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Kapitalismus oder Marktwirtschaft?/Alle Buchbesprechungen

von Jörg Goldberg zu Kocka, Wood und Fülberth
März 2016

Kapitalismus oder Marktwirtschaft?

Jürgen Kocka, Geschichte des Kapitalismus, Verlag C. H. Beck-Wissen, München 2013, 144 S., 8,95 Euro/ Ellen Meiksins Wood, Der Ursprung des Kapitalismus. Eine Spurensuche, LAIKA Verlag, Hamburg 2015, 231 S., 28 Euro/ Georg Fülberth, Kapitalismus. PapyRossa Verlag-Basiswissen, Köln 2015, 126 S., 9,90 Euro

Lange Zeit war zumindest im deutschen Sprachraum „Kapitalismus“ ein Schimpfwort, galt als ideologisch aufgeladener Versuch, die freie (wahlweise: soziale) Marktwirtschaft zu verun-glimpfen. Damit ist spätestens seit 2008 Schluss, der Begriff Kapitalismus „ist…voll in den wissenschaftlichen Diskurs zurückgekehrt“ (6), wie der renommierte Historiker Kocka in seiner historischen Einführung einräumt. Als Nichtmarxist macht er deutlich, dass der Begriff hierzulande nicht nur marxistisch geprägt ist, dass das Bild der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung sowohl von Marx als auch von Max Weber und Joseph Schumpeter geprägt ist.

Am Anfang (Teil I) steht eine Definition. Demnach ist Kapitalismus durch drei Merkmale gekennzeichnet: individuelle Eigentumsrechte, Märkte als Koordinierungsinstanz und Kapital als Grundlage von Akkumulation (20/21). Außerdem gehört zum modernen Kapitalismus die Institution des privaten Unternehmens, das „Selbständigkeit gegenüber dem Staat“ (21) besitzt. Kocka hält diese Definition, die aus der nordwesteuropäischen Form des Kapitalismus abgeleitet ist, nicht überall durch: Implizit wird deutlich, dass diese Momente in außereuropäischen Formen des Kapitalismus, die Kocka dankenswerterweise einbezieht, nicht immer gegeben sind.

In den folgenden Teilen befasst sich der Autor mit der Herausbildung des Kapitalismus in Form des Kaufmannskapitalismus (II), der Rolle der europäischen Expansion in koloniale Räume (III) und dem industriellen Kapitalismus (IV), d.h. dem „Kapitalismus in seiner Epoche“ (77). Erst diese etwa seit 1800 datierende Produktionsweise besitzt die eingangs aufgeführten Merkmale, erst jetzt werden diese „zum dominierenden wirtschaftlichen Regulierungsmechanismus“, der die „fortwährende Umwälzung der Produktion“ bewirkt (83), wie Kocka unter Bezug auf Marx ausführt. Dazu gehört notwendig die Lohnarbeit, die in seiner Definition aber keine Rolle spielt. Kapitalismus gibt es in diesem Sinne erst als Industriekapitalismus, vorher habe dieser lediglich ein „Inseldasein“ geführt (84). Bezeichnungen wie Handelskapitalismus oder Finanzkapitalismus für Erscheinungen vor dem Industriekapitalismus sind also eigentlich inkonsequent.

In Teil IV behandelt der Verf. innere Strukturveränderungen der kapitalistischen Gesellschaft, wobei er zwei Elemente hervorhebt: den Wandel vom Eigentümer- zum Managerkapitalismus einerseits und Veränderungen der Lohnarbeit andererseits. Außerdem beschreibt er Verschiebungen im Verhältnis Staat/Wirtschaft und untersucht die Tendenz zur Finanzialisierung, die er als Niedergangsphänomen charakterisiert, aber letzten Endes nicht erklären kann: Denn der Übergang vom „Sparkapitalismus“ zum „Pumpkapitalismus“, den er als Moment der „Destabilisierung des Kapitalismus“ begreift (95/96), ist eine Beschreibung der Finanzialisierung, keine Erklärung.

In seinem Ausblick (Teil V) ist Kocka bezüglich der Lebensfähigkeit des Kapitalismus optimistischer als im vierten Teil: Beeindruckt „von den immensen Fortschritten“, die der Kapitalismus hervorgebracht hat (124), kann er doch nicht umhin, das Verhältnis Kapitalismus und Demokratie als zutiefst problematisch zu kennzeichnen: „Auf grundsätzlichster Ebene bleibt die Diskrepanz zwischen dem an universalisierbaren Werten orientierten Verständigungs- und Gestaltungsanspruch demokratischer Politik einerseits und der sich demokratischer Politik und moralischer Gestaltung entziehenden Dynamik des Kapitalismus andererseits ein Dauerproblem.“ (127) Dieser Satz ist eigentlich eine vernichtende Kritik am Kapitalismus: Ein System, dessen Dynamik sich dauerhaft demokratischer Gestaltung entzieht, ist angesichts der Entwicklung der Produktivkräfte lebensgefährlich. Woher er seinen historischen Optimismus hinsichtlich der Zivilisierbarkeit dieses Systems bezieht, bleibt unklar: „Gegenwärtig sind überlegene Alternativen zum Kapitalismus nicht erkennbar. Aber innerhalb des Kapitalismus sind sehr unterschiedliche Varianten und Alternativen denkbar und zum Teil auch beobachtbar. Um ihre Entwicklung geht es. Die Reform des Kapitalismus ist eine Daueraufgabe. Dabei spielt Kapitalismuskritik eine zentrale Rolle.“ (128) Es fragt sich allerdings, wer die ‚Zivilisierung‘ des Kapitalismus durchsetzen soll – im Rahmen einer Theorie des Kapitalismus, die den Klassenkampf zwischen Arbeit und Kapital nicht kennt, eine kaum zu beantwortende Frage

Das Buch von Ellen Meiksins Wood (eine Übersetzung ihres im englischen Sprachraum als Klassiker geltenden Werks von 2002), der leider unlängst verstorbenen renommierten britischen Marxistin, langjährige Redakteurin von ‚New Left Review‘ und Mitherausgeberin der Zeitschrift ‚Monthly Review‘, beschäftigt sich speziell mit der Entstehung des Kapitalismus, d.h. mit der Thematik, die Kocka in den Teilen I bis III behandelt. Ihre Position ist, gelinde gesagt, ungewöhnlich: Die klassische Analyse, die den Kapitalismus als eine aus dem westeuropäischen Feudalismus, vermittelt vor allem über das Kaufmannskapital, herausgewachsene Produktionsweise definiert, verwirft sie in Bausch und Bogen als „Kommerzialisierungsmodell“ (21). Sowohl bürgerlichen wie marxistischen Historikern, die die Ursprünge des Kapitalismus in Handel und städtischer Wirtschaft sehen, hält sie entgegen: „Tendenziell ist diese Konzeption mit einer Geschichtstheorie verbunden, in der der moderne Kapitalismus das Ergebnis eines natürlichen und beinahe unausweichlichen Prozesses ist, der bestimmten, universellen, transhistorischen und unveränderlichen Gesetzen folgt.“ (27) Sie unterstellt damit (fast) allen marxistischen Historikern die Position von Adam Smith und seinen Anhängern, die den Kapitalismus als Entfaltung des dem Menschen angeborenen Triebs zum Tausch betrachten (48). Indem sie das tut, gibt sie aber einen guten Überblick über einige bis heute wichtige innermarxistische Debatten, so die Auseinandersetzung zwischen Sweezy und Dobb („Übergangsdebatte“ – 51), die Kritik Robert Brenners an André Gunder Frank und Immanuel Wallerstein und – last but not least – die Arbeiten von Perry Anderson über den europäischen Feudalismus und Absolutismus. Auch wenn man Woods rigide Kritik nicht teilt, so macht sie – wie ich meine – doch einen wichtigen Punkt, wenn sie hervorhebt, dass Handelsprofit – „billig kaufen, teuer verkaufen“ – nichts mit kapitalistischer Akkumulation durch die Aneignung von Mehrwert zu tun hat (23). Das richtet sich gegen die verschiedenen Varianten der Weltsystemtheorie, die Kapitalismus mit ungleichem Tausch verwechseln, aber auch gegen verbreitete Formeln, die Handelskapitalismus und Indus-triekapitalismus nur als Entwicklungsetappen eines Systems sehen: Wood zufolge hat Handel nicht unbedingt etwas mit Kapitalismus zu tun; die sich im Feudalismus herausbildenden Formen von Handelskapital und städtischer Wirtschaft hätten nicht notwendig zum Kapitalismus führen müssen: „…der Kapitalismus war nur eines der möglichen Ergebnisse des Übergangs vom Feudalismus.“ (194)

Auch wenn man bereit ist, ihr über den Teil I hinweg („Geschichten des Übergangs“) zu folgen, so wird das in Teil II („Der Ursprung des Kapitalismus“) und Teil III („Der Agrarkapitalismus und darüber hinaus“) zunehmend schwerer. Gewendet gegen das „Kommerzialisierungsmodell“ argumentiert sie: „Der entscheidende Faktor bei der Unterscheidung des Kapitalismus von allen anderen Formen der ‚kommerziellen Gesellschaft‘ war die Herausbildung bestimmter gesellschaftlicher Eigentumsverhältnisse, die Marktimperative hervorbrachten, und kapitalistische ‚Bewegungsgesetze‘, die der Produktion auferlegt wurden.“ (92) Das ist sicher richtig, auch wenn nicht klar wird, warum diese Feststellung im Gegensatz zu Analysen stehen soll, die die Ursprünge des Kapitalismus in Handel und städtischer Wirtschaft sehen. Wie man weiter sehen wird, ist sie aber mit ihrer Betonung der Eigentumsverhältnisse selbst nicht konsequent: Denn die besagten Eigentumsverhältnisse bestehen – mit Marx – in der Trennung der Produzenten von den Produktionsmitteln, d.h. in der Eigentumslosigkeit der Arbeitenden. Das im Hinterkopf habend liest man später, in Teil III, mit Verwunderung: „Die spezifische Dynamik, die wir mit dem Kapitalismus assoziieren, war also in der englischen Landwirtschaft bereits vor der Proletarisierung der Arbeiterschaft vorhanden.“ Und weiter: „Tatsächlich war diese Dynamik ein wesentlicher Faktor, der in England die Proletarisierung der Arbeiter hervorgebracht hat.“ (151) Für Wood sind Lohnabhängigkeit, d.h. kapitalistische Eigentumsverhältnisse, also Folge, nicht Triebkraft des Kapitalismus. In Wirklichkeit sind für sie nicht die Eigentumsverhältnisse, sondern die Konkurrenz, der „Marktimperativ“ (94), Hauptmerkmal des Kapitalismus. Von Kapitalismus kann demnach erst die Rede sein, wenn außerökonomische Formen der Mehrproduktaneignung verschwunden sind, wenn die Steigerung von Ausbeutung und Profit – wegen der ökonomischen Konkurrenz – nur noch durch Umwälzung der Produktivkräfte, durch erhöhte Produktivität, möglich ist.

Dies aber sei, und damit sind wir beim Kern von Woods historischer Analyse, nur aufgrund ganz besonderer Konstellationen in England der Fall gewesen. In englischer Wirtschaftsgeschichte kennt sie sich gut aus: Die starke Konzentration des Grundeigentums und die relative politische Machtlosigkeit der englischen Grundaristokratie versperrten dieser den Weg der außerökonomischen Mehrproduktabpressung und verwiesen sie auf „rein ökonomische Formen der Ausbeutung“ (136). Während Wood zufolge die Grundherren in allen anderen europäischen Ländern auf politische Gewalt gegen die landwirtschaftlichen Produzenten setzen konnten, blieb den englischen Grundherren nur der Weg über die Steigerung der Produktivität, was zur Herrschaft des „Marktimperativs“ führte. Das war nur in England der Fall: „Die englische Situation war also in vielerlei Hinsicht speziell.“ (162) „Ohne einen produktiven Landwirtschaftssektor … wäre die Entstehung des ersten industriellen Kapitalismus der Welt unwahrscheinlich gewesen.“ (163) Weiterhin: „Schließlich (dies ist zweifellos der Punkt, der umstrittener ist) gäbe es ohne den englischen Kapitalismus wahrscheinlich kein irgendwie geartetes kapitalistisches System. Es war in erster Linie der von England, insbesondere vom industrialisierten England, ausgehende Konkurrenzdruck, der andere Länder dazu zwang, ihre eigene ökonomische Entwicklung in eine kapitalistische Richtung voranzutreiben.“ (163) Es ist vor allem diese Behauptung, bei der sie sich in Widersprüche verwickelt: Warum sollten Gesellschaften, die wegen ihrer inneren Strukturen vorwiegend auf außerökonomische Gewalt zur Steigerung des Mehrprodukts setzten, auf einmal moderne kapitalistische Methoden anwenden, um der englischen Konkurrenz Paroli zu bieten? Wood kann das letzten Endes im Rahmen ihres eigenen Ansatzes, der vom strikten Gegensatz zwischen politischer Gewalt und Marktkonkurrenz ausgeht, nicht erklären und behauptet: „Der Staat selbst wurde ein wichtiger Akteur.“ (201) Wieso die feudalen, auf außerökonomischer Gewalt beruhenden Staaten Deutschlands und Frankreichs auf einmal, unter dem Druck englischer Konkurrenz, zu kapitalistischen Ausbeutungsformen übergehen sollten, bleibt im Rahmen des Wood’schen Ansatzes unklar. Innere kapitalistische Triebkräfte sieht sie in Kontinentaleuropa jedenfalls nicht am Werk. Für sie ist der durch ökonomische Kräfte regulierte Markt die Quintessenz des Kapitalismus: Wo „immer Marktimperative die Ökonomie regulieren …. [wird es] keinen Ausweg aus der Ausbeutung geben…“ (223) Dass im modernen Monopolkapitalismus allein „Marktimperative“ die gesellschaftliche Reproduktion regeln, ist aber zu bezweifeln. Den von ihr unterstellten Gegensatz zwischen ökonomischen und außerökonomischen Formen der Ausbeutung hat es auch historisch so nie gegeben; angesichts der Verflechtung ökonomischer und politischer Macht im modernen Kapitalismus aber macht diese Unterscheidung heute kaum noch Sinn.

Wahrscheinlich würde auch Georg Fülberths Buch, zumindest der definitorische und historische Teil, dem Woodschen Verdikt ‚Kommerzialisierungsmodell‘ verfallen. Allerdings liegt Fülberths Schwerpunkt, anders als bei Wood und auch bei Kocka, auf der Analyse der heutigen Form des Kapitalismus. Auch er beginnt mit Definitionen, wobei er – und das ist wichtig – zwischen Wirtschaft und Gesellschaft unterscheidet. Das wird heute oft nicht getan, wenn von Kapitalismus die Rede ist – Marx selbst hat bekanntlich nicht von Kapitalismus, sondern von ‚kapitalistischer Produktionsweise‘ gesprochen und damit deutlich gemacht, dass Produktionsweise und Gesellschaft nicht umstandslos zusammenfallen. Kapitalismus beschreibt Fülberth zufolge eine „Funktionsweise“ von Gesellschaften, „die auf dem Privateigentum an den wichtigsten Produktionsmitteln, der Erzielung von Gewinn und der Vermehrung der hierfür eingesetzten Mittel durch den Kauf und Verkauf von Waren … beruhen.“ (6) Diese Definition, die wie Kocka und Wood Mehrwert und Lohnarbeit nicht zu unabdingbaren Merkmalen des Kapitalismus zählt, wird bei Fülberth aber konsequenter angewandt. Denn: „Gewinn … ist der in Geld … ausgedrückte Überschuss des Verkaufspreises einer Ware entweder über ihren Einkaufspreis oder über die Summe der Löhne und der Preise der Waren, die als Produktionsvoraussetzung für die Herstellung dieser Ware gekauft wurden.“ (8) In diesem Sinne sind auch – anders als bei Wood – Handelsprofite kapitalistisch, so dass Fülberths Bezeichnung der vorindustriellen Zeit – von 1500 bis ca. 1780 – als „Handelskapitalismus“ (27) begrifflich konsequent ist. Der Autor legt den Schwerpunkt der Analyse auf die Etappenfrage, wobei er den Gewinntyp zur Abgrenzung kapitalistischer Entwicklungsperioden zugrunde legt: Dementsprechend definiert er fünf Kapitalarten, die in jeweils unterschiedlichem Ausmaß die kapitalistischen Perioden bestimmen: Warenhandlungskapital (Handelsspanne) – Geldhandlungskapital (Zins) – Industriekapital (Mehrwert) – Börsen-spekulationskapital (Kursdifferenzen = Spekulationsgewinn). Die Unterscheidung einer fünften Kapitalart, Dienstleistungskapital, ist eher inkonsequent, da die entsprechende Gewinnart, wie er selber sagt, ebenfalls der Mehrwert ist (19). Dieser Ansatz, der in dem kurzen Einführungsbändchen nicht entwickelt werden kann, ist vor allem deshalb innovativ, weil mit der Unterscheidung zwischen Zins und Spekulationsgewinn deutlich wird, dass die gegenwärtige Phase des Kapitalismus, in der Spekulationsgewinne dominieren, eine qualitativ neue Etappe ist.

