtragende – ähnlich wie in anderen Gewerben – die tatsächlich tätigen Akteurinnen der Dienstleistung sind. Es wäre aber vorschnell anzunehmen, diese Machenschaften seien die genuine Begleiterscheinung der gewerblichen sexuellen Dienstleistungstätigkeit als solcher. Sie sind vielmehr zum einen als eine Folge der genannten staatsgewaltlichen Ausgrenzung und Repression zu verstehen und zum anderen dem sozialen Status geschuldet, der den Frauen seit langem gesellschaftlich zugewiesen ist und immer neu aufgezwungen wird: der Status der prokreativen Dienstbarkeit. Dieser Status manifestiert sich in der „patriarchalen Familie“, einer gesellschaftlichen Einrichtung, die aus der Erlangung einer politisch-ökonomischen Vormachtstellung auf Seiten der Männer erwachsen ist und die bis heute durch das vaterherrschaftliche Ritual der Ehe in Funktion gehalten wird. Ausgehend von diesen Vorüberlegungen werde ich die eingangs aufgeworfene Frage zu beantworten suchen.

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Zum Auftakt dieses Versuchs wird der Blick auf den offiziellen politischen Sprachgebrauch gerichtet, der sowohl die Titulierung des Gesetzes als ein „Schutz“edikt als auch die Benennung des Schutzgegenstandes, die gewerblichen Sexdienstleisterinnen, als „Prostituierte“ betrifft. Wie in 6 und 7 gezeigt wird, dient das Gesetz nicht wirklich dem Schutz dieser Gewerbetreibenden. Es trägt vielmehr dazu bei, die soziale Misere, vor der es diese „Schutzbefohlenen“ des Vaters Staat angeblich bewahren möchte, allererst zu schaffen. Indem es eine außergewöhnlich repressive staatliche Gewaltausübung gegenüber ihnen sanktioniert, verfestigt es offiziell aufs Neue deren soziale Stigmatisierung und wirtschaftliche Ausgrenzung. Die sprachlichen Täuschungen und das herrschaftliche Geheimnis um den tatsächlichen Adressaten der Schutzaktion, „die Familie“, werden in 3 bis 5 dargelegt.

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Wie kommt es, dass ein normales wirtschaftliches Tauschgeschäft in der Branche der sexuellen Dienstleistungen überhaupt einer und noch dazu in der Gegenwart einer verstärkten Strategie staatlicher Repression ausgesetzt ist? War mit dem Prostitutionsgesetz von 2001 (ProstG) doch endlich das Stigma der Sittenwidrigkeit fallen gelassen worden; war die Ausübung der sexuellen Dienstleistung als Beruf und war die Forderung nach dem vereinbarten Entgelt als rechtswirksamer Anspruch anerkannt worden. Die sexuelle Dienstleistung war unter den Schutz des Artikels 12, Absatz 1 Grundgesetz (GG) gestellt worden. (v. Galen 2004, 12) „Damit ist“, wie Margarete v. Galen formuliert, „auch das legale Betreiben eines Bordells als berufliche Tätigkeit anzusehen und genießt ebenfalls den Schutz von Art. 12 Abs. 1 GG“ (ebd., 13). Intention des ProstG von 2001 war es auch, „sozialversicherungspflichtige [...] Beschäftigungsverhältnisse durch entsprechende Änderungen im Strafrecht in Artikel 2 ProstG“ zu schaffen und, insoweit die sexuelle Dienstleistung als abhängige Beschäftigung erbracht wird, – jedenfalls teilweise – einem normalen Arbeitsverhältnis gleich zu stellen. (Ebd., 11; vgl. 200ff.)

Die neuerlich in verstärkte Repression zurück gefallene Politik operiert mit dem modernen Terminus „Prostitution“, der in Deutschland noch nicht allzu lange in Gebrauch ist. Dieser Terminus, der so klassisch-römisch anmutet, ist allen historischen Befunden nach in jenen antiken römischen Zeiten nicht gebraucht worden. Er scheint im 19. Jahrhundert aus dem Französischen in den deutschen Sprachgebrauch übernommen worden zu sein. So ist dieser Begriff in der „Satzung der Internationalen Abolitionistischen Föderation“ von 1901 zu finden sowie auch in Lily Brauns – im gleichen Jahr veröffentlichten – berühmten Werk „Die Frauenfrage“ (Kretschmar 2014, 370ff.; Braun 1979, 555). Als „terminus technicus“ der staatlichen Herrschaftsgewalt scheint das Wort „Prostituierte“ erstmals unter dem politischen Regime des Nationalsozialismus verwendet worden zu sein und zwar in dem „Vertraulichen Runderlass des Reichsministers des Inneren vom 9. 9. 1939“. Dieser Erlass sah vor, „dass die Polizei ‚Maßnahmen zur Erfassung der Prostituierten zu treffen und deren öffentliche Beaufsichtigung durch die Gesundheitsbehörden sicherzustellen habe’“ (Malkmus 2005, 57). Es ist zu ihren Gunsten anzunehmen, dass sich die Vertreter*innen der gesetzgebenden Gewalt im Deutschen Bundestag dieser Vorläufer nicht bewusst waren, als sie – bereits bei dem Gesetz von 2001 – fortfuhren, mit diesem Terminus zu operieren.

