Buchbesprechungen

Neues zur Arbeitswerttheorie

von Pertti Honkanen zu Nils Fröhlich
März 2011

Nils Fröhlich, Die Aktualität der Arbeitswerttheorie. Theoretische und empirische Aspekte, Marburg 2009, Metropolis-Verlag, 290 Seiten, 38,- Euro

Nils Fröhlich hat ein umfassendes, aktuelles und gleichzeitig kompaktes Buch mit neuen Einsichten zur Arbeitswerttheorie geschrieben. Ein besonderes Merkmal seines Buches ist, dass er alle bedeutenden Ausgangspunkte der theoretischen Diskussion und Lösungsvarianten des so genannten Transformationsproblems behandelt – nicht nur einzelne Aspekte, wie üblich. Dabei werden sowohl theoretische als auch empirische Aspekte der Diskussion ausgearbeitet. Das Buch enthält eine interessante Analyse der aktuellen Wertverhältnisse unter Nutzbarmachung der Wirtschaftsstatistik der Bundesrepublik Deutschland.

Fröhlich beginnt sein Buch mit einer historischen Übersicht zur Entstehung der Arbeitswerttheorie. Ausgangspunkt sind die Klassiker Petty, Smith und Ricardo. Prämissen, Logik und Schlussfolgerungen der marxschen Werttheorie werden kurz und klar behandelt; auch die Wertformproblematik wird berührt. Das zweite Kapitel „Konzeptionelle Grundlagen der Arbeitswerttheorie“ enthält auch einen kritischen Vergleich der Grundlagen der subjektiven Werthlehre mit der Arbeitswerttheorie. Gesondert wird die Frage der produktiven und unproduktiven Arbeit erläutert.

Dies alles ist aber nur Vorspiel zum analytischen zweiten Teil des Buches, wo die verschiedenen theoretischen und mathematischen Modelle und Diskussionen der letzten Jahrzehnte behandelt werden. Der Autor beginnt mit den mathematischen Grundlagen in einem Kapitel über das Leontief-Modell. Hier werden die wesentlichen Eigenschaften der linearen Produktionsmodelle charakterisiert und die mathematischen Werkzeuge dargelegt. Arbeitswerte sind, mathematisch dargestellt, nichts anderes als vertikal integrierte Arbeitskoeffizienten, dass heißt Summen aus dem direkten und indirekten Arbeitsaufwand, der gesellschaftlich zur Fertigung einer Ware erforderlich ist.

Anschließend werden in getrennten Kapiteln die verschiedenen Ansätze analysiert: die so genannte traditionelle Arbeitswerttheorie (Bortkiewicz, Morishima, Seton u. a.), die neoricardianische Theorie, in der Arbeitswerte als ein überflüssiger Umweg betrachtet werden (u.a. Steedman) sowie neuere Entwicklungen, zu denen Fröhlich die so genannte „New Solution“ (Foley, Duménil, Lipietz u.a.), das Preisdekompositions-Modell (Shaikh), den probabilistischen Ansatz (Farjoun und Machover), die „hundertprozentige Arbeitswerttheorie“ (Helmedag) und die „Temporal Single System Interpretation“ (Kliman, Freeman, McGlone) zählt. Erfreulich ist, dass Fröhlich seine Übersicht nicht mit