Der Teil II, der Hauptteil, folgt – nach der klassischen Darstellung der Herausbildung des Kapitalismus aus dem (westeuropäischen) Feudalismus – der im theoretischen Teil I skizzierten Phasenlogik. Den industriellen Revolutionen (gekennzeichnet durch den breiten Einsatz von Maschinen und den Ersatz von Muskelkraft durch Wasser- und Dampfantrieb) folgt die Periode des Organisierten Kapitalismus (inkl. Imperialismus) und etwa ab 1945 die Periode des Wohlfahrtsstaats. Dieser wurde Mitte der 1970er Jahre abgelöst durch den Finanzmarktgetriebenen Kapitalismus. Bei der Darstellung der unterschiedlichen Perioden analysiert der Autor jeweils verschiedene Ebenen, darunter die stofflichen Grundlagen, die dominierende Gewinnform, die räumlichen Bedingungen, Staat und Politik, die Organisation von Arbeit und Kapital. Den ‚gelernten‘ Marxisten irritiert, dass der Industriekapitalismus nicht als besonderer historischer Einschnitt hervorgehoben wird – die Verallgemeinerung der Lohnarbeit wird als ein Punkt unter vielen nicht besonders gewichtet (48). Die besondere Qualität dieses Prozesses fällt in der Darstellung ein bisschen der das Buch bestimmenden Periodisierungslogik zum Opfer.

Dieser besondere Akzent ist trotzdem eine Stärke des Buchs: Es wird deutlich, dass der Kapitalismus ein sehr flexibles und anpassungsfähiges System ist, das aus großen Krisen und Umbrüchen immer wieder in neuer Gestalt hervorgehen kann (nicht muss). Wer auf dessen Ende hofft findet in Fülberths denkbar knappem Kapitelchen „Kein Ende abzusehen“ wenig Trost: Antikapitalistische Stimmungen und Bewegungen deuteten heute weniger auf dessen Ende als auf seine „neue Vitalisierung“, außerhalb der bisherigen Kerngebiete, hin.

Fragt man, welches der drei kapitalhistorisch angelegten Bücher vorzuziehen sei, dann fällt eine Antwort schwer: Jedes setzt spezifische Akzente und hat besondere Stärken. Eine relativ runde historische Einführung in die Entstehung des Kapitalismus findet sich am besten bei Kocka. Bei Meiksins Wood lernt man viel über die Geschichte des britischen Kapitalismus und dessen Besonderheiten; außerdem bietet sie einen guten Überblick über einschlägige innermarxistische Debatten. Fülberth gelingt es, die inneren Veränderungen der kapitalistischen Produktionsweise und deren Triebkräfte herauszuarbeiten. Er trägt am meisten zum Verständnis des zeitgenössischen Kapitalismus bei.

Jörg Goldberg

Akkumulationsstärke und
-schwäche in der westeurasischen Zivilisation

Karl Georg Zinn, Vom Kapitalismus ohne Wachstum zur Marktwirtschaft ohne Kapitalismus. VSA-Verlag, Hamburg 2015, 157 S., 16,80 Euro

I Zum neuen Buch von Karl Georg Zinn zunächst ein Auszug aus einem Lehrgespräch: „Warum hat Marx sein theoretisches Hauptwerk nicht ‚Der Kapitalismus‘ genannt? – Weil ‚Kapitalismus‘ ein unklarer bzw. falscher Begriff ist. – Wieso denn das? – Erstens weil es in unserer Zivilisation verschiedene Arten profitorientierter Ausbeutung gegeben hat und gibt; zweitens, weil es der Wirtschafts- und Sozialforschung nicht um das Beleuchten irgendwelcher Ismen, sondern um das Begreifen realer Kapitalbewegungen gehen muss; drittens, weil hierbei Gesetzmäßigkeiten der Kapitalanhäufung und der Profitratenbewegung im Mittelpunkt stehen sollten; und schließlich, weil eine praktische Überwindung kapitalistischen Wirtschaftens durch vernünftige Wirtschaftsweisen eine theoretische Prüfung unterschiedlicher diesbezüglicher Entwürfe (anstelle des Hantierens mit Leerformeln) voraussetzt, die der Titel ‚Kapitalismus’ nicht erwarten läßt.“

II Mit diesen Stichworten sind das Anliegen und die Inhaltsgliederung des vier Kapitel umfassenden Buchs von Karl Georg Zinn (in dem übrigens der Autor Marx, im Unterschied zu einigen anderen Wirtschaftstheoretikern, nur gelegentlich vorkommt) meines Erachtens schon einigermaßen beschrieben: „Vom Kapitalismus ohne Wachstum zur Marktwirtschaft ohne Kapitalismus“ ist der Titel seines kenntnisreich ausgeschilderten Wegweisers, der aus der gesellschaftlichen Sackgasse des sich todlaufenden Industriekapitalismus hin zu aktuellen Weggabelungen führt, welche die Wahl lassen zwischen verschiedenartigen Wirtschaftsverfassungen ohne Kapitalakkumulation, darunter sozialistischen Volkswirtschaften mit demokratischer und marktwirtschaftlicher Steuerung. Das außerordentlich ideen- und faktenreiche Buch kann hier nur bruchstückhaft gewürdigt werden. Dessen erstes Kapitel bietet sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Betrachtungen der „Ausbeutung der Menschheit und der Natur“ (13) seit den Anfängen herrschaftlich-gewalttätigen Wirtschaftens im Ausgang der Jungsteinzeit, also seit den Übergängen zur westeurasischen Zivilisation. Bemerkenswert erscheint mir unter anderem, dass diese Ausbeutungsgeschichte als (demographisch und ressourceal bedingte) „Steigerung des [gesellschaftlichen] Aggressionspotenzials“ (17) begriffen wird. Das zweite Kapitel befasst sich mit „Bewegungsgesetzen“, insbesondere der schließlichen Entstehung einer Wachstumsschwäche „des Industriekapitalismus“. Abgesehen von der Klärung begrifflicher Fragen ist hier besonders wichtig, dass als die Spezifik „industriekapitalistischer“ Reproduktion der zunächst profitable Prozess der Akkumulation von Mehrprodukt und dessen kontraproduktive „Langfristwirkungen“ hervorgehoben werden. (52ff) Im dritten Kapitel geht es um das Problem der hieraus resultierenden Aktualität eines „Kapitalismus ohne Wachstum“ aufgrund zuvor „auslaufender industriekapitalistischer Akkumulation“. (85ff) Nützlich erscheint mir hier die klare Absage an die Scheinlösung einer „Rückkehr zur alten Wachstumsdynamik“ (87; dies soll auch für den „staatsregulierten Kapitalismus Chinas“ gelten) sowie die Verdeutlichung von Grenzen und Widersprüchen verschiedener Strategien eines „grünen Wachstums“. (98-105) Kapitel vier schließlich behandelt theoretische Modelle einer („sozialistischen“) „Marktwirtschaft ohne Kapitalismus“ und von hierfür nützlichen theoretischen Instrumenten, wobei Theorien von Joseph A. Schumpeter und John Maynard Keynes eine besondere Rolle spielen. Es wird davon ausgegangen, dass „gesamtwirtschaftliche Planung und marktwirtschaftliche Allokation […] keine prinzipiellen Gegensätze sind, sondern [sich] gegenseitig [optimieren].“ (113) Interessant die Bemerkung, dass in den vergangenen Zeiten der sog. Systemkonkurrenz dieses von beiden Seiten jeweils heftig bestritten wurde. Die Erfahrungen des Versagens sowohl des bereits untergegangenen staatssozialistischen Systems als auch des heftig angeschlagenen industriekapitalistischen Systems ohne reales Wachstum der Gegenwart, gemessen jeweils an den eigenen Zielsetzungen, werden die diesbezüglichen Mentalitäten verändern. Sie werden, so die Hypothese, die Kombination von Marktwirtschaft ohne Kapitalakkumulation und gesamtwirtschaftlicher Rahmenplanung als sinnvoll erscheinen lassen. (113ff) Die Seriosität dieser Idee steht nicht in Zweifel, und so auch nicht die folgende Überschrift und der Inhalt eines Textteils, der sich auf Überlegungen Schumpeters aus dem Jahre 1942 bezieht: „Was übernimmt der Sozialismus vom Kapitalismus und was ist anders?“ (124-127) Und man kann schwerlich etwas dagegen sagen, wenn Karl Georg Zinn in diesem Kapitel dem Karl Heinrich Marx eine gewisse „Undeutlichkeit bezüglich der Frage“ bescheinigt, „wie eine funktionierende sozialistische Wirtschaft gestaltet sein muss“. (115)

III Karl Georg Zinn hat die in diesem Buch vorgetragenen Gedanken um die – auch in seinen Schlussbemerkungen formulierte – These zentriert, dass die „hochentwickelten Volkswirtschaften“, in denen wir leben, wie schon erwähnt, als „Industriekapitalismus“ zu begreifen sind. Nach etwa zwei Jahrhunderten erfolgreicher Reproduktion, gekennzeichnet durch (abgesehen von katastrophalischen Unterbrechungen) kontinuierliche Investition von Surplusprodukt in Produktionskapital, entwickelte jedoch dieser Industriekapitalismus eine unheimliche, wenngleich gesetzmäßige Akkumulationsschwäche, die ihn schließlich als Kapitalismus ohne Wachstum präsentiert und agieren lässt. Ein fortwährender Rückgang der profitablen Akkumulation in den letzten drei Jahrzehnten führt in diesen Volkswirtschaften sehr wahrscheinlich, in „äußerst plausibel erscheinender Zukunftsnähe“, zu „einer kapitalistischen Formation ohne Akkumulation“ (86), aber mit leerlaufendem „Wachstumsvoluntarismus“, so Zinn. Es gibt also einen Kapitalismus ohne (realökonomische) Kapitalakkumulation, den nachindustriellen Kapitalismus. Und weiter: „die Transformation eines nachindustriellen Kapitalismus in ein nicht-kapitalistisches System […] stellt jedenfalls eine Zukunftsoption dar. Vielleicht bringt Kuba eine solche Formation zustande […]“. (114) – Marxisten verschiedener Couleur werden eine solche Perspektive nicht unbedingt befürworten, etwa dann, wenn es ihnen mehr auf die Vermehrung als auf die Umnutzung von Kapital ankommt oder mehr um die Beherrschung als um die Verwendung des „gesellschaftlichen Produkts“. Dieses Problem ist hier nicht zu diskutieren, es wird aber erwähnt, um die Radikalität des Reformkonzepts zu verdeutlichen, das in diesem Buch vorliegt: die doppelte Transformation: von der Formierung des Industriekapitalismus zum nicht-akkumulierenden/nach-industriellen Kapitalismus und von diesem Nach-industriellen Kapitalismus zur – hoffentlich – Nicht-kapitalistischen Volkswirtschaft.

IV Gegen diese Strategie gibt es einen ernst zu nehmenden Einwand. Er lautet: einen nicht-akkumulierenden Kapitalismus (und dessen eventuelle Transformationen) wird es nicht geben, weil es zum Wesen des Kapitalismus (zumindest des Industriekapitalismus) gehört, Mehrwert in möglichst hohem Maße innovativ zu akkumulieren; schlichter: das Sozialprodukt zum Wachsen zu bringen. „Kapitalismus“ heißt: „Wachstumszwang“, „Wachstumszwang“ beinhaltet „Akkumulationszwang“. Hätte denn die neuzeitliche „Industrielle Revolution“ im 18. Jh. in Großbritannien jemals begonnen, wenn nicht kleine Geschäftsleute und Handwerker dazu „geneigt“ gewesen wären, in großem Umfang ihre Produktionsanlagen auszubauen und zu entwickeln? Die Antwort müsste lauten: es kam hierbei vor allen auf die Nachfrage durch Staatsaufträge und Überseehandel an, denn die „Privatwirtschaft“ an sich hatte„eine Neigung lediglich zum Profit.“ (Eric Hobsbawm, Industrie und Empire I, Frankfurt-M. 1969, 39) Gleichwohl ist die Meinung sehr verbreitet, dass „a cession of accumulation“ der „internal logic“ des „regime of capital“ widerspricht, so dass soziale und ökologische Reformen zwingend dessen Abschaffung voraussetzen. (z. B. John B. Foster u. a., The Ecological Rift“ New York 2010, 396) Man wäre geneigt, das Wort „Akkumulationszwang“ als Denkverbot einzustufen, gäbe es nicht den berühmten Ausruf von Marx im Ersten Band seines „Das Kapital“ von 1867: „Accumulirt, accumulirt! Das ist Moses und die Propheten!“ (Marx, Das Kapital 1867, MEGA II/5, 479) Wenn ich das (als Nicht-Marxologe) richtig sehe, hat Marx Erscheinungen wie „Akkumulationstrieb“, „Akkumulationsbedürfnis“ in den frühen Schriften zum und im Ersten Band eher phänomenologisch wahrgenommen, als „charakteristisches Phänomen“ der kapitalistischen Produktionsweise. Erst später, so scheint es, wird die Entwicklung der Konkurrenz in der kapitalistischen Produktionsweise zur nicht ganz überzeugenden Erklärung eines „Akkumulationszwangs“ herangezogen (vgl. u. a. Marx, Ökonomische Manuskripte 1863-1867, MEGA II/4.2, 313; Marx, Das Kapital 1883, MEGA II/8, 556). So oder so hilft uns sein Wortgebrauch beim Versuch der Klärung gegenwärtiger kapitalistischer Zwangsverhältnisse nur begrenzt weiter.

V Hilfreich ist Marx (zusammen mit Engels) allerdings zweifellos dadurch, dass er die Geschichte der Ausbeutung von Mensch und Umwelt grundsätzlich bis in die Anfänge altorientalischer Gesellschaften und damit der Gesellschaftsgeschichte der west-eurasischen Zivilisation verfolgt. Zinn folgt ihm insoweit, als er grundsätzlich „kapitalistische Wirtschaftsenklaven [, die] seit der Frühzeit der Zivilisationsgeschichte in sehr unterschiedlichen Gesellschaftsformationen [existierten]“, anlässlich der Betrachtung des von ihm so genannten „nachindustriellen ‚Neofeudalismus‘“ mit bedenkt. Die „vorindustrielle Epoche“ West-Eurasiens, die so ins Blickfeld gerät, hat uns bezüglich der Verfassung menschlicher Gesellschaften einiges zu sagen. Selbst die scheinbar so verständliche Dichotomie „vorindustrielle“ versus „industrielle“ Gesellschaften verunklart sich. Wenn man etwa bei der Betrachtung der Ruinen riesiger Tempel- und Palastbauten mit angeschlossenen manufakturellen Großwerkstätten im frühen Babylonien wahrnimmt, dass es hier Großbetriebe mit tausenden arbeitender Menschen zur Herstellung von Exportgütern gab, gegen deren Erzeugnisse unter anderem sowohl Luxusgüter als auch Baumaterialien auf dem Wasserwege importiert wurden, dann fragt man sich, welche Bedeutung die scheinbar einfache Differenz von Konsumtion und Produktion hier hat und wie es mit der Trennschärfe der Kategorien „gesamtwirtschaftliche Produktion“ „Reproduktion“ und „Akkumulation“ bestellt ist. Wird nicht da, wo es massenhafte „Produktion“ sowie (vielfach durch Außenhandel vermittelt) auch „Reproduktion“ in Gestalt der Errichtung und Nutzung von Verwaltungs- und Werkstattbauten, Speicheranlagen, Bewässerungsanlagen, Schiffen, Tongefäßen und landwirtschaftlichen Geräten gab, auch schon ein bisschen Nettoinvestition (also Akkumulation) dabei gewesen sein? (Vgl. zur südmesopotamischen Ökonomie im 3./2. Jt. v. u. Z: J. Nicholas Postgate, Early Mesopotamia, 1992, 155-222.)