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Fahren wir mit einer – nicht unnützen – Wortspielerei fort: Es gibt das Wort „Prostitution“ und das Wort (der/die) „Prostituierte“. Sie sind abgeleitet von der Passivform des Verbs „prostituieren“ und besagen, dass jemand oder etwas prostituiert worden ist. In verständliches Deutsch übertragen, könnte gesagt werden, dass jemand „herabgewürdigt“ worden ist – und zwar von einer anderen Person, denn niemand kann sich selbst herabwürdigen. Deshalb ist, wenn von Frauen die Rede ist, die „sich prostituieren“ oder die „Prostitution treiben“, kein Faktum benannt, vielmehr eine Fiktion in Worte gefasst. In der Tat gibt es in der bürgerlichen Gesellschaft Frauen, die sexuelle Dienstleistungen käuflich anbieten und die tatsächlich unter Verwendung des Terminus Prostituierte von Staats wegen offiziell herabgewürdigt werden. Es kann daher gesagt werden, dass das Wort Prostitution eine durch staatliche Gewalt in Szene gesetzte Fiktion ist und dass das sprachliche Zeichen der Ausübung politischer Herrschaft dient. Mittels dieses Symbols wird eine Kategorisierung vor allem von Personen/Bürger*innen weiblichen Geschlechts vorgenommen und wird deren realem wie auch angedichtetem sexuellen Verhalten eine negative Wertung aufgeprägt. Auf diese Weise werden die betroffenen Personen gegenüber anderen realiter „herausgestellt“ oder „prostituiert“. Als uraltes fiktives Stigma für Anbieterinnen von sexuellen Dienstleistungen fungierte anscheinend schon im republikanischen Rom das dem deutschen „unehrenhaft“ entsprechende lateinische Wort. In der bürgerlichen Ära in Deutschland waren es vor allem die Worte „Unzucht treiben“ und „unzüchtig“, die in dieser Funktion dienten.

Die öffentlichen, geläufigen Redeweisen über die Person der Sexdienstleisterin zeichnen sich durch phantastische Verkehrungen der realen sozialen Interaktionen zwischen dieser und der männlichen Kundschaft aus. So sind seit langem Sprüche im Schwang wie die: diese Frauen „geben sich hin“ oder auch: sie „verkaufen sich“ bzw. „ihren Körper“. Danach gefragt, was bei der „entgeltlichen“ Erbringung sexueller Dienstleistungen in Wirklichkeit vor sich geht, geben die Gesetzestexte des ProstG von 2001 und des ProstSchG von 2017 die Auskunft, es handle sich dabei um „sexuelle Handlungen“. Eine Erläuterung des realen Sachverhalts, der mit diesen Worten bezeichnet ist, wird in den rechtlichen Kontexten nicht vorgenommen (vgl. v. Galen, a.a.O., 15; Malkmus, a.a.O., 73). Was den Begriff sexuelle Handlungen angeht, unternimmt das ProstSchG noch den Versuch einer Präzisierung. Danach ist die gemeinte sexuelle Handlung „eine [...] Handlung mindestens einer Person an oder vor mindestens einer anderen unmittelbar anwesenden Person“. Wenn mit diesem Präzisierungsversuch eine Spezifizierung des realen Sachverhalts beabsichtigt war, dann dürfte er als misslungen angesehen werden.