Wie dem auch sei: Die Geschichte der Ausbeutungsbeziehungen von Mensch und Umwelt sowie dessen, was Karl Georg Zinn mit einer treffenden Formulierung die langfristige Entwicklung eines Aggressionspotenzials nennt, bietet über die Betrachtung früherer Zustände hinaus an, auch Geschichte von Ausbeutungshilfen zu sein: Geschichte der technischen Instrumente, mit denen Menschen und andere Tiere in der Agrarwirtschaft ausgebeutet werden; der Mess-, Rechen- und Schreibkünste, die für die Aneignung und Verteilung der Böden und Güter benötigt wurden; und schließlich der familialen und staatlichen Verfügungsgewalten und Zwangsmittel, mit denen Menschen in unterschiedlichen Gewaltverhältnissen dazu gebracht wurden und werden, ihre gesellschaftlichen Pflichten gegenüber Vätern und Gatten, ihre Aufgaben und Rollen als Untertanen oder Ausländer etc. pp. zu erfüllen

Karl Hermann Tjaden

Migrationsgeschichte als Menschheitsgeschichte

Jochen Oltmer, Globale Migration. Geschichte und Gegenwart, C.H. Beck-Verlag, München 2012, 128 Seiten, 8,95 Euro

Migration und Flucht bilden in Form der Flüchtlingskrise seit 2015 über weite Strecken das beherrschende Thema in Medien, Politik und Bevölkerung und haben zu einer Polarisierung der deutschen Gesellschaft geführt. In Deutschland hat derweil etwa jeder fünfte Mensch einen Migrationshintergrund. Beides regt zu der Frage an, wie es sich eigentlich generell mit Migration innerhalb der historischen Entwicklung in einem globalen Maßstab verhält.

Jochen Oltmer, Professor für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien, stellt fest, dass Migration „immer normal in der Geschichte der Menschheit“ gewesen ist und weltweit keine Epoche erkennbar ist, „in der Sesshaftigkeit Normalität gewesen wäre.“1[1] In seinem Einführungsbüchlein arbeitet er diese zentrale These auf. Neben globalen, also trans- und interkontinentalen Fernwanderungen, liegen seinen Ausführungen auch von der Globalisierungsdynamik beeinflusste lokale und regionale Migrationen zugrunde.

Unter der Überschrift „Migrationsgeschichte als Menschheitsgeschichte“ führt der Autor einleitend an, dass der anatomisch moderne Mensch der Gattung Homo sapiens ohne Bewegung im Raum nicht überlebt hätte (9). Die umfänglichen und nachhaltigen Wanderungsbewegungen der folgenden Jahrtausende waren zwar insgesamt von großem Umfang, aber „erstreckten sich […] nur selten über sehr weite Distanzen oder prägten sich gar als interkontinentale Bewegungen aus.“ (13f.) Von Migrationen in globalen Maßstab (auch als interkontinentale Wanderungen) kann somit erst im 15. Jahrhundert im Zuge der globalen Expansion Europas gesprochen werden.

Im zweiten Kapitel folgt eine kleine theoretische Aufbereitung. Oltmer stellt hier überblickshaft und kenntnisreich zentrale Hintergründe und verschiedene Formen und Folgen weltweiter Wanderungen differenziert vor und verweist auch auf einige Abgrenzungsprobleme (21/31). Bedeutende Begriffe im Themenfeld Migration werden definiert (18). Kommunikation und Netzwerken misst der Autor bei der Entstehung räumlicher Bevölkerungsbewegungen großen Wert bei, da diese durch Kommunikationsprozesse motiviert und strukturiert werden (22), was er im Verlaufe des Buches mehrfach belegt – z.B. anhand von Pioniermigranten (42/71). Neben individuell oder gruppenspezifisch wirksamen Faktoren spielt der Staat – als Migrationsregime – eine große Rolle, vor allem im Hinblick auf Zwangswanderungen (30).2[2]

Anschließend kehrt Oltmer im dritten Kapitel zur Historie zurück und beschreibt Migration vom 16. bis zum 19. Jahrhundert unter dem Leitgedanken der Erschließung und Verdichtung des globalen Raums. Die damaligen Großmächte Spanien und Portugal verfolgten in den Expansionsgebieten ihres Territorialreiches keine dezidierte Siedlungspolitik. Sie sahen in den Kolonien die Möglichkeit wirtschaftlicher Ausbeutung. Zur „Inwertsetzung“ der überseeischen Besitzungen (32f.) benötigten sie Arbeitskräfte – Sklaven aus Afrika (34ff.), aber auch Sträflinge und Kontraktknechte aus Europa. Eine wegweisende Rolle im Rahmen globaler Migrationsströme spielten die Entwicklungen im 19. Jahrhundert, denn in dieser Zeit „nahm die europäische Abwanderung in verschiedene Teile der Welt erheblich zu und dominierte die interkontinentalen Bevölkerungsbewegungen für mehr als ein Jahrhundert.“ (41) Ein entstandenes „Missverhältnis von Bevölkerungswachstum und Erwerbsangebot“ (Klaus J. Bade) bildete den Ausgangspunkt für die Abwanderungen. Eine sich verbreitende Modernisierung im Agrarsektor und die Industrialisierung waren nicht in der Lage das Bevölkerungswachstum auszugleichen (41).

In Kapitel vier behandelt Oltmer unter anderem die Länder und Regionen Australien, Argentinien, Sibirien, Mandschurei und das südliche Afrika vor dem Hintergrund kolonialer Expansion vor allem europäischer Staaten, aber auch der USA und Japans (44-78). Flucht, Vertreibung und Deportation sind die kennzeichnenden Phänomene im Verhältnis von Migration und weltweiten Kriegen im 20. Jahrhundert. Zum Beispiel zeigten sich auch in Stellvertreterkriegen (105ff.; Korea, Vietnam, Afghanistan) die migratorischen Wirkungen des Kalten Krieges, da es de facto auch in diesem Feld zu einer Zweiteilung der Welt kam: Arbeitsmigration fand zwischen Ost und West nicht mehr statt (105). Im abschließenden Kapitel wirft der Migrationsforscher schlaglichtartig, leider sehr verkürzt, einen Blick auf Migrationsbewegungen und -verhältnisse im späten 20. und frühen 21. Jahrhundert.

Jochen Oltmer liefert eine gelungene historische Übersicht, mit verständlichen selektiven Zügen aufgrund der Masse an Migrationsbewegungen. Obwohl der Autor vielfältig Migrationsprozesse im Zuge der Dynamik der Globalisierung erörtert, geht er nicht auf Migration als Kehr- bzw. Schattenseite der (vor allem neoliberalen) kapitalistischen Globalisierung ein. Das Buch trägt keine globalisierungskritischen Züge, allerdings regen die vielfältigen beschriebenen Formen von Migration zum Nachdenken darüber an. Oltmer entwickelt auch keine gesellschaftspolitische Perspektive und beschränkt sich auf eine historische Betrachtung. Das Buch erschien 2012 und eine Erweiterung um die folgenden Jahre wäre aufgrund der aktuellen globalen Flüchtlings- und Migrationsströme wünschenswert.

Patrick Ölkrug

Marx und seine postmarxistische Relevanz

Harald Klimenta, Andreas Fisahn u. a., Die Freihandelsfalle. Transatlantische Industriepolitik ohne Bürgerbeteiligung – das TTIP, VSA, Hamburg 2014, 126 S., 9,- Euro

Michael Brie, Polanyi neu entdecken. Das hellblaue Bändchen zu einem möglichen Dialog von Nancy Frazer & Karl Polanyi, VSA, Hamburg 2015, 174 S., 10,- Euro

Joachim Bischoff und Bernd Müller, Piketty Kurz & Kritisch. Eine Flugschrift zum Kapitalismus im 21. Jahrhundert, VSA, Hamburg 2014, 93 S., 9,- Euro

Drei Bücher zu verschiedenen, gleichwohl vernetzten Themen: Zu TTIP als dernier cri der Globalisierung, zu Piketty als Befürworter eines dynamischen Kapitalismus, zu Polanyi und Nancy Frazer als Analytiker der Emanzipation.

Jede Beschäftigung mit Marx sollte sich drei Fragen stellen: Was wird wie beschrieben? Was wird wodurch erklärt? Was wird wie begründet vorausgesagt?

Die erste Frage lässt sich so beantworten: Marx konstatiert die Auflösung der Familie, der kleinen und mittleren Unternehmen und des Staates infolge der Marktdynamik. Er beantwortet sie ebenso durch die Entfremdung des Menschen von sich selbst, der genötigt wird, als Mittel für andere zu arbeiten. Kritisiert wird daran, dass kleine und mittlere Betriebe durchaus weiter existieren trotz Kapitalakkumulation und absoluter Mehrwerterzeugung. Zur Entfremdung gilt: Marx ging von einer Disziplinargesellschaft aus, die seit langem entfiel. Mit der Freiheit von Arbeitszwängen werde jedoch nicht die Entfremdungsbeschreibung hinfällig.

Die zweite Frage (Erklärung) beantwortet Marx mit einer ursprünglichen Akkumulation in Großbritannien, mit Hilfe dialektischer Prozesse, mit einem Tausch gleicher Werte und einer Theorie von gegeneinander kämpfenden Klassen. Kritisiert wird daran: Die Akkumulation habe nur lokal an verschiedenen Orten stattgefunden. Zudem gehe sie weiter, während Marx sie für abgeschlossen hielt. In der Dialektik von Marx bleibe die Arbeitskraft eine unveränderte Größe. Wert werde von Marx objektivistisch konzipiert, indem behauptet wird, dass stets gleiche Werte getauscht werden. Die Börse sei jedoch extrem psychologisiert mit der Folge, dass Tauschvorgänge nach oft irrational subjektiven Einschätzungen erfolgen. Außerdem bestimmen sich Wertbestimmungen inzwischen auch nach Gesichtspunkten der ökologischen Nachhaltigkeit. Marx sei von einem naiven Realismus bestimmt und wisse nichts von der Beobachtungsabhängigkeit von Wahrnehmungen und Urteilen. Zudem sei er fälschlich der Ansicht gewesen, dass sich Machtbezüge ausschließlich hinsichtlich der Klassengegensätze aussagen lassen. Macht würde es aber auch nach Abschaffung der Klassengegensätze geben.

Die dritte Frage (Voraussage) beantwortet Marx mit einer Tendenz zum Fall der Profitrate infolge Überproduktion und Konkurrenz mit Absatzminderung, Handelskrisen und menschlicher Emanzipation. Kritisiert wird daran, dass Marx über keine Techniktheorie verfügt, dass Technik und Macht den Kapitalismus überleben können und dass der Kapitalismus die Klassenkonflikte verrechtlicht, Krisen abfedert, zum Beispiel durch staatsbürgerlichen Privatismus: Der Staat nimmt den Bürgern einen Teil ihres Lebensrisikos ab und verlangt von den Arbeitern gleichzeitig, dass sie sich lediglich als Bürger engagieren, nicht aber als Mitglieder einer gesellschaftlichen Klasse.

Insgesamt folgt aus der ausdifferenzierten Kritik an Marx, dass Marx falsifiziert ist, solange er als unver-änderlicher Bestand von Lehrsätzen gelesen wird. Ebenso folgt: Marx begleitet genau dann die weitere Entwicklung des Kapitalismus, wenn seine Beobachtungen, Erklärungen und Voraussagen als etwas Elastisches gelesen werden, das sich zwischen falsch und wahr erstreckt und das prinzipiell helfen kann, in verschiedener Hinsicht zutreffend, wenngleich nicht unfehlbar zu werden. Diese zweifache Konsequenz ergibt sich aus so verschiedenen Monografien und Einführungen des beginnenden 21. Jahrhunderts wie Gérard Bensussan (Marx le sortant/Marx, Aussteiger aus der Philosophie, 2007), Bernd Ternes (Karl Marx, 2008), Robert Misik (Marx verstehen, 2010), Terry Eagleton (Why Marx was Right, 2011), Pierre Dardot/Christian Laval (Marx, prénom: Karl, 2012) und last not least Domenico Losurdo, zuletzt mit: La sinistra assente (Die abwesende Linke), 2014. Auch jene Studie von Axel Honneth (Die Idee des Sozialismus, 2015) schließt sich an, den Sozialismus als verstetigte Harmonie zwischen familiärer Intimität, politischer Willensbildung und dem Abbau von Einkommensungleichheiten mittelbar im Sinn von Marx zu befürworten.

Die drei hier besprochenen Bücher demonstrieren in verschiedener Hinsicht eine postmarxistische Gültigkeit der Marx’schen Beobachtungen, Erklärungen und Voraussagen. Beginnen wir mit Die Freihandelsfalle, dem Sammelband zum TTIP-Abkommen. Auf der Berliner Anti-TTIP-Demonstration vom 10.10. 2015 mit etwa 250.000 Demonstranten wurde öffentlich, dass das CETA-Abkommen zwischen Kanada und den USA auf beiden Seiten bereits hunderttausende bis eine Million Arbeitsplätze kostete. Die große Koalition, die Unternehmer oder Beiträge auf „Spiegel-Online“ reden die TTIP-Risiken noch immer gering. Ulrich Grillo, Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie, findet: „Wir Europäer müssen die Globalisierung gestalten wollen. Wer nur blockiert, verliert.“ Mit „wir“ sind hier die europäischen Unternehmer gemeint. Die Formulierung „gestalten wollen“ bezeichnet die Entmachtung der Staaten zugunsten der Privatunternehmen. Das „verliert“ ist Wasser auf die Mühlen des Vergessens. Denn Ende der 1990er Jahre verschwand das Vorgänger-Projekt namens MAI in dem Augenblick, als Globalisierungskritiker es an die Öffentlichkeit brachten (74). Wikileaks enthüllt im Oktober 2015 unter Verschluss gehaltene Papiere: Mit dem geplanten Abkommen werden preiswerte Medikamente (Generika) teurer und für bedürftige Patienten unerschwinglich. Die Analysen des hervorragenden Bändchens bleiben trotz dieser neuen Ereignisse aktuell.

Die Globalisierung – verstanden als Fortsetzung des Kolonialismus mit anderen Mitteln und Benennungen – sollte dem Wort nach allen nützen und begünstigte der Sache nach wenige. Die Krise von 2008 stärkte die Reichen. Das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA beweise, dass die „Regierungen in Europa und den USA […] selbst aus der Finanzkrise nichts gelernt haben“ (80). Dies stehe im Kontrast zu Asien und Südamerika, die beide „aus ihren regionalen Krisen in der Vergangenheit längst Schlüsse gezogen und sich für eine stärkere Regelung der Finanzmärkte entschieden“ haben. Das TTIP scheint unausweichlich, alle Sachzwänge sind wieder selbstgemacht und das Lamento derer, die nicht wissen konnten, welche Zwangsregeln installiert werden, damit die Märkte definitiv regulierungsimmun agieren, wird wie üblich seitens derer hörbar werden, die ein Buch wie dieses nicht lasen. Daher sei es mit Nachdruck empfohlen. Es bietet eine Mischung aus geordneten Informationen, verbunden mit kritischen Warnungen und einer Liste der längst formulierten Alternativen des „Alternative Trade Mandate.“ Alles, was die Investoren wollen, ist Schutz vor der Diskriminierung durch die Gastländer. Sie verlangen somit Garantieerwartungen für private Güter. Die Verfasserinnen und Verfasser setzen diesem Wunsch den Gedanken einer Bewahrung der öffentlichen Güter entgegen. Dazu gehören ein Schutz der regionalen Produktion, Schutz der Umwelt, Schutz der Arbeitsmärkte, der staatlich garantierten Öffentlichkeit, der öffentlichen Dienstleistungen bezüglich Nahrung, Wasser, Gesundheit und Bildung.