Der Begriff der sexuellen Handlung ist ein Wort, das auf eine soziale Realität Bezug nimmt, die sexuelle Interaktionen aller Art umfasst – seien sie „entgolten“ oder nicht, käuflich oder nicht, ehelich oder nicht. In dieser Realität besteht allerdings unter den Frauen eine Differenz in der Verfügung über ihr eigenes sexuelles und prokreatives Körpervermögen – je nachdem, ob sie eine Ehe eingehen oder nicht und statt dessen etwa oder auch zusätzlich sexuelle Dienstleistungen käuflich anbieten. Das fiktionale staatsgewaltliche Szenario der Prostitution verschleiert diesen Unterschied und stigmatisiert an dessen Stelle Letztgenannte, was eine Beeinträchtigung der Verfügung über ihr eigenes sexuelles Körpervermögen mit sich bringt. Verglichen mit der Frau, die sich mit der Ehe in akute prokreative Dienstbarkeit begibt, verfügt sie an sich frei über das eigene weibliche Sexual- bzw. Prokreationsvermögen. Dies dürfte der Stein des Anstoßes sein, der die Staatsgewalt zur Prostituierung der Frauen veranlasst, welche sexuelle Dienstleistungen gewerbsmäßig anbieten. Was diese Verfügung angeht, so agieren in der Branche der sexuellen Dienstleistungen die weiblichen Anbieterinnen auf „Augenhöhe“ mit den männlichen Nachfragern. Dabei nehmen die Frauen – ohne sich dessen in der Regel gewahr zu sein – ein Verhalten in Anspruch, das ansonsten das Privileg von Männern ist, gleichgültig ob bloß Mann oder Ehemann. Angesichts der herrschaftlichen Protektion der Familie und der öffentlichen Administration der Ehe durch den Staat liegt der Gedanke nahe, dass das staatsgewaltliche Regime der Prostitution sich einer Strategie verdankt, jener Einrichtung und Ge-pflogenheit mitsamt dem Status der prokreativen Dienstbarkeit der Frauen indirekt eine Stütze zu bieten.

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Mit der in ihrer Frühzeit offensichtlichen Vaterrechtlichkeit – man denke an das römische Ritual der Brautübergabe und des „manus-Erwerbs“ vom Vater bzw. „Gewalthaber der Braut“ durch den Bräutigam bzw. durch dessen väterlichen Gewalthaber (Manthe 2000, 31) – scheint die Ehe heute nichts mehr zu tun zu haben. Doch der Schein trügt: sie ist ein vaterherrschaftlicher Ritus geblieben, der nunmehr von der Staatsgewalt in Obhut genommen ist und wie ehedem die prokreativen Interaktionen der männlichen und insbesondere der weiblichen gesellschaftlichen Akteur*innen im Visier hat. Diese selbst und der aus der ehelichen Verbindung hervorgehende Nachwuchs sind heute einem Reglement staatlicher Registrierung und sonstiger Verwaltung unterworfen. Mit der Ehe besteht auch die patriarchale Familie fort – freilich in einer modernen Ausgestaltung. Letztere ist wie ehedem als vaterherrschaftliche gesellschaftliche Einrichtung zu verstehen. Sie gründet in einer natürlichen sozialen Einheit, die aus einem weiblichen Individuum und dem von ihm geborenen Nachwuchs besteht.

Wann und wie es gekommen ist, dass diese Einheit von einem männlichen Sexualpartner der Frau dominiert wurde, ist eine noch offene historische Frage. Es könnte sein, dass diese Domination im Zug der Herausbildung von herrschaftlicher Kontrolle über ein Siedlungsgebiet (Okkupation) aufgekommen ist, dessen Bewohner sich die Dargebote ihrer natürlichen Umwelt (Habitat) in zunehmendem Umfang und mit zunehmender Intensität aneigneten (Ausbeutung). Durch die Domination wird die ursprüngliche soziale Einheit von Mutter und Kindern modifiziert: die sozialen Interaktionen zwischen den Generationen und zwischen den weiblichen und männlichen Sexualpartnern erfahren eine vaterherrschaftliche Hierarchisierung. Die bei ihrer Geburt autonomen Individuen werden gezwungen, sich an gesellschaftliche Verhältnisse anpassen zu lassen, die durch Über- und Unterordnung sowie durch Ausbeutung und Bereicherung geprägt sind, wobei Frauen und Kindern der Status der Unterordnung zufällt.

Bei der Ausübung der väterlichen Verfügungsgewalt über die Kinder hat heutzutage auch die Mutter ein gleiches Mitwirkungsrecht. Um den Bestand der Familie und die Erfüllung ihrer gesellschaftlichen Funktionen zu gewährleisten, steht ihren Angehörigen jetzt eine entsprechende staatliche Administration als Beistand zur Seite. Die Ausweitung des Rechts auf die Ausübung der väterlichen Gewalt, die heute „Sorge“ genannt wird, auf die Mutter – als solcher ein fragwürdiger Erwerb sozialer Herrschaftsbefugnis für diese – bedeutet noch lange nicht, dass es um die eheliche prokreative Interaktion von Frau und Mann in der gegenwärtigen Familie nicht mehr vaterherrschaftlich bestellt wäre. Gerade was diese Familie angeht, trügt der Schein einer geschichtsvergessenen Selbstverständlichkeit, dem die sozialen Interakteur*innen heute gemeinhin aufsitzen, nur allzu sehr. Wenn die Frauen ihren Verstand, den sie bei der Geburt mitgebracht haben, walten und zu Wort kommen lassen würden bzw. könnten, müssten sie sich sagen, dass sie weder des Ritus der Ehe noch der sozialen Konstrukte des Ehemannes und des Familienvaters bedürften, um Kinder zu haben und sie aufwachsen zu lassen. Eine Frau, die sich heute auf die überkommene familiale Organisation einlässt, zollt der althergebrachten väterlichen Gewalt einen Tribut. Sie lässt sich auf mehr als nur eine sexuelle Bindung an eine Person mit anderen als den eigenen natürlichen Prokreationsfähigkeiten ein. Der Begriff der prokreativen Dienstbarkeit stellt die soziale Entgegensetzung der beiden Individuen unter den Bezeichnungen „Mann“ und „Frau“ heraus und hebt die spezielle hierarchische Positionierung hervor, in die die Frauen aufgrund ihrer besonderen Prokreationsfähigkeiten gesellschaftlich geraten sind. Es sind Fähigkeiten, die sie dem Mann zu dessen eigener herrschaftlichen Nutzung überlassen. In dem obwaltenden familialen Über- und Unterordnungsverhältnis ist den weiblichen Individuen die Position der Unterordnung zugewiesen. Dieses hierarchische Verhältnis der prokreativen Interaktion zwischen Frauen und Männern hat eine faktische und eine fiktive Dimension. Was die faktische Seite angeht, sind die Frauen gezwungen, die Verfügung über ihr natürliches Prokreationsvermögen aus der Hand zu geben. Sie sind gehalten, einer anderen Person wenn nicht ein Vorrecht in der Verfügung, so doch eine Mitverfügung über dieses eigentümliche Potential ihres Körpers zu gewähren – ganz zu schweigen von der väterlichen Gewalt über ihren Nachwuchs an menschlichen Lebewesen. Deren Hervorbringung ist einzig und allein ihre Leistung als autonomes menschliches Lebewesen und gesellschaftliches Individuum, das mit der unveräußerlichen natürlichen Gabe ausgestattet ist, zu gebären.

Und wohlgemerkt: Um diese Gabe als natürliches Vermögen gesellschaftlich zu aktivieren, bedarf es keiner „Empfängnis“, keiner „Befruchtung“, und schon gar keiner „Zeugung“ – allesamt Worte, in denen sich androkratische Fiktionen verbergen. Die der Frau herrschaftlich zugemutete prokreative Dienstbarkeit, die einer Preisgabe ihrer selbst als eigenständiges und selbstbewusstes menschliches Individuum gleich kommt, hat ein Spiegelbild auf Seiten des Mannes. Hier tritt gleichsam als fiktive Wiedergeburt in Erscheinung, was auf Seiten der Frau zum Verschwinden gebracht wurde, eine Potenz des männlichen Körpers, die vorgibt, aus eigenem – so zu sagen aus sich heraus – Nachwuchs zu generieren. Dieser androzentrisch-vaterherrschaftliche Mythos verfängt nicht, wenn Frauen männlichen Kunden sexuelle Dienstleistungen käuflich zur Verfügung stellen. Die Ehe ist auch heute noch in der eben beschriebenen Weise beschaffen. Sie stellt ein Reglement prokreativer Unterordnung der Frau und ihres Nachwuchses unter den Mann und Vater dar, ein Reglement, das mit dem der ökonomischen Vormachtstellung der Männer in der Gesellschaft gepaart ist. Hinzu kommt, dass – wie oben angesprochen – auch die Staatsgewalt darauf angewiesen ist, dass die Ehe als Institution fortbesteht, damit sie über einen Nachwuchs an Bürgern verfügt, die die Ihren sind. In diese Perspektive gestellt, wird das politische Szenario der Prostituierung der Frauen in der Branche der sexuellen Dienstleistungen nicht falsch gedeutet sein, wenn es als Strategie verstanden wird, die ein Feindbild schafft und einen gesellschaftlichen Gegensatz unter den Frauen bewirkt, um insgesamt deren gesellschaftlichen Status der prokreativen Dienstbarkeit sicher zu stellen.