Man erkennt: Schutz wird sowohl von den Investoren als auch von den Verbrauchern verlangt. Schutz scheint das mit dem Kapitalismus derzeit am meisten verbundene Gut zu bilden. Neu erscheint dabei allerdings, dass der Schutz vor dem Kapitalismus ergänzt werden soll durch den Kapitalismus als schutzwürdiges Gut. Ist eine solche Ergänzung möglich? Die Frage hatte sich bisher nicht gestellt. Mit dem TTIP ist sie auf dem Tisch. Mit diesem Abkommen soll es in der Tat möglich sein, dass Konzerne für entgangene Gewinne entschädigt werden können und zwar vor dem Richterstuhl privater Einrichtungen, die jeder staatlichen Kontrolle entzogen sind. Auf diese Wiese wird zweierlei eingeführt, ein Recht auf Belohnung für Verluste und eine Staatsentmachtung. Innerhalb einer staatlichen Ordnung kann es kein Recht auf nicht erzielte Gewinne geben, ebenso wenig wie es ein Recht gibt, nicht bestandene Examina als bestanden zu buchen. Der Schutz des Kapitalismus führt zu einer Beendigung des Schutzes vor dem Kapitalismus.

Mit dem Thema des Schutzes vor dem Kapitalismus beschäftigt sich das Buch von Michael Brie. Es ist drei Phänomenen gewidmet, der Dynamik des Kapitalismus, dem Schutz vor Kapitalismus und der Emanzipation. Wenn Kapitalismus geschieht, dann muss der Staat oder die Gesellschaft Formen des Schutzes finden und erfinden, welche in der Lage sind, die Mehrheit vor der Minderheit des Unternehmerhandelns zu schützen. Doch ein Denken des Kapitalismus in Kategorien des Schutzes vor dem Kapitalismus bleibt dem Kapitalismus verhaftet und enthält keinerlei über ihn hinausweisende Dimension. In einer darstellenden Auseinandersetzung mit dem seit einigen Jahren erneut aktuell gewordenen Karl Polanyi und mit Nancy Frazer legt Brie dar, dass die den Kapitalismus überschreitende Dimension nichts anderes als politische Emanzipation bedeuten kann. Politische Emanzipation: Bedeutet das nicht jenen Utopierest des 19. Jahrhunderts, der mehr als eine Reminiszenz nicht zu bieten hat? Wie aber, wenn der kapitalistische Staat, der lediglich über eine Output-Demokratie verfügt, seine Bürger vor einer politischen Emanzipation deshalb schützt, weil er sie als revolutionäre Bedrohung der „liberalen Oligarchie“ (Danilo Zolo für: „Demokratie“) wahrnimmt? Bereits 1881 hatte Bismarck seine Sozialgesetzgebung als Prävention gegen Revolution verstanden, worauf Brie passend verweist (26). Polanyis „Große Transformation“ ist 2001, versehen mit einem Vorwort von Joseph E. Stiglitz, bei Beacon Press in Boston neu erschienen (The Great Transformation. The Political and Economic Origins of Our Time). Polanyis Diagnosen enthielten die Einschätzung, dass Arbeit, Land und Geld lediglich fiktive Waren darstellen und dass ihre Vermarktung eingestellt werden müsse. Stiglitz weist in seinem Vorwort darauf hin, der von Polanyi als Täuschung verstandene selbstregulative Markt könne zu einem „Mafia capitalism“ und zu einem „Mafia political system“ führen. Das Beispiel Russlands nach der Auflösung der Sowjetunion zeige: Der Markt richtete es nicht. Denn dafür fehlten „the necessary legal and institutional infrastructures.“

Unschätzbar sind die von Brie übersetzten und abgedruckten Texte von Nancy Frazer und Polanyi. Frazers Überlegungen laufen auf den Schlüsselsatz hinaus: „Von jetzt ab gibt es keinen sozialen Schutz mehr ohne Emanzipation.“ (114) Die abgedruckten Texte von Polanyi – darunter ein Hamlet-Essay, der das düstere Zeitalter Polanyis als dennoch hoffnungsgeladen deutet – und die Berliner Rosa-Luxemburg-Lecture von Karin Polanyi-Levitt sind wertvolle Dokumente, welche den „common sense“ der Staatsbürger als „Basis von Politik in einer Demokratie“ (128) auszeichnet.

Das Büchlein zu Piketty ist leicht zu lesen und leicht zusammengefasst. PikettyPiketty konstatiert einen Zustand r>g (der Vermögensreichtum ist größer als das Wirtschaftswachstum) und verlangt eine Umkehrung: g>r (das Wachstum habe größer zu sein als der Vermögensreichtum). Als Mittel zu dieser Umkehrung schlägt Piketty eine globale Vermögenssteuer vor, die bei einer bestimmten Vermögenshöhe einsetzt. Konservative verdächtigen Piketty eines verborgenen Marxismus. Linke Kritiker erblicken in seinen Analysen lediglich Systembeschreibungen, welche die Frage des Privatbesitzes der Produktionsmittel nicht stellt. Das Büchlein verdeutlicht all diese Aspekte.

Ergänzend sei zweierlei festgestellt. Erstens, die Tendenz eines sich auf Vermögen ausruhenden Kapitalismus, ein Genießen von Luxus, eine Erstarrung des Innovationsgeistes hatte bereits 1913 Werner Sombart in seiner Studie Der Bourgeois. Zur Geschichte des modernen Wirtschaftsmenschen für Italien, Holland, Spanien, Frankreich und Großbritannien im Unterschied zu Deutschland und den USA beobachtet. Marx hatte diese Tendenz nicht wahrgenommen. Zweitens: Piketty entdeckt jene progressive Besteuerung wieder, welche die Autoren des Manifests der kommunistischen Partei 1848 forderten und welche seither ein kapitalistisches Gemeinwesen überhaupt erst lebensfähig werden ließ. Das Büchlein zu Piketty leitet uns zu einem Dilemma: Geschieht Wachstum, dann scheinen ein ökologischer Kollaps und soziale Ungleichheiten unvermeidlich. Ein Luxus- und Vermögenskapitalismus dagegen führt zu unausgleichbaren Ungleichheiten und politischer Exklusion der Mehrheiten. Eine Diskussion und Bearbeitung dieses Dilemmas steht noch aus.

Die Studien zu TTIP und Piketty sind ökonomischen Disproportionen gewidmet. Es scheint sich Rathenaus Wort zu bestätigen, dass die Wirtschaft unser Schicksal sei. Die Bemühungen von Polanyi und Nancy Frazer laufen jedoch darauf hinaus, dass die Ökonomie nicht unser Schicksal wird und nicht werden darf. Axel Honneth möchte derzeit unter Sozialismus verstehen, dass Intimität, politische Willensbildung und ein institutionalisierter Abbau von Einkommensungleichheit miteinander harmonieren. Auf diese Weise wird Marx nicht historisiert. Vielmehr möchte der Postmarxismus die marxschen Quellen einer zumindest methodisch konzipierten post-anthropozentrischen Harmonie zwischen Natürlichkeit und Kultur fließen lassen, an deren Vergiftung der Kapitalismus mit immer neuen Einfällen arbeitet.

Bernhard H. F. Taureck

„Wettbewerbsbündnisse“ und Betriebsräte

Daniel Behruzi, Wettbewerbspakte und linke Betriebsopposition. Fallstudien in der Automobilindustrie. VSA Verlag, Hamburg 2015, 421 Seiten, 29,80 Euro.

Daniel Behruzi hat ein wissenschaftlich und politisch nützliches Buch geschrieben. Beides zusammen ist für eine Doktorarbeit in der heutigen Zeit kaum selbstverständlich. Gegenstand seiner empirischen Untersuchung sind sog. Wettbewerbspakte, die in der Automobilindustrie auf Ebene der Unternehmen zwischen Management und Belegschaftsvertretungen abgeschlossen werden, und die damit verbundenen Legitimationsprobleme für die mitverantwortlichen Betriebsratsmehrheiten. Besondere Aufmerksamkeit schenkt Behruzi dabei der Herausbildung (15) und der Rolle linker oppositioneller Betriebsratsgruppen. Unter Wettbewerbspakten werden Vereinbarungen verstanden, in denen das Management Investitionen, Standort- oder Beschäftigungsgarantien für einen begrenzten Zeitraum zustimmt, um im Gegenzug Konzessionen von Belegschaften zu erhalten. In diesen ungleichen Tauschgeschäften sind Interessenvertreter etwa bereit, flexibleren oder längeren Arbeitszeiten sowie Lohnverzicht in der Hoffnung zuzustimmen, Arbeitsplätze zu sichern. Entwickelt und erprobt wurde dieses Vorgehen Mitte der 1980er Jahre in den USA. Nach der großen Krise der Autoindustrie Anfang der 1990er Jahre kamen sie auch in Deutschland auf und gehören mittlerweile insbesondere in der Metall- und Elektroindustrie zum festen Bestandteil unternehmerischer Wettbewerbs- und betriebsrätlicher Interessenpolitik (61-62).

Ausgangspunkt ist für Behruzi die These, dass derartige Wettbewerbsbündnisse zu einer Erschöpfung der Legitimitätsressourcen der verantwortlichen InteressenvertreterInnen führen (13). Mit anderen Worten: Den Betriebsräten droht der Verlust an Rückhalt in den Belegschaften. Behruzi verknüpft diese Fragestellung mit der Untersuchung der Rolle unterschiedlicher politischer Strömungen innerhalb der Belegschaft bzw. innerhalb der Betriebsratsgremien: Da Legitimationsprobleme nicht überall in gleichem Maße zu beobachten seien, wo es Wettbewerbsbündnisse gibt, müssen andere Faktoren den Ausschlag geben. Hier schlägt die Stunde linksoppositioneller Gruppen, „die in der Lage sind, kritische Deutungen der Betriebsratspolitik in wichtigen Belegschaftsteilen zu verbreiten und Alternativen zu formulieren. Die zentrale Ausgangsthese dieser Arbeit ist, dass die Legitimitätsverluste der Betriebsratsmehrheiten dadurch deutlich verstärkt werden.“ (14) Die empirische Basis der Studie sind jeweils zwei Betriebs-Fallstudien in den Konzernen Opel und Daimler, die auf 28 Experteninterviews, Dokumentenanalysen und gelegentlichen teilnehmenden Beobachtungen beruhen (15). Als Ausweis für Legitimationsprobleme der Betriebsratsmehrheit nimmt Behruzi zum einen Arbeitskämpfe, die nicht von der Betriebsratsmehrheit „kontrolliert“ wurden, und zum anderen die Wahl linker Oppositionsgruppen in den Betriebsrat. Dies ist die zentrale Fragestellung seiner Studie; darüber hinaus widmet sich Behruzi außerdem ausführlich der Überprüfung von prominenten Annahmen über die Auswirkungen von Wettbewerbsbündnissen, die in der soziologischen Fachdiskussion eine Rolle spielen: Welche Folgen haben die Pakte etwa für Löhne und Tarife, wie wirken sie sich auf die spezifischen Einflusschancen von Betriebsräten aus? In welchen Situationen entstehen Wettbewerbspakte – lediglich in Krisenzeiten, oder werden sie auch in normalen Zeiten genutzt, um die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu verbessern? Oder: Ist auf die Gegenleistungen der Konzerne, die diese den Belegschaften für Flexibilitätsbereitschaft und/oder Lohnzurückhaltung versprechen, Verlass? Das alles sind wichtige Fragen, nicht zuletzt für aktive GewerkschafterInnen. Daher liest sich Behruzis Arbeit auch nicht wie eine Detailstudie über Legitimationsprobleme, sondern hat den Charakter einer soliden Einführung in das Thema. Gleichzeitig führt das breite Erkenntnisinteresse aber dazu, dass die Arbeit durch immerhin 17 Thesen strukturiert wird – ein nicht nur für qualitative Studien außergewöhnliches Vorgehen. Der Nachteil dieser Thesenwucht: Bereits in der Einleitung, spätestens aber in den Passagen, in denen die Thesen vorgestellt werden (115-127), ist nicht immer ganz klar, welche Problemstellung und welche der Thesen nun im Zentrum der Arbeit stehen. Diese Unklarheit wird gleichwohl für den Leser teilweise kompensiert, denn die Annahmen strukturieren nicht nur die Betriebsfallstudien (127-298) in übersichtlicher Weise, sondern ermöglichen es Behruzi auch, im Schlussteil kompakt die wesentlichen Befunde seiner Untersuchung zu präsentieren (311ff.).

Einige Ergebnisse der Arbeit sind zunächst überraschend. Das gilt z.B. für den Befund,, dass die Spaltung der Betriebsratsgremien nicht notwendigerweise zu einer Schwächung, sondern dass die Existenz von linken Oppositionsgruppen auch zu einer Stärkung der gewerkschaftlichen Organisationsmacht führen kann (336ff.); oder dass eine linke Opposition die Betriebsratsmehrheiten in ihren Verhandlungen mit dem Management sogar stärken kann, da letztere regelmäßig auf die fordernden Kritiker verweisen können und so über ein Druckmittel mehr verfügen. Mit Blick auf die Kernfragestellung ist interessant, dass Legitimationsprobleme sich keineswegs umstandslos auf die Wettbewerbsbündnisse zurückführen lassen. Diese stellen lediglich eine Bedingung dar. Im Vergleich zwischen den vier Standorten wird vielmehr deutlich, dass linke Oppositionsgruppen bei Daimler/Untertürkheim (mit Wurzeln in der Plakat-Gruppe um Willi Hoss) und Opel/Bochum (Gegenwehr ohne Grenzen) auf lange Traditionen blicken können, die bis in die 1970er Jahre zurückreichen. Das scheint zunächst einmal kaum überraschend – verweist allerdings auf die große Bedeutung, die der Herausbildung von Aktivistenkernen in der Betriebspolitik zukommt. Von Spontaneität kann zumindest in diesen Fällen keine Rede sein. Als kompliziert stellt sich, so Behruzi, zudem die Verarbeitung von Legitimationsproblemen durch die Belegschaften dar. Zur Erinnerung: Arbeitskämpfe, die von den Betriebsratsmehrheiten nicht kontrolliert wurden, werden von Behruzi als Ausweis von Legitimationsproblemen genommen. Derartige Arbeitskämpfe führten bei Daimler und Opel aber nicht zum Machtverlust der Betriebsratsmehrheiten. Behruzi arbeitet eine Vielzahl von Faktoren heraus, die dies verhindern (334ff., 350ff.). In diesem Zusammenhang ist es gleichwohl schade, dass aus pragmatischen Gründen keine Interviews mit Beschäftigten geführt wurden. Über die Gerechtigkeitswahrnehmungen und die Verarbeitungsweisen der ArbeiterInnen erfährt man dementsprechend kaum etwas.

Thomas E. Goes

Kapitalismus oder
Demokratie

Conrad Schuhler, Widerstand. Kapitalismus oder Demokratie, isw-Report Nr. 96, München März 2014, 39 S., 3,50 Euro.

Dass Kapitalismus und Demokratie keineswegs in symbiotischer Beziehung miteinander verbunden sind, sondern (vorsichtig formuliert) in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen, hat sich spätestens seit der Großen Krise von 2008ff. im Mainstream der Sozialwissenschaften als Ansicht zunehmend verbreitet. Conrad Schuhler nimmt neuere Diskussionen um den Zustand bürgerlicher Demokratie zum Anlass einer marxistischen Bestandsaufnahme. Im Anfang seiner Überlegung steht die (zutreffende) theoretische Grundannahme, dass bürgerliche Demokratie seit ihren Anfängen „ein System der Klassenherrschaft des Kapitals“ (4) war und jenes bis weit ins 19. – teilweise gar bis ins 20. – Jahrhundert bemüht war, subalterne Klassen von jeder Einflussnahme auf politische Willensbildung und Entscheidungsfindung formal auszuschließen. Gleichwohl geht es Schuhler nicht zuvörderst darum, die wechselhafte Geschichte der Demokratie und die sie prägenden Dynamiken von Inklusion und Exklusion nachzuzeichnen. Im Zentrum seiner Analyse steht vielmehr – zeitdiagnostisch – die Bedrohung der Demokratie durch einen zunehmend offen autoritären Gegenwartskapitalismus. Schuhler arbeitet zum einen – historisch und theoriegeschichtlich – heraus, dass neoliberale Denker wie Friedrich August von Hayek oder Walter Lippmann seit je Demokratie als potentielle Gefährderin dessen charakterisieren, was sie Freiheit nannten. Er erinnert in diesem Kontext auch daran, dass noch vor dem Durchbruch neoliberal inspirierter Wirtschaftspolitik in Großbritannien und den USA unter Thatcher und Reagan, der erste Modellversuch einer neoliberalen Wirtschaftsordnung in Chile mit dem Putsch Augusto Pinochets und der Zerschlagung der Demokratie verbunden war. Zum anderen zeichnet er materialreich nach, wie gerade die Krisenprozesse der letzten Jahre das un- und antidemokratische Programm des Neoliberalismus weit eher beschleunigt als gebremst haben. Der in eine Akzeptanzkrise geratene Neoliberalismus wirkt nun im Zeichen von Austerität und „Sicherheitspolitik“ noch stärker als Motor einer grassierenden Entdemokratisierung, die nur durch konsequenten Widerstand aufgehalten werden kann: „Je mehr die Resthegemonie an- und abgenagt wird, umsomehr wächst die Gefahr, dass die in Bedrängnis geratenen Eliten auf die Unterstützung rechtsradikaler Kräfte und auf die Gewalt von ‚Sicherheitskräften‘ setzen.“ (33)

Schuhlers Broschüre ist fraglos ein lesenswerter Beitrag zur Debatte, zumal er viele Einzelaspekte behandelt und zusammendenkt: monopolisierte Medienmacht und Privatisierungspolitik, die Probleme sozialpartnerschaftlich konditionierter Mitbestimmung und die Bedeutung transnationaler Wertschöpfungsketten. Auch zahlreiche empirische Studien zieht Schuler heran: die Ergebnisse der Jenaer Forschungen zum Bewusstsein von Lohnabhängigen, die Mitgliederstudie der IG Metall, aber auch neuere Untersuchungen sozialer Bewegungen. Stark ist Schuhlers Analyse dabei überall dort, wo sie sich auf konkrete Krisentendenzen des Demokratischen bezieht. Schwächer wird seine Argumentation in den normativen Passagen. Schuhler kritisiert zu Recht eine Unterschätzung sozialer Protestbewegungen in der bürgerlichen Politikwissenschaft. Gleichwohl erscheint die Feststellung, dass insbesondere Proteste so genannter „Wutbürger“ letztlich ein auch soziologisch bürgerliches Phänomen (Franz Walter) bleiben, keineswegs dem Versuch geschuldet, Protestpotentiale kleinzuhalten, sondern verweist auf ein wirkliches Problem. Nicht erst PEGIDA zeigt, dass keineswegs alle Proteste der letzten Jahre Ausdruck einer nach links tendierenden Politisierung der sozialen Frage waren. Die Forderung, die Protestbewegungen (denken könnte man hier an ein Spektrum von Stuttgart 21 bis Blockupy) müssten zur „Erkenntnis vorstoßen […], dass sie zusammengehören“ (36) bleibt eher ein gutgemeinter Appell als eine im realen Bewegungsgeschehen fundierte Strategie. Solche eher unbestimmten und appellatorischen Politikempfehlungen finden sich zahlreiche. So rät Schuhler den Gewerkschaften – ganz im Kontrast zu den ambivalenten Stimmungslagen der Mitglieder, die er selbst gerade noch referierte – sich durch politische Streiks „endlich den nötigen Einfluss auf die politische Konfliktebene [zu] verschaffen“ (35). Auch seine Konzeption einer Wirtschaftsdemokratie, unter der er letztlich eine mit dem parlamentarischen Vertretungsprinzip brechende, aktualisierte Rätedemokratie auf allen Ebenen (einschließlich der Globalen) versteht, geht denn doch an zu vielen konkreten Fragen vorbei: etwa dem Umgang mit tatsächlichen Repräsentations- und Partizipationskrisen oder auch schlicht der Organisationsfrage, die beantwortet werden muss, wenn politische Mobilisierung auf Dauer gestellt werden soll. Dies erscheint nicht zuletzt daher problematisch, als Schuhler sein Konzept durchaus nicht als Erweiterung, sondern im Gegensatz zu pragmatischeren (aber eben auch realistischeren) Ansätzen der Etablierung wirtschaftsdemokratischer Steuerungsprinzipien – etwa den Überlegungen Hans Jürgen Urbans, denen er vorwirft, „Markt und Plan“ versöhnen zu wollen (29) – formuliert. Neben richtigen und wichtigen Überlegungen – etwa zur Rolle der demokratischen Frage beim Scheitern bisheriger Sozialismusversuche – und äußerst bedenkenswerten Einschätzungen – etwa zur Notwendigkeit zivilen Ungehorsams angesichts wachsender Repression –, stehen Passagen, die den Problemen gegenwärtiger Entdemokratisierung eher ausweichen, als sich ihnen wirklich zu stellen: so bei der von Schuhler etwas vorschnell beiseite gewischten Spannung zwischen national verfassten demokratischen Systemen und supranationalen Wirtschaftsregimen, zu deren Auflösung die Forderung nach einer „umfassende[n] demokratische[n] Ausgestaltung der EU“ (31) nur wenig konkretes beiträgt. So bleibt der Eindruck, dass der Text zu viel sein will: Politisches Strategiepapier, Zeitdiagnose und utopischer Entwurf. Weniger wäre (noch) mehr gewesen.

David Salomon

Noch einmal zu Richard Müller

Ralf Hoffrogge, Working-Class Politics in the German Revolution. Richard Müller, the Revolutionary Shop Stewards and the Origins of the Council Movement, Haymarket Books, Chicago 2015, 253 S., 28 $.

Hoffrogges 2008 erschienene politische Biografie des unter Linken weithin unbekannten Richard Müller (1880-1943), Vorsitzender des Vollzugsrats der Groß-Berliner Arbeiter- und Soldatenräte[1][3], war in „Z“ von Gerhard Engel unmittelbar nach Erscheinen ausführlich besprochen worden.[2][4] Hoffrogges Studie ist inzwischen in einer erweiterten und überarbeiteten Fassung auf Englisch erschienen; neu sind u.a. die Kapitelzusammenfassungen und die Einarbeitung der einschlägigen Literatur der Jahre 2008-2014. Da die Neuausgabe eine bemerkenswerte Ergänzung enthält, soll sie hier kurz angezeigt werden.

Zur Erinnerung: Richard Müller war zu Beginn des Ersten Weltkrieges Branchenleiter der Berliner Dreher im Deutschen Metallarbeiterverband. Er spielte eine führende Rolle bei der Herausbildung einer selbständigen linken Strömung im DMV, die sich gegen die Burgfriedenspolitik der Führungen von Gewerkschaft und SPD stellte. Aus ihr gingen die weitgehend konspirativ agierenden „revolutionären Obleute“ hervor, die die großen Berliner Arbeiterstreiks der Jahre 1916, 1917 und 1918 sowie die Vorbereitungen für den bewaffneten Aufstand in Berlin im November 1918 organisierten. Müller gehörte der USPD an, blieb aber in erster Linie Gewerkschafter, der sich von der politischen Führung nichts sagen ließ. Dabei blieben in seinem Denken sozialistisches Ziel und gewerkschaftliche Organisationspraxis „recht unverbunden“, wie Hoffrogge anmerkt. Dass der Kontakt zur Spartakus-Gruppe während des Krieges nur lose war, hing aber auch mit deren nur schwacher Verankerung in der Arbeiterschaft und im Milieu der gewerkschaftlichen Obleute zusammen. So gehörten Karl Liebknecht, Wilhelm Pieck und Ernst Meyer erst seit Ende Oktober 1918 zur Leitung der revolutionären Obleute.[3][5] In den entscheidenden Phasen der Vorbereitung des bewaffneten Aufstands, in denen strategisches Denken gefragt war, kam es zwischen den auf Massenaktionen und deren weitertreibende Dynamik setzenden Spartakisten, insbesondere Liebknecht, und den mit der betrieblichen Basis verbundenen, im gewerkschaftlichen Organisationsdenken geschulten und eher vorsichtigen Obleuten, deren Repräsentant Müller war, zu massiven Konflikten und wechselseitigen Vorwürfen, wie man u.a. den Aufzeichnungen Liebknechts entnehmen kann. Diese politischen Differenzen blieben auch noch in den nächsten Jahren virulent. Nach den Wahlen von Arbeiter- und Soldatenräten in den Berliner Betrieben am 10. November 1918 wurde Müller zum Vorsitzenden des Vollzugsrats gewählt, in dem die Auseinandersetzungen zwischen (wiedererstarkter) Mehrheitssozialdemokratie und Linken bis zur Beseitigung der Rätestrukturen im Herbst 1919 sich fortsetzten. Unter dem Eindruck des Scheiterns der Revolution und der zweideutigen Haltung der USPD beim Kapp-Putsch wandte sich Müller Ende 1920 mit der Mehrheit der USPD der KPD zu. Er orientierte sich als Anhänger einer auf Arbeit in den Gewerkschaften setzenden Einheitsfrontpolitik an Lenin, leitete zeitweilig die Betriebsrätezentrale der KPD, geriet dann aber nach dem Übergang des Parteivorsitzes von Levi an Brandler 1921 in Widerspruch zur „linken“ Offensivstrategie der KPD und der „März-Aktion“, die er unter Hinweis auf die Stimmung in den Betrieben scharf ablehnte. Das trug ihm ein Parteiausschlussverfahren ein, das aber nicht durchgesetzt wurde. Als Kritiker der Zentrale nahm er u.a. mit Clara Zetkin am III. Kongress der KI teil; sie fanden dort in den strittigen Fragen die Unterstützung Lenins.

Bisher war angenommen worden – so auch in Hoffrogges Biographie von 2008 –, dass Müller im Rahmen der in der KPD eskalierenden Konflikte nach Ausschluss Levis und der von Levi initiierten Gründung der „Kommunistischen Arbeitsgemeinschaft“ (KAG), mit der die meisten Obleute und auch Müller sympathisierten, im Januar 1922 aus der KPD ausgeschlossen worden sei. Dies trifft jedoch nicht zu. Hoffrogge fand im Moskauer RGASPI-Archiv (ehemaliges zentrales Parteiarchiv des IML) eine unter dem Namen Richard Müller geführte Kaderakte der KI, die sich als ein mixtum compositum der Dokumente von drei oder vier verschiedenen Richard Müllers erwies. Einige Dokumente sind eindeutig dem hier in Rede stehenden Richard Müller zuzuordnen, darunter ein ausführliches Schreiben Müllers vom Oktober 1924, das Angaben zu seiner Tätigkeit seit 1922 enthält. (174-183) Aus diesen in Auszügen dokumentierten Unterlagen ergibt sich folgendes:

(1.) Müller blieb mindestens bis Oktober 1924 KPD-Mitglied (174). Für ihn kam aus politischen wie persönlichen Gründen (Differenzen zu Levi) eine Mitgliedschaft weder in der USPD noch in der KAG in Frage (175).

(2.) Müller reklamiert in seinem Schreiben, er sei seit 1921 wegen seiner kritischen Haltung zur Parteiführung de facto kalt gestellt worden und habe keine Funktionen ausüben können – weder im Rahmen der Roten Gewerkschaftsinternationale noch als auf dem Jenaer Parteitag 1921 gewählter Sprecher der kommunistischen Metallarbeiter noch als Autor der „Roten Fahne“. (176)

(3.) Im November 1923, nach dem Scheitern des „deutschen Oktober“, erhielt er das Angebot, die Gewerkschaftsarbeit der KPD in Berlin zu leiten. Müller machte seine Einverständnis von folgenden Konditionen abhängig: Zustimmung der Berliner Betriebsräte zu seiner Partei-Funktion; Bereitschaft der KPD, ein Aktions- und Organisationsprogramm für die Betriebsrätebewegung auszuarbeiten und das Verhältnis zwischen KPD, Gewerkschaften und Betriebsrätebewegung zu klären. Die KPD-Führung lehnte diese Bedingungen mit dem Hinweis auf „Größenwahn“ ab. (180f.) In der Tat, meint Hoffrogge, hatte Müller überzogen. Er war nicht mehr, wie in der Vergangenheit, der Repräsentant der revolutionären Obleute und er repräsentierte 1923 keine relevante Gruppe der Berliner Arbeiter. (181)

(4.) Müller trägt in seinem Schreiben an die KI eine scharfe Kritik an der Vorbereitung der KPD-Führung auf den Oktober 1923 vor. In der „akut revolutionären“ Situation sei die Vorbereitung dilettantisch und „kriminell gegenüber der Partei“ gewesen. Auch hier zeigt sich eher seine Isolation. Er stützt sich allein auf die Vorgänge bei einer großen öffentlichen Parteiversammlung in Berlin. Die ein Jahr nach den Ereignissen eigentlich zentrale Frage, ob die Gesamteinschätzung im Herbst 1923 als „akut revolutionär“ realistisch war, warum nicht einmal ein Generalstreik zustande kam und warum die Arbeiterschaft mehrheitlich passiv blieb, wird – wie auch Hoffrogge konstatiert – nicht aufgeworfen. Gerade das wäre aber das „Terrain“ gewesen, auf dem Müller immer sich auszukennen reklamierte. Denkbar ist allerdings, dass Müller sich zu dieser Frage in dem Schreiben an die KI, mit dem er seine Parteimitgliedschaft retten wollte, schon deshalb nicht äußerte, weil die KI in der Auseinandersetzung um den „deutschen Oktober“ zunehmend auf den linksradikalen Flügel in der KPD setzte.[4][6]

Hoffrogges Fund unterstreicht den Eindruck, dass Richard Müller seit 1922 in zunehmender Isolation den Kontakt zur politischen Praxis verloren hatte. Aber er hat diese Zeit auf andere Weise produktiv genutzt: 1923/1924 erschienen die drei Bände seiner eindrucksvollen, auf eigenem Erleben und Handeln und einem exquisiten Fundus an Dokumenten beruhenden „Geschichte der deutschen Revolution“ über die Jahre 1914 bis 1919. Und das ist nach wie vor ein linkes „Standardwerk“, dem in den nächsten Jahren der „Revolutionsjubiläen“ viele neue Leserinnen und Leser zu wünschen sind.

André Leisewitz

Ein Kriegsverbrecher,
getarnt in der DDR

Siegfried Grundmann, Georg Frentzel. PG und Angehöriger der SS-Einsatzgruppe B in der UdSSR. Genosse und Mitglied der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft. NORA Verlagsgemeinschaft, Berlin 2015, 161 Seiten, 14,90 Euro

Die allermeisten deutschen Kriegsverbrecher zogen es nach der militärischen Niederlage und der Befreiung des deutschen Volkes vom Faschismus vor, schleunigst das rettende westdeutsche Ufer zu erreichen. Dies gilt insbesondere für die höheren Chargen aus Wehrmacht und SS, Gestapo und SS-Einsatzgruppen, aus dem leitenden Personal der Konzen-trations- und Vernichtungslager, aus den Geheimdiensten, der Justiz, der NSDAP und der Ministerialbürokratie des Nazistaates und seinen Besatzungsverwaltungen im okkupierten Europa. Sie hatten sich nicht getäuscht und blieben dort in der Regel straffrei, eine juristische Ahndung ihrer Verbrechen wurde sabotiert, blockiert, verhindert. Die meisten von ihnen konnten ihre Berufskarrieren im bundesdeutschen Staat fortsetzen. Es gab allerdings auch einige wenige Naziverbrecher, die ein unauffälliges Weiterleben in der Sowjetischen Besatzungszone und später der DDR für die bessere Tarnung hielten, so der Arzt an der Rampe von Auschwitz, Dr. Horst Fischer, der in Spreenhagen nahe Berlin praktizierte, so Rudolf Zischka, einer der Mörder von Theodor Lessing 1933, der bis zu seinem Tode 1978 unbehelligt in Wernigerode am Harz lebte, und so auch Georg Frentzel, um dessen Verbrechen und deren Aufdeckung es im vorliegenden Buch geht. Der Autor widmet seine Publikation den Opfern des Einsatzkommandos 8.

Frentzel, 1914 im Saarland geboren, wurde 1934 dort Mitglied des Ordnungsdienstes der Deutschen Front, die die Saarabstimmung vom Januar 1935 und den Anschluss an Nazideutschland terroristisch vorbereitete. Nach vier Jahren in der Wehrmacht trat er 1939 in die SS ein und wurde Kraftfahrer bei der Gestapoleitstelle Dresden. Diese schickte ihn alsbald nach Oppeln, wo ein Einsatzkommando der Sicherheitspolizei und des SD aufgestellt wurde, das unmittelbar nach der Wehrmacht in Polen einrückte, dort Polen und Juden verhaftete, quälte und mordete. 1941 wurde Frentzel der persönliche Fahrer von SS-Brigadeführer Karl Eberhard Schöngarth, des Befehls-habers der Sicherheitspolizei und des SD (BdS) im „Generalgouvernement für die besetzten polnischen Gebiete“ (der Zusatz entfiel 1940). Schöngarth war 1941-1943 BdS im GG.