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Der Exekutive oder ausführenden Gewalt des Trios der bürgerlichen Staatsgewalten fällt unter anderem die Aufgabe zu, die Staatsbürger*innen und übrigen Bewohner*innen des Staatsgebietes zu verwalten, d. h. im wesentlich zu registrieren und hinsichtlich der Befolgung der ihnen auferlegten herrschaftlichen Verpflichtungen zu überwachen. Vereinfachend dargestellt, kann gesagt werden, dass Registration und Überwachung vor allem vor Ort, wo die Einwohner leben, in den Kommunen stattfinden. Hier operieren die lokalen Ämter in den städtischen und anderen kommunalen Verwaltungen: Einwohnermeldeämter, Jugendämter, Gewerbeämter, Gesundheitsämter, Polizei etc. Diese Ämter sind nicht erst dem ProstSchG von 2017 zufolge auch für die Registrierung, Überwachung und Kontrolle der gewerblich im sexuellen Dienstleistungssektor tätigen Bürger*innen zuständig. Das diesbezügliche Schema der Verwaltungszuständigkeiten lässt sich bereits in der Gesetzgebung des Allgemeinen Preußischen Landrechts (ALR) von 1794 beobachten (vgl. Malkmus, a.a.O., 18f).

Schon auf den ersten Blick verrät das ProstSchG von 2017 der Betrachter*in ein Bestreben nach Repression, die auf die Diskriminierung des gesamten Gewerbezweiges hin angelegt ist. Und es suggeriert zudem in den „Begriffsbestimmungen“ in Abschnitt 1, über die „Prostituierte“, über „die Ausübung der Prostitution“ und „das Prostitutionsgewerbe“ genau Bescheid zu wissen. Sowohl die „Prostituierte“, sprich Sexdienstleisterin oder Sexdienstanbieterin, als auch der „Betreiber“, sprich Betriebsstättenleiter*in im Sektor sexuelles Dienstleistungsgewerbe, sind (nach Maßgabe der Abschnitte 2 und 3 des ProstSchG von 2017) einer Vielzahl von Verpflichtungen unterworfen, mittels deren ihre Tätigkeiten aus der übrigen gewerblichen Wirtschaft ausgegrenzt werden und infolge deren ihnen ein Status zugewiesen ist, in dem ihnen die Regularitäten staatlicher gewerblicher Administration vorenthalten sind. Um einige der repressiven Gesetzesvorgaben zum Verständnis anzuführen: Sexdienstleisterinnen haben „persönlich“ einer „Anmeldepflicht“ bei der „Behörde“ nachzukommen, wobei sie zahlreiche „erforderliche Angaben und Nachweise“ zu erbringen haben (§§ 3, 4). „Bei der Anmeldung ist ein Informations- und Beratungsgespräch zu führen“, wofür ein inhaltlicher Leitfaden vorgegeben ist und zu dem Dritte mit Zustimmung der einen wie der anderen Seite hinzu gezogen werden können (§§ 7, 8, 9). Die Sexdienstleisterinnen haben „bei der Ausübung der Tätigkeit die Anmeldebescheinigung oder die Aliasbescheinigung mitzuführen“ (§§ 5, 6). Sie haben „eine[r] Verpflichtung zur gesundheitlichen Beratung durch eine für den Öffentlichen Gesundheitsdienst zuständige Behörde“ nachzukommen und die „Bescheinigung“ darüber ebenfalls „bei der Ausübung der Tätigkeit“ dabei zu haben (§ 10). Die für die Führung eines wirtschaftlichen Betriebs in der sexuellen Dienstleistungsbranche gleichfalls erforderliche „Erlaubnispflicht“ ist mit der Vorlage eines „bestimmten Betriebskonzepts“ verknüpft, wobei die Bedeutung des Wortes „bestimmt“ völlig im Ungewissen belassen ist (§ 12, 16). „Die Erlaubnis ist bei der zuständigen Behörde zu beantragen“, wobei im Fall „einer natürlichen Person Name, Geburtsdatum und Anschrift derjenigen Person, für die die Erlaubnis beantragt wird, bei einer juristischen Person oder Personenvereinigung deren Firma, Anschrift, Nummer des Registerblattes im Handelsregister sowie deren Sitz“ „beizufügen“ sind. Sie „kann befristet werden“ oder auch „versagt“, und von „der zuständigen Behörde“ kann die „Zuverlässigkeit einer [antragstellenden] Person“ überprüft werden („Zuverlässigkeitsprüfung“) (§§ 12, 14, 15). Dazu kommt eine Flut weiterer Pflichten bis hin zur Verpflichtung in Abschnitt 6, „Kundinnen und Kunden von Prostituierten sowie Prostituierte“ auf die „Kondompflicht“ hinzuweisen (§ 32). Das ProstSchG von 2017 geht in seinem Repressionsbestreben so weit, in Abschnitt 5 eine „Überwachung des Prostitutionsgewerbes“ vorzuschreiben, die unter Fingierung „dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ nicht nur implizit, sondern sogar auch offen in grundgesetzlich verbrieftes Recht eingreift.“ Zur Verhütung“ eben jenes Unheils „können Grundstücke, Geschäftsräume und die für sexuelle Dienstleistungen genutzten Räume auch außerhalb der [...] üblichen Geschäftszeiten betreten werden. Dies gilt auch dann, wenn sie zu Wohnzwecken dienen. Die betroffene Person oder Dritte, die Hausrecht an den jeweiligen Räumen haben, haben die Maßnahme [...] zu dulden; das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung [...] wird insoweit eingeschränkt“ (§ 29). Es versteht sich beinahe von selbst, dass eine Ahndung „ordnungswidrigen“ Verhaltens vorgesehen ist. Hierzu wird die stattliche Zahl von 14 „Bußgeldvorschriften“ erlassen und werden „Bußgelder“ festgelegt, die – man lese und staune – nicht unter „tausend Euro“ liegen und auf „bis zu fünfzigtausend Euro“ steigen können (§ 33).