Als in Vorbereitung des Überfalls auf die Sowjetunion im Frühjahr 1941 erneut SS-Einsatzgruppen aufgestellt wurden, wurde Frentzel nach Bad Schmiedeberg versetzt und als Kraftfahrer in das Einsatzkommando 8 der Einsatzgruppe B befohlen, das bis März 1943 von SS-Sturmbannführer Otto Bradfisch kommandiert wurde. Die Einsatzgruppe B war der Heeresgruppe Mitte zugeordnet; ihr Einsatzkommando 8 umfasste 60 bis 80 Mann und rückte über Białystok und Baranowicze nach Minsk vor. Es erreichte am 9. September 1941 Mogiljew, wo es für den Winter stationiert wurde. Entsprechend bildet Mogiljew den territorialen Schwerpunkt seiner Verbrechen. Nachdem das Kommando bereits auf seinem Weg mindestens 1100 Juden und sowjetische Parteifunktionäre in Białystok sowie weitere 2400 Juden in Baranowicze und Minsk erschossen hatte, folgten in Mogiljew mindestens acht Massenerschießungen von Juden aller Altersstufen und sowjetischer Kriegsgefangener mit mindestens 4100 Opfern, sodann bei einer Großaktion in Bobruisk, nördlich von Mogiljew, eine Massenerschießung von mindestens 5000 Juden beider Geschlechter und aller Altersstufen.

Als Kraftfahrer hätte sich Frentzel zurückhalten können, er war zur Teilnahme an solchen Einsätzen nicht kommandiert worden. Er fühlte sich als Kraftfahrer nicht ausgelastet, vor allem drängte er sich zur Mitwirkung an den Aktionen des EK 8 und beging oft aus eigenem Antrieb Verbrechen, um sich hervorzutun und die Anerkennung seiner Mordkumpane zu erhalten. Frentzel trieb mit ihnen die Opfer zur Erschießungsstelle, er erschoss sie persönlich, er trampelte auf den Leichen herum und misshandelte Gefangene. Im Oktober 1941 und Januar 1942 war Frentzel an der Tötung von 600 „Geisteskranken“ von Mogiljew beteiligt, die durch Abgase eines umgebauten LKW, den auch er fuhr, vergiftet wurden. Außerdem erschoss er 200 psychisch Kranke persönlich und warf anschließend noch Handgranaten auf die Opfer. Darüber hinaus wirkte Frentzel an der Vernichtung mehrerer sog. Partisanendörfer mit. Deren Einwohner wurden zusammengetrieben und erschossen, die Dörfer niedergebrannt, wobei Frentzel mit einer Panzerabwehrkanone Splittergranaten auf bewohnte Häuser abschoss, um seinen Einfallsreichtum bei den Mordtaten zu demonstrieren. Die bekanntesten größeren Aktionen waren die Vernichtung des Dorfes Borki, bei der 1741 Bewohner ermordet wurden, und von sieben Dörfern bei Studenka, wo das gleiche Schicksal 836 Bewohner traf. Frentzel erschoss bzw. erhängte hierbei Geiseln und als Partisanen verdächtigte Gefangene. Er beschränkte sich nicht auf die Dienste als Kraftfahrer, trat vielmehr durch eigene zusätzliche Aktivitäten bei den Verbrechen hervor. Auch war er ein leidenschaftlicher Fotograf, der die Untaten im Bild festhielt und Fotographien davon auch zu Hause aufbewahrte. Im März 1943 wurde Frentzel wieder zur Gestapo in Krakau zurückversetzt und nahm in deren Zweigstellen in Mielec, Stalowa Wola und Rzeszów an Vernehmungen und Erschießungen teil.

Nach der Kriegsniederlage war Frentzels Hauptsorge, seine Tätigkeit als SS-Oberscharführer im Einsatzkommando 8 zu verbergen. Von der SS mit einem Soldbuch der Wehrmacht ausgestattet, kam er als Obergefreiter der Wehrmacht in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Hier nahm er an Antifa-Schulungen teil, trat alsbald als aktiver und überzeugter Antifaschist auf und schulte selbst andere Gefangene. Als er 1949 aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrte, ging er, um mehr zu verdienen und seine Familie besser ernähren zu können, zur Wismut, wo er sich rasch zum Steiger qualifizierte. Allein viermal wurde er als Aktivist ausgezeichnet. Er trat in die SED ein und wurde 1963 als „Verdienter Bergmann“ von der SED-Parteiorganisation der Wismut zum VI. Parteitag delegiert.

In Schneeberg, wo die Familie eine Wohnung erhalten hatte, arbeitete er in einem Rechtssicherheitsaktiv mit, das öffentlich gewürdigt wurde. Bis 1968 war Frentzel ein öffentlich gefeierter Wismut-Kumpel und fungierte als Inbegriff eines klassenbewussten, aktivistischen Arbeiters. In der Wismut war er von der sowjetischen Abwehr als inoffizieller Mitarbeiter angeworben worden. Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR tat das gleiche. Beide Organisationen in der Wismut hatten von seiner früheren Tätigkeit bei der Gestapo Dresden und von seiner Zugehörigkeit zum EK 8 nicht die geringste Ahnung. Frentzel hatte von seinem Gel-tungsdrang nichts eingebüßt. Er war wirklich ein Aktivist der Arbeit in der Wismut, er wollte Beachtung und Anerkennung finden und dabei alle materiellen Vorteile wahrnehmen.

Als Kraftfahrer mit niederem SS-Rang war Frentzel zweifellos ein kleines Licht bei der Gestapo. Nach 1945 hoffte er, dies käme nie heraus. In den Fragebögen hatte er nach 1949 zwar seine frühere Mitgliedschaft in der NSDAP zugegeben, nie aber jene in der Sicherheitspolizei. Zwar musste er stets befürchten, dass die Aufdeckung und Verfolgung der Verbrechen der Einsatzgruppe B, für die es vor allem in der Ukraine und in Israel überlebende Zeugen gab, auch ihn erreichen würde. Doch glaubte er, sich durch das Vertrauen zweier Sicherheitsorgane ausreichend geschützt. In der Tat wollten deren Mitarbeiter bei der Wismut nach Frentzels Verhaftung auch nicht glauben, dass dieser klassenbewusste Arbeiter und vorbildliche Genosse ein Massenmörder sein sollte.

Die Untersuchungsorgane des MfS in Berlin kamen durch einen Zufall und auf einem Umweg auf seine Spur, nämlich durch die Ermittlungen gegen Rudolf Zimmermann, ebenfalls Bergarbeiter bei der Wismut. Aufgrund von israelischen Ermittlungen gegen Angehörige der Einsatzgruppe B wurde über Anfragen der Staatsanwaltschaft Freiburg gegen Zimmermann wegen seiner Verbrechen im polnischen Mielec ermittelt, wo jener in der dortigen Gestapodienststelle tätig war. Zimmermann war wie Frentzel beim SD in Kraków gewesen. 1944 selbst in Mielec, war er Zeuge der Verbrechen Zimmermanns gegen Hunderte jüdischer Zwangsarbeiter gewesen. Gegen Zimmermann, der 1966 verhaftet worden war, ermittelte das MfS bis 1968, im gleichen Jahr wurde er zu lebenslänglicher Haft verurteilt.

Die israelischen Hinweise an die Staatsanwaltschaft Freiburg enthielten auch einen Verweis auf einen Kraftfahrer Frentzel. Zimmermann räumte ein, dass dieser zu den Dienststellen in Rzeszów, Mielec und Stalowa-Wola der Gestapo gehörte, vermied aber, ihn zu belasten. Frentzel wurde 1969 verhaftet. Die schwierigen und langwierigen Ermittlungen gegen ihn führte der Mitarbeiter des MfS der Wismut Helmut Hörl. Die Ermittlungen waren nicht einfach und kamen bis zum Herbst 1969 über einen toten Punkt nicht hinaus, weil Frentzel seine konkreten Handlungen und die Tatorte nicht nennen wollte und sich dabei stets auf sein angebliches Vertrauensverhältnis zum MfS berief. Doch dieses Hindernis konnte überwunden werden, erstens durch neue, belastende Aussagen Zimmermanns, zweitens durch Zeugenaussagen sowjetischer Bürger und durch sowjetische Beweisdokumente aus Mogiljew. Schließlich konnte Frentzel seine Tatbeteiligung an konkreten Orten nachgewiesen werden. Zu Frentzels Verbrechen in Polen lagen eigene Aussagen von ihm vor, doch wurden sie für das Urteil – lebenslange Haft – nicht herangezogen, denn sie hätten ein weiteres Verfahren erfordert.

Grundmann gliedert sein Buch in drei, dem Umfang nach sehr ungleiche Teile. In der Einleitung beschreibt er, wie Frentzels Tätigkeit zum Gegenstand der Ermittlungen des MfS wurde, wie die Klippen dieser Ermittlung überwunden werden konnten und wie er selbst auf diesen Gegenstand stieß. Der Hauptteil unter dem Titel „Ich, Georg Frentzel“ ist ein literarischer Kunstgriff Grundmanns: Er schildert ein Geständnis Frentzels, in das lange wörtliche Zitate aus den Vernehmungsprotokollen aufgenommen sind, während andere Passagen vom Autor formuliert wurden. Ausführlich werden Dokumente zu den Verbrechen abgedruckt: Diese literarische Konstruktion hat Vor- und Nachteile. Sie lehnt sich an Aufzeichnungen von Höß an, überzeugt aber nicht durchgängig als Geständnis Frentzels, weil sie in hohem Maße in einer vom Ermittler formulierten Sprache gehalten ist. Dies mag angehen, wo Fragen und Vorhaltungen des Ermittlers aufgegriffen werden, wirkt aber wenig originär, wenn der Autor Frentzel im Erzählfluss Begriffe, Sprachmuster und Wertungen des Ermittlers benutzen lässt. Diese literarische Fiktion dient vor allem dazu, dem Leser Denken und Fühlen des Verbrechers verständlicher zu machen, doch sind ihre Ambivalenzen nicht zu überlesen.

Die Konstruktion wird verständlicher, wenn der Autor im Nachwort den Fragen nachgeht, was das Besondere am Fall Frentzel war und ob dessen Antworten glaubwürdig seien. Grundmann hält dessen Angaben im Großen und Ganzen für glaubwürdig, und er bescheinigt den Ermittlern des MfS, eine solide Arbeit geleistet zu haben. Im Unterschied zu Höß, dem Kommandanten von Auschwitz, gab Frentzel keine Befehle, es sei denn sich selbst; er führte sie aus. Im Unterschied zu Höß, der nie persönlich einen Häftling tötete oder misshandelte, mordete und folterte Frentzel mit eigener Hand. Als Oberscharführer der SS blieb Frentzel auf der untersten Ebene der Mörder und Schinder. Da kann von industriemäßiger Tötung keine Rede sein.

Doch ob Höß oder Frentzel, keines ihrer Opfer hatte ihnen jemals etwas angetan, sie beraubt oder beleidigt, sie mordeten nicht aus Haß oder Rachedurst, sie beglichen keine persönlichen Rechnungen, sie bereicherten sich nicht persönlich. In welchem Sinne kann von „niedrigen Motiven“ gesprochen werden, wenn die Mörder die für sie anonymen Opfer nicht als gleichwertige Menschen ansahen? Gegenüber den als minderwertig stigmatisierten Opfern gab es weder Haß noch Mitgefühl, es interessierte Frentzel nicht, warum sie, ob Jude, Kommunist oder Geisteskranker, erschossen wurden. Grundmann: „Kein ‚Unmensch, kein Sadist, kein Tier, nur eine Maschine, eine Tötungsmaschine ist er gewesen.“ (128)

Abschließend prüft der Autor die Frage, ob Frentzel nach dem Krieg ein „anderer Mensch“ geworden sei. „So er denn tatsächlich geglaubt haben sollte, was er später öffentlich verkündete, ist schwer zu begreifen, wie er sich den neuen Umständen seines Daseins entsprechend gewandelt und wie sich dem neuen Sein entsprechend ein neues Bewußtsein entwickelt hätte.“ (138) Reue zeigte er weder vor noch nach seiner Festnahme. Er setzte seine Lügen und Verdrehungen der eigenen Taten während der Ermittlungen fort. „Weniger seiner Schuld als vielmehr drohender aber vielleicht noch vermeidbarer Strafe bewusst, hat er sich getarnt.“ (139). Nicht Reue, Tarnung blieb sein Ziel. Frentzel kam zu der Überzeugung, durch sein politisches Auftreten für die DDR und seine berufliche Stellung nicht mehr erkannt und zur Rechenschaft gezogen zu werden. Dank der israelischen Hinweise und der erfolgreichen Ermittlungsarbeit des MfS trog diese Hoffnung.

Werner Röhr

Staatsmänner Ost und West

Günter Benser, Ulbricht vs. Adenauer im Vergleich. Spotless im Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2015, 128 S. 12,99 Euro

Erstmals wird ein Vergleich der so verschieden geprägten deutschen Politiker Ulbricht und Adenauer in einer Studie gewagt. Zu Recht fragt Benser gleich zu Beginn danach, ob solch ein Vergleich überhaupt möglich ist. Während dem viermal hintereinander zum Bundeskanzler gewählten Adenauer heute niemand den Status eines Staatsmanns versagt, haben die tonangebenden Medien von Ulbricht nur noch den Satz übrig gelassen, niemand habe die Absicht, eine Mauer zu bauen. Im Zuge einer Rezeption der Arbeiten von Peter Bender, Sebastian Haffner und Bruno Mahlow stimmt Benser schließlich Alfred Kosing zu, der Ulbricht für den bedeutendsten Staatsmann der DDR hält. Schon frühzeitig demonstrierten Adenauer und Ulbricht ihre eigene Handschrift. So etwa Adenauer in seiner Gegnerschaft zum sowjetischen Friedensvertragsvorschlag von 1952, dessen Ausloten er nicht zuließ. Zur gleichen Zeit überraschte Ulbricht mit seiner Initiative, auf der 2. Parteikonferenz der SED den Aufbau der Grundlagen des Sozialismus in der DDR zu verkünden, womit er die Sowjetunion an die DDR zu binden beabsichtigte.

Benser fragt auch nach ähnlichen Charakterzügen der beiden, die unter diametral entgegengesetzten gesellschaftlichen Verhältnissen und politischen Konstellationen zum Tragen kamen. Beide seien nicht konfliktscheu gewesen. Probleme wurden von beiden nicht eingenebelt, sondern auf den Punkt gebracht, und zwar mit dem Ziel, sie einer Lösung zuzuführen oder sie nach Prüfung als im konkreten zeitlichen Zusammenhang nicht lösbar anzuerkennen.

Adenauer und Ulbricht verfügten über die Fähigkeit, verwirrende Ereignisse auf einen einfachen Nenner zu bringen. Biografen heben Ulbrichts herausragendes Vermögen hervor, strategisch zu denken und zu handeln. Während Adenauer sich gefordert fühlte, die Außen- und Deutschlandpolitik zu gestalten, konnte er der sozialen Marktwirtschaft die Lösung konkreter ökonomischer und sozialer Probleme überlassen. Er musste allenfalls eine Anhäufung von sozialem Sprengstoff zu verhindern versuchen.

Ulbricht war demgegenüber auf ganz andere Art mit einem Vorstoß in Neuland konfrontiert. Er bediente sich dabei einer Reihe von Mitstreitern und Vertretern aus Wissenschaft und Kultur. Solcherart Beratung bei der Lösung seiner Aufgaben ist von Adenauer nicht überliefert. Der amerikanische Publizist Walter Lippmann fragte deshalb, ob man Adenauer ankreiden solle, dass die Deutschen unter ihm das geistesfeindlichste, das geistesunempfindlichste Regiment seit dem Soldatenkönig hatten.

Weder Adenauer noch Ulbricht waren in ihren strategischen Konzeptionen unverrückbar festgefahren. Golo Mann nannte Adenauer einen „graue(n), fromme(n) Fuchs.“ Für Rudolf Augstein war Ulbricht „ein wendiger Fuchs“, „ein sehr energischer und geschickter Mann und den meisten Führern des Ostblocks überlegen.“

Im Unterschied zu den Vollstreckern des DDR-Anschlusses hatte Adenauer in einen Memorandum vom September 1956 für den Fall der deutschen Einheit demokratische Prinzipien beschworen: „Die Bundesregierung ist der Überzeugung, dass freie Wahlen in ganz Deutschland, wie sie auch immer ausgehen mögen, nur den Sinn haben dürfen, das deutsche Volk zu einen und nicht zu entzweien. Die Errichtung eines neuen Regierungssystems darf daher in keinem Teil Deutschlands zu einer politischen Verfolgung der Anhänger des alten Systems führen.“ Benser fragt, ob sich Adenauer wohl an diese Zusicherungen gehalten hätte? Auch Ulbricht berief sich auf demokratische Prinzipien. Wolfgang Leonhard erinnerte an eine Weisung Ulbrichts beim Neustart 1945, alles solle demokratisch aussehen, aber die Kommunisten müssten alles fest in der Hand haben. Ob das wirklich so gesagt worden ist, sei dahingestellt, meint Benser, gedacht habe Ulbricht gewiss so.

Ausführlich beleuchtet Benser die Bewertung historischer Prozesse durch Adenauer und Ulbricht – von der Gründung des Deutschen Reichs 1871 über den Ersten Weltkrieg und die Weimarer Republik bis zum Zweiten Weltkrieg und dem antifaschistischen Widerstand. Beide waren sich bewusst, dass sie auf einem weit in die Vergangenheit zurück-reichenden historischen Boden standen und agierten. Bensers Studie ist spannend und regt zu weiterem Nachdenken an. So würde z.B. eine Betrachtung zur Haltung der beiden zum Tag des 17. Juni 1953, zur Idee einer deutschen Konföderation und dazu, wie ernst beide es mit der Wahrheit nahmen, vermutlich zu weiteren überraschenden Erkenntnissen führen. Die Ulbricht unterstellte „Jahrhundertlüge“ in Bezug auf den eingangs zitierten Satz über die „Mauer“ würde sich vermutlich selbst als Lüge herausstellen. Wie unseriös Adenauer mit der Wahrheit umzugehen pflegte, offenbaren vor allem seine Bundestags-Reden zu den sowjetischen Deutschlandnoten im Jahre 1952. In einer hoffentlich baldigen zweiten Auflage könnte auch darauf eingegangen werden.

Siegfried Prokop

Kulturbund 1945-1948

Siegfried Prokop / Dieter Zänker [Hrsg.], Einheit im Geistigen? Protokolle des Präsidialrates des Kulturbundes 1945-1948, Kai Homilius Verlag, Berlin 2015, 519 S., 22,95 Euro

Die Befreiung im Mai 1945 bedeutete das Ende der Nazibarbarei. Doch wie sollte es weitergehen? Wie konnte man mit der Last dieser zwölf Jahre im Rücken überhaupt noch nach vorn blicken? Was sollte man mit einer Bevölkerung anfangen, die sich nun zwar gern ahnungslos gab, letzten Endes aber aus Tätern, Mitläufern oder Angepassten auf der einen Seite und Gepeinigten und befreiten Opfern auf der anderen Seite bestand? „Die Mörder sind unter uns“ – so brachte es 1946 der Titel des ersten Nachkriegsfilms auf den Punkt. Was tun also mit diesem Erbe?

Über den Umgang mit Altnazis in der Bundesrepublik zwischen Adenauer und Achtundsechzig ist viel gesagt worden. Auch über den Umgang mit ihnen in der DDR wird spätestens seit 1989 diskutiert und geforscht. Der Streit verläuft hier zwischen jenen, die im „staatlich verordneten Antifaschismus“ einen Gewinn sehen und jenen, die ihn als Schimpfwort im Munde führen.

Diese Debatten sind hinlänglich bekannt und bis heute vom Kalten Krieg geprägt. Dessen Beginn wird häufig auf den 5. März 1946 datiert, den Tag, an dem Churchill in einer Rede den „Eisernen Vorhang“ erstmals öffentlich erwähnte. Weniger bekannt sind die Debatten zwischen Mai 1945 und der merklichen Spaltung zwischen Ost und West wenige Jahre später. Hier war gerade kurz nach Ende des Krieges mehr offen, als man heute gängigen Geschichtsbildern zufolge vermuten kann. Andererseits waren durch die Abkommen der Alliierten die Handlungsspielräume für den Aufbau eines neuen Deutschland nicht unbegrenzt.

Viele innen- und (vor allem) außenpolitische Faktoren bedingten das Handeln der damaligen Akteure. Einer davon war der am 3. Juli 1945 gegründete Kulturbund. Dessen Führung oblag einem Präsidialrat bzw. dem dort angegliederten Arbeitsausschuss. Die Protokolle der damaligen Zusammenkünfte haben nun Sieg-fried Prokop und Dieter Zänker editiert. Der dabei zustande gekommene Band setzt sich aus einer ausführlichen Einleitung und einer chronologischen Zusammenstellung der Präsidialratsprotokolle zusammen.

Zu Beginn wird das Selbstverständnis der Gründerväter (es waren fast ausschließlich Männer) dargestellt: „Der frühe Kulturbund war das beidseitig gewollte und in der deutschen Geschichte bisher einmalig dastehende Dialogforum von sozialistischen, christlichen, bürgerlichen und atheistischen Intellektuellen.“ (6) Der Präsidialrat konstituierte sich am 8. August 1945, zum Vorsitzenden wurde Johannes R. Becher gewählt. Bei der ersten Sitzung ging es um die zu schaffenden Strukturen für den Kulturbund, seine zu gründende Zeitschrift und den angegliederten neuen Aufbau-Verlag. Weitere Themen waren der Umgang mit Alt-Nazis, der Aufbau des Kulturbundes in Gesamtdeutschland und die Frage von Lizenzen für Exilliteratur. Als Arbeitsschwerpunkte setzte man sich selbst die Deutsche Einheit, die Einbindung der Öffentlichkeit in die Nürnberger Prozesse und eine Schulreform. Diskutiert wurde im Präsidialrat über vieles. Beispielsweise ging es um Formen von Demokratie, den Aufbau des neuen Deutschland (soll es föderalistisch sein oder nicht?) und die Frage, ob man „Reich“ oder besser „Deutschland“ sagen sollte.

Etwa ein Jahr nach der Gründung war aufgrund des starken Anwachsens der Organisation eine Neustrukturierung nötig geworden. Dem Präsidialrat wurde nun ein ständiger Arbeitsausschuss zur Seite gestellt. Zugleich wurde der Kulturbund in der SBZ wählbar – und somit im beginnenden Kalten Krieg im Westen argwöhnischer beäugt. Bereits im Mai 1947 beklagte man sich in den Protokollen über Behinderungen der eigenen Arbeit im Amerikanischen Sektor Berlins. Im Sommer 1948 zeichnete sich schließlich eine endgültige Orientierung des Kulturbundes hin zu „den Völkern, die den Krieg […] nicht“ wünschen, ab. Zur ersten großen Zäsur kam es im September 1948, als in Abwesenheit der Vizepräsident und das Gründungsmitglied Ferdinand Friedensburg rausgeworfen wurde, da er Westberliner Politik mit verantwortete. Er bekam keine Möglichkeit einer Rechtfertigung oder Verteidigung. Friedensburgs Präsidiumskollege Robert Havemann bedauerte die Art und Weise des Rauswurfes (S. 496). Andere Mitglieder verließen aus Protest den Kulturbund.

Apropos Havemann: Im umfangreichen, aber dennoch lückenhaften Personenverzeichnis wurde nicht nur Stalin vergessen, es fehlt leider auch der Name Havemanns, obwohl er im Buch häufiger genannt und auch bei den biographischen Angaben zu den wichtigsten Personen aufgeführt wird. Bekanntlich war er nicht nur im Kulturbund aktiv, sondern fungierte bis Anfang der 60er Jahre als Mehrfachfunktionär in etlichen Leitungspositionen von Wissenschaft, Staat und Partei. Nach seinem Bruch mit der SED-Führung und der Entlassung aus allen Ämtern avancierte er ab Ende der 60er Jahre zum bekanntesten „Dissidenten“ der DDR. Seine Forderungen, die er über die Westmedien zu verbreiten sich gezwungen sah, zielten auf einen demokratischen Sozialismus mit verwirklichten Bürger- und Menschenrechten. Seine frühen Äußerungen aus den Kulturbundprotokollen sind vor dem Hintergrund dieser späteren Entwicklung sehr interessant – allerdings weniger verfänglich, als man vermuten könnte.

Wo taucht Havemann also im Buch auf? Zunächst wird er bei der Auflistung der am 12. Februar 1946 in den Präsidialrat Gewählten genannt. Auch findet Erwähnung, dass ihn Becher erfolgreich für die Wahl in den Präsidialausschuss vorschlug. (174 ff.) Im Juli 1946 wurde über die Frage diskutiert, ob der Kulturbund bei Wahlen antreten soll. Im Protokoll heißt es: „Prof. Havemann äußert, es könnte von vielen Personen begrüßt werden, wenn ein überparteilicher Bund Kandidaten aufstellt, von denen sie wissen, dass sie überparteilich sind. Das sei durchaus vertretbar, und in einigen Jahren würde der Verdacht, zu einer bestimmten Partei zu gehören, nicht mehr auf den Kulturbund fallen.“ (185) Er konnte sich mit diesem Standpunkt nicht durchsetzen, und es fiel einstimmig der Beschluss, nicht anzutreten. Ob aus politischem Kalkül oder aus Überzeugung: Havemann forderte schon 1946 eine überparteiliche Wahlalternative zur frisch gegründeten SED.

In einer Diskussion über die Lage der Jugend meinte Havemann, dass diese keine Ideologie, sondern lieber Wissen erwerben wolle. Hier müsse der Kulturbund agieren und eine Demokratisierung unterstützen. Als Problem sah er hierbei die Besatzungsmächte, gegen die sich „national revolutionäre Gedanken“ entwickeln würden. Die Bekämpfung der NS-Ideologie jedoch, die vielen Jugendlichen in den zwölf Jahren indoktriniert wurde, sah er als wichtige Aufgabe. Es müsse alles getan werden, „um den Schutt der reaktionären Ideologie“ zu beseitigen und über Demokratie zum Sozialismus zu kommen. Dazu sei auch die inhaltliche Abarbeitung an reaktionären Theoretikern nötig: „Man müsse sich auch mit solchen Menschen wie Jünger auseinandersetzen, öffentlich mit ihnen diskutieren und sie nicht totschweigen. Die wenigen wirklichen Demokraten müssten sich ganz klar von der Besatzungsmacht distanzieren, ohne damit natürlich in eine Angriffsstellung zu gehen.“ (203)

Die öffentliche Abgrenzung von den Besatzungsmächten zum Zwecke des Loyalitätsgewinns in der Bevölkerung hielt Havemann auch zwei Jahre später noch für wichtig. Vor dem Hintergrund des beginnenden Kalten Krieges forderte er am 12. November 1948, dass der Kulturbund seine Überparteilichkeit verdeutlichen müsse. Es solle die Unabhängigkeit von der sowjetischen Besatzungsmacht öffentlich gezeigt und für Freiheit und Unabhängigkeit eingetreten werden. (494 f.)

Havemann zählte also schon kurz nach dem Krieg nicht zu den Hardlinern, auch wenn er sich selbst rückblickend auf diese Zeit als Stalinisten bezeichnete. Dass sich ein solch eigenwilliger Kopf später nicht der Führung Ulbrichts dauerhaft unterordnen konnte oder wollte, erscheint in der Rückschau fast schon unvermeidlich.

Die Protokolle zeigen auf, dass die Intellektuellen im Präsidialrat bemüht, aber in ihrem Handeln durch externe politische Interessen zunehmend eingeschränkt waren. Inwieweit der Kulturbund anfangs tatsächlich völlig neutral und unabhängig war, wird wohl umstritten bleiben. Exemplarisch hierfür sind sicherlich die Überlegungen des Kommunisten Havemann zur strategischen Überparteilichkeit der Organisation. Allerdings handelte es sich mit ziemlicher Sicherheit in den Anfangsjahren beim Kulturbund nicht um eine von Moskau fremdgesteuerte Institution zur „Rotlichtbestrahlung“ oder politischen Instrumentalisierung von Intellektuellen – das geht aus den sehr lesenswerten Protokollen eindeutig hervor.

Alexander Amberger

Unvernunft im Überbau

Detlef Kannapin, Vernunft im Abseits. Aufsätze zum Studium des Klassenkampfs, Aurora Verlag, Berlin 2015, 350 S., 20 Euro.

Klassenkämpfe gibt es auf der Ebene der Betriebe wie auch auf der des Überbaus. Mit letzteren befasst sich der Berliner Filmhistoriker, Politiktheoretiker und Philosoph Detlef Kannapin. Schon der Titel, „Vernunft im Abseits“, deutet dabei an, dass auch im Überbau der Klassenkampf zurzeit vor allem von oben geführt wird. Infolgedessen räumt Kannapin der ideologiekritischen Auseinandersetzung mit Agenten der Unvernunft breiten Raum ein.

Dies geschieht auf sehr unterschiedliche Weise. Der umfangreichste Text des Bandes ist Hans-Dieter Schütt gewidmet. Vor 1989 Chefredakteur der „jungen Welt“, gehörte Schütt zu denjenigen, die die DDR so platt verteidigten, dass dies eher einer Rufschädigung gleichkam. Danach gelang ihm eine öffentlichkeitswirksame Reuebekundung, die ihm eine Fortexistenz als Feuilletonchef des „Neuen Deutschland“ sicherte. Andere Leute hätten es damit gut sein lassen und ihre Arbeit gemacht. Das Besondere an Schütt ist dagegen, dass er gar nicht mehr anders kann als jedes neue Buch und jede neue Theaterinszenierung zum Anlass zu nehmen, den Sozialismus ein weiteres Mal zu verfluchen. Kannapins Technik besteht nun darin, im Anschluss an die Sprachkritik von Karl Kraus die verschwurbelten Formulierungen Schütts auf ihren gesellschaftlichen Gehalt zurückzuführen und auf diese Weise das Ideal eines opportunistischen Feuilletonisten im Spätimperialismus vorzustellen.

Zur Polemik, die Spaß bereitet, tritt bei Kannapin die eingehende philosophische Auseinandersetzung. Den ersten Teil des Buches, „philosophische Grundlagen“, eröffnet der Essay „Die Vernunft spielt im Garten“, der auf 35 Seiten einen so substanziellen wie vernichtenden Überblick über die gegenwärtige Philosophie gibt. Leitbegriffe sind hier „Krise und Verfall“; sie zeigen sich insbesondere in der Philosophie der Postmoderne, die keine Wahrheit mehr wissen will und deren Konjunktur Kannapin überzeugend mit dem Abschied vom fordistischen Wohlstandsmodell verbindet. Doch auch die Systemtheorie wie der amerikanische Pragmatismus, mögen sich deren Vertreter auch fortschrittlich wähnen, blenden ein Anderes jenseits der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft systematisch aus. Hier ergeben sich Bezüge zu Kannapins Essay „Die Gegenwärtigen“, einer Typologie von Verhaltensweisen in der gegenwärtigen Gesellschaft, in der zynisch, privatisierend oder hilflos reparierend die Verhältnisse im Grundsatz akzeptiert werden.

In der Einleitung gibt es allerdings auch Denker, denen Kannapin Relevanz zubilligt. Das gilt für Giorgio Agamben, wenn dieser in der Konsequenz Carl Schmitts den Ausnahmezustand als Leitbegriff des modernen Staatswesens erfasst und damit eine Tendenz, die mit der zunehmenden Einschränkung bürgerlicher Freiheitsrechte besonders nach 2001 mit dem Begriff der Postdemokratie bezeichnet wurde. Neben Boris Groys als Interpret des sozialistischen Realismus nennt Kannapin hier wie auch sonst Slawoj Žižek, der Lenin weiterzudenken versucht. Doch findet er auch dort eine postmodern geprägte Anti-Systematik, die der Überführung des Gedachten ins Praktische entgegensteht, und eine theologische Überhöhung der Philosophie, die letztlich antipolitisch ist. Andernorts stellt Kannapin heraus, dass sich Žižek auf kein Parteimodell festlegen mag.