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Bei der Suche nach dem aktuellen Anlass für den Erlass des ProstSchG von 2017 wird man leicht fündig. Die Bundesrepublik Deutschland ist wie andere europäische und sonstige Länder ein Einwanderungsland. Viele unter den in der sexuellen Dienstleistungsbranche tätigen Frauen sind Migrantinnen aus europäischen und anderen Staaten. Es ist bekannt, dass die menschliche Spezies gern wandert, aber auch, dass das Wandern menschlicher Individuen heutzutage seinen Antrieb eher in existentiellen Notlagen hat. Um diese Wanderungsnormalitäten zu regeln, wäre ein Einwanderungsgesetz von Nöten. Alle diejenigen, die – mit der Ausübung politischer Gewalt in Legislative und Exekutive betraut – beim Zustandekommen des ProstSchG von 2017 mitgeholfen haben, scheinen statt dessen auf die „Eindämmung“ der Migration gesetzt zu haben. Bei der Exekution einer Politik der Eindämmung kann ein fiktives Feindbild wie das der „Prostitution“ und der „Prostituierten“ frei nach dem Motto: „migrierende Sexdienstleisterinnen halten deutsche Männer vom Zeugen ab“ für populistische Propaganda gebraucht werden, und zugleich kann mit dem Phantasma vom „Aussterben der deutschen Nation“ eine Familienpolitik nach dem hergebrachten – in den letzten Jahrzehnten allerdings repromedizinisch aufgerüsteten – Muster der patriarchalen Dienstbarkeit der Frau weiter betrieben werden.

Literatur

Braun, Lily: Die Frauenfrage. Ihre geschichtliche Entwicklung und ihre wirtschaftliche Seite, Berlin, Bonn 1979 (Nachdruck d. 1901 im Verl. Hirzel, Leipzig, erschienen 1. Aufl.)

v. Galen, Margarete: Rechtsfragen der Prostitution. Das Prostitutionsgesetz und seine Auswirkungen, Berlin 2004

Kretschmar, Bettina: „Gleiche Moral und gleiches Recht für Mann und Frau“, Sulzbach/Taunus 2014

Malkmus, Katrin: Prostitution in Recht und Gesellschaft, Frankfurt/M. etc. 2005

Manthe, Ulrich: Geschichte des Römischen Rechts, München, 2000

Gesetz zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen (Prostituiertenschutzgesetz – ProstSchG). Vom 21. Oktober 2016. Bundesgesetzblatt Jhrg. 2016 Teil I. Nr. 50, 2372ff. (Inkrafttreten 21. Juli 2017)