In mehreren kurzen Beiträgen erledigt Kannapin kleinere Denker oder Nicht-Denker wie Peter Sloterdijk; das liest man vergnügt. Instruktiv sind die mediengeschichtlichen Aufsätze. In „Zur politischen Ästhetik des Films“ lernt man, was man irgendwie schon wusste, aber nicht so genau formulieren konnte: weshalb, wie und mit welchem Ertrag Spielfilme als historische Dokumente interpretiert werden können. Beiträge zum traurigen Stand von Filmkritik und medienwissenschaftlicher Theorie ergänzen diesen Teil des Buches. Wie Kannapin im philosophischen Abschnitt das Uneingelöste der Philosophie von Hegel und Marx hervorhebt und damit einen Wissenstand, an den anzuknüpfen die imperialistische Philosophie sich weigert, so benennt er medientheoretisch das in der DDR Erreichte, von dem man heute nichts mehr wissen mag. Dafür stehen wissenschaftlich die Namen Georg Klaus, Lothar Bisky und Peter Hoff. Sie unternahmen, wie jetzt Kannapin, etwas, was aus Sicht der meisten heute gängigen Theoretiker als Inhaltismus abgewertet wird: Den Gehalt von Filmen in ihrem gesellschaftlichen Zusammenhang zu begreifen.

Als Sammlung von zwischen 1995 und 2015 entstandenen Beiträgen, von denen besonders die früheren nur noch schwer greifbar sind, überzeugt also das Buch. Die Frage ist aber, ob sich übergreifende Gedanken finden lassen, die das Ganze zu einer produktiven Einheit machen. Darauf gibt es zwei Antworten.

Zum einen greift Kannapin immer wieder auf das zurück, was vor 1989 in sozialistischen Gesellschaften erreicht war – nicht im Sinne nostalgischer Verklärung, sondern um einen einmal erreichten Stand von Vernunft zurückzugewinnen und das Instrumentarium für heute zu nutzen. Dabei gelingt ihm eine originelle Rekonstruktion des heute auch unter Linken verpönten sozialistischen Realismus. In dem Artikel „Warum hat André Breton Alexander Fadejew nicht verstanden?“ wird die Titelfrage bewusst nicht beantwortet (es ist nicht einmal geklärt, ob der französische Surrealist den sowjetischen Vertreter des sozialistischen Realismus jemals gelesen hat). Vielmehr stehen beide für gegensätzliche Typen einer sich als revolutionär verstehenden Kunst.

Dabei blieben westliche Künstler – auch wenn sie den Anspruch hatten, die Grenzen zur Politik und zum Alltagsleben zu überschreiten – doch immer im wesentlichen Künstler. Der sozialistische Realismus dagegen war untrennbar mit dem staatlich gelenkten Aufbau einer neuen Ordnung verbunden, kann also nicht nach bloß ästhetischen Maßstäben be- und gegebenenfalls abgeurteilt werden.

Damit verbunden ist die Sicht auf die Stalinzeit. Hier wendet sich Kannapin dagegen, wie die bürgerliche Geschichtsschreibung ausschließlich „Massenterror, irrationale Gewalt und politische Hysterisierung“ zu sehen. Es geht ihm dabei nicht darum, all dies zu verleugnen oder kleinzureden. Vielmehr geht es ihm um ein historisches Verständnis, denn nur ein solches verhindert die Wiederholung von Fehlern. 1947 entschied Stalin, dass Sergej Eisenstein auch einen dritten Film zu „Iwan dem Schrecklichen“, der unter dem Motto „Nicht reinwaschen, sondern erklären“ gestanden hätte, drehen sollte. Der Tod des Regisseurs Anfang 1948 verhinderte das Projekt, das Kannapin als Hinweis darauf sieht, dass bereits die damalige sowjetische Führung die Notwendigkeit verstanden hatte, die Ereignisse aufzuarbeiten. Dazu aber ist statt moralischen Abscheus Kontextualisierung notwendig und damit auf die mehrfachen Versuche der sowjetischen Führung – hier folgt Kannapin Domenico Losurdo – innenpolitisch Normalität herzustellen, die mehrfach durch innere wie äußere Krisen vereitelt wurden. Der terroristische Eingriff war, so Kannapin, nicht angemessen, muss allerdings vor dem Hintergrund betrachtet werden, dass die Westmächte lange Zeit einem Bündnis mit dem Faschismus zuneigten und die staatliche Souveränität der Sowjetunion unter diesen Bedingungen zu sichern war.

Dies führt zur zweiten Antwort, der Rolle des Staats, der bis heute und auf absehbare Zeit unter sozialistischen wie kapitalistischen Bedingungen von zentraler Bedeutung ist. Die modernen Massenmedien sind im Buch stets an den Staat rückgekoppelt, dessen „wichtigste Ausführungs- und Anrufungsorgane“ sie sind. Das vorgestellte ideologische Personal wird unter dem Gesichtspunkt beurteilt, für welchen Staat es taugt.

Relativ unumstritten dürfte in diesem Zusammenhang sein, dass der bestehende Staat der der herrschenden Klasse ist. Daran, dass dieser Staat immer noch handlungsfähig ist, lässt Kannapin in seiner Abfertigung der illusionistisch-postmodernen Vorstellungen von Michael Hardt und Antonio Negri keinen Zweifel. Kontroverser dürften Kannapins Thesen sein, nach denen das Verhältnis von Staat und Revolution immer noch den „Hauptkonflikt der gesellschaftlichen Entwicklung umschreibt“ und der Staat im Sozialismus und möglicherweise darüber hinaus notwendig bleibt, das Verhältnis der Einzelner zur Gesellschaft zu regeln.

Diese Gedanken bleiben, wie Kannapin selbst eingesteht, skizzenhaft. Er verspricht dazu eine Monographie, die hoffentlich bald entsteht.

Kai Köhler

Was tun gegen den Treibhauseffekt?

Hans-Joachim Schellnhuber, Selbstverbrennung. Die fatale Dreiecksbeziehung zwischen Klima, Mensch und Kohlenstoff. C. Bertelsmann, München 2015, 784 S., 29,99 Euro.

Schellnhuber ist Physiker, Klimaforscher, Direktor des von ihm gegründeten Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung PIK und des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen WBGU, Mitwirkender an zentraler Stelle bei den jährlichen globalen Klimakonferenzen, Träger einer Vielzahl von Auszeichnungen.

„Dieses Buch handelt von der größten Geschichte aller bisherigen Zeiten“ (3), der Geschichte der drohenden Katastrophe für die menschliche Zivilisation durch eine unbeherrschbar werdende Klimaänderung. Das Verbrennen fossiler Energieträger vergleicht Schellnhuber mit dem Freisetzen eines Flaschengeistes, der von den unvorsichtigen Zauberlehrlingen, der menschlichen Zivilisation, kaum mehr gebannt werden kann. Durchaus pathetisch („in diesem Augenblick offenbarte sich mir die Erde in einer geradezu beängstigenden Schönheit“; 15) und durchaus sehr von sich selbst überzeugt („an einem Spätsommervormittag im Jahr 1993 schrieb ich – möglicherweise – Weltgeschichte“; 446; „damit war [durch Schellnhuber] eine Begrifflichkeit geboren, die rasch Weltkarriere machte“; 501) verfasst Schellnhuber auf über 700 Seiten eine eindringliche Streitschrift gegen die weitere Zerstörung des bisher gewohnten Klimaverhältnisse. Das Buch ist ein episches Werk: Es ist gleichzeitig ein Sachbuch und eine Autobiographie, die Ausbreitung reichhaltiger Argumente und von Anekdoten aus der oft bizarren Welt der Klimadiplomatie, es erzählt die Genese der Klimawissenschaft und die PIK-Anfangstage in Baracken, die Klimaentwicklung der Welt in Jahrmillionen und seit der Industrialisierung, es schildert die Zusammenarbeit mit berühmten Forschern und die Auseinandersetzung mit Autoren, die den Treibhauseffekt leugnen.

Schellnhubers Motiv für Klimaschutz ist, „dass es in der 4-Grad-Zukunft ungemein schwer werden würde, 10 oder 11 Milliarden Menschen ein lebenswürdiges Dasein zu sichern“ (130). Und ohne Klimaschutz ist sogar ein Anstieg des Temperaturniveaus nach 2100 um 6, 8 oder sogar 10 Grad möglich. Die Folgen wären verheerend, wie Schellnhuber ausführlich darstellt: von den dramatischen Verwerfungen bei der Bodenfruchtbarkeit und der Wasserverfügbarkeit bis hin zu den Kipppunkten: Ereignissen, die durch die Erwärmung ausgelöst werden und die kaum oder gar nicht mehr rückgängig gemacht werden können, etwa der Zusammenbruch der großen ozeanischen Meeresströmungen im Pazifik und Atlantik (Golfstrom), das Abschmelzen des arktischen Meereises und der Eismassen in Grönland und in der Antarktis, das Auftauen der Permafrostgebiete und der Methanhydrate im Ozean, das Verdorren des Amazonas-Regenwaldes, der Zusammenbruch der tropischen Korallenwelt.

Schellnhuber hält drei Antworten auf diese Bedrohung der menschlichen Entwicklung für prinzipiell denkbar. Zum einen Anpassung: Sie scheint die billigste Antwort zu sein. Deiche neu errichten, Dämme höher bauen, ein paar Tausend Südseeinsulaner umsiedeln. Schellnhuber zeigt, dass Anpassung auf Dauer extrem teuer ist: Milliarden Menschen müssen aus Küstengebieten umgesiedelt, die Städte voll klimatisiert, das Nahrungsmittelsystem komplett umgebaut werden; ein Riesenausmaß an transnationaler Kooperation und an grenzüberschreitender Solidarität wäre nötig (Stichwort Klimaflüchtlinge, Klimakriege). Die zweite Antwort ist Geoengineering, Klimamanipulation. Darunter versteht man etwa das Ausbringen von Schwefelaerosolen in der oberen Atmosphäre, um die Sonneneinstrahlung in den Weltraum zurück zu reflektieren, oder ein großflächiges Düngen der Ozeane, um das Algenwachstum anzureizen und dadurch die Kohlendioxid-Absorption im Meer zu steigern. Für Schellnhuber sind das höchst unsichere (und teilweise extrem teure) Methoden hinsichtlich ihrer Wirkungen und Nebenwirkungen. Womöglich tauscht man nur die Großrisiken aus oder verdoppelt sie sogar.

Bleibt als dritte Antwort die Vermeidung. „Aus physikalischer, technischer und ökonomischer Sicht ist es durchaus noch möglich, die Erderwärmung unter 2 Grad zu halten.“ (473) Die schlimmsten Auswirkungen könnten so noch vermieden werden. Allerdings ist dazu einiges Glück und vor allem ein hohes Maß an Tatkraft nötig. Es gibt eine Vielzahl von Maßnahmen, die effizient zur Vermeidung beitragen können. Die Umstellung auf regenerative Energieträger, das Ausnutzen der vielfältigen und in der Summe riesigen Energieeinsparmöglichkeiten, ein neues Mobilitätskonzept, das Prinzip der Wiederverwendung und Abstriche beim Luxuskonsum stehen im Zentrum dieser Anstrengungen. Vermeidung hat allerdings leider den Nachteil, dass sie anfangs teuer ist, dass sie hohe Investitionen erfordert in die neuen, alternativen, klimaschonenden Systeme, dass noch viel Forschung nötig, aber auch viel Wissensgewinn möglich ist für einen besseren Übergang zur Nachhaltigkeit. Das passt grundsätzlich nicht in ein marktwirtschaftliches System mit seiner individuellen Gewinn- und Umsatzmaximierung. Schellnhuber drückt das als die Diktatur des Jetzt aus: Aufgrund der jeweils aktuellen Marktzwänge, der internationalen Konkurrenz der Konzerne und Staaten, der Vielzahl von Bedürfnissen und Notwendigkeiten könne man es sich heute nicht leisten – so die Argumente, mit denen er konfrontiert wird –, in Nachhaltigkeit zu investieren und dadurch die momentanen wirtschaftlichen Belastungen noch weiter zu erhöhen. Aber morgen, morgen wird das findige und pfiffige Marktsystem alle unsere Probleme im Selbstlauf lösen. Das ist gut beobachtet, und man kann den Ärger des Physikers gut nachvollziehen über die Ökonomen, mit denen er konfrontiert ist, und die seine Klimadringlichkeit mit, aus seiner Sicht, unwissenschaftlichen Einwänden belasten.

An dieser simplen Profitgier und Nutzenmaximierung kommt Schellnhuber nicht vorbei. So bleibt ihm nur der Appell an die individuelle Moral: „Ganz normale, aber wertgeleitete Menschen passen nicht in die Vorstellungswelt der Kosten-Nutzen-Analysen des Klimawandels. Das ist meine Hoffnung.“ (645) Beginnen müssten die Reichen, die Topmilliarde der Weltbevölkerung. Der Kernpunkt und eigentlich das einzige herausgearbeitete Instrument ist die Divestment-Bewegung: der Aufruf, alle Kapitalanlagen aus der Fossilindustrie, speziell aus den 200 kapitalstärksten Konzernen, zurück zu ziehen. Schellnhuber konstatiert einen „atemberaubenden Erfolg“ (662), bereits 1000 Investoren hätten sich schon angeschlossen (Kommunen, reiche US-Universitäten, kirchliche Stellen). Und diese Kapitalflucht aus der Fossilwirtschaft werde gelingen, weil „inzwischen bessere Anlagemöglichkeiten existieren“ (665).

Das ist nun leider ein wirklich winziger Sprung nach einem so riesigen und langen Anlauf durch die Geschichte der Menschheit und der Klimawissenschaft. Es gibt keinerlei Diskussion darüber, wie denjenigen Reichen, die der Appell an die Moral kalt lässt, die Macht weggenommen werden kann, Regeln zu setzen und ihren Weg zu gehen zur weiteren Forcierung der Klimazerstörung. Stattdessen kommt die Mahnung, angesichts der Dringlichkeit des Klimaschutzes bleibe für Klassenkampf derzeit keine Zeit (704).

Schellnhuber diskutiert nicht einmal eine ordentliche Besteuerung von Kohle, Öl und Gas, um mit diesem wohlerprobten marktwirtschaftlichen Instrument die Fossilnachfrage zu senken. Und er diskutiert auch nicht den notwendigen Umbau der Ener-giewirtschaft in Richtung Dezentralisierung und Demokratisierung. Mit den öffentlichen Unternehmen Stadtwerke haben wir prinzipiell die Instrumente, um demokratisch gesteuert und ohne den unmittelbaren Zwang zur Profitmaximierung Pflö cke zu setzen in die Energiewirtschafts-Landschaft, die Erneuerbaren zu fördern und zu forcieren, Kompetenzzentren aufzubauen für alle Arten

rationeller Energienutzung und Dämmung, im Stadtwerkeverbund Forschung zu fördern und durchzuführen nicht für Konzernzwecke, sondern für Klimaschutz, und diese Techniken auch international armen Ländern ohne prohibitive Lizenzzahlungen zur Verfügung zu stellen. Schellnhuber sollte sich ein paar kreative Ökonomen jenseits des neoliberalen Mainstreamlagers ans PIK holen. Dann könnte sein herausragendes Werk die dringend notwendige kongeniale Ergänzung finden.

Franz Garnreiter

1[7] „Jeder muss sich ständig irgendwo integrieren“ - Migration ist so alt wie die Menschheit; ein Gespräch mit Jochen Oltmer (URL: http://zeitzeichen.net/archiv/interview/jochen-oltmer-normalfall-migration/).

2[8] Daneben erfolgten auch Beschränkungen der Aufnahmequoten (1921 in den USA; 93) oder gar ein Aufnahmeverbot bestimmter Migrations-Gruppen durch staatliche Stellen (1901 in Australien; 50).

[1][9] Ralf Hoffrogge, Richard Müller. Der Mann hinter der Novemberrevolution, Berlin 2008.

[2][10] Gerhard Engel, Richard Müller – Obmann der Revolution, in: Z 77 (März 2009), S. 202-204.

[3][11] Vgl. Gerhard Engel, Bärbel Holtz, Ingo Materna (Hrsg.)., Groß-Berliner Arbeiter- und Soldatenräte in der Revolution 1918/19. Dokumente der Vollversammlungen und des Vollzugsrates. Vom Ausbruch der Revolution bis zum 1. Reichsrätekongreß, Berlin 1993, S. XII.

[4][12] Detailliert dokumentiert bei Harald Jentsch, Die KPD und der „deutsche Oktober“ 1923, Rostock 2005, S. 271-492.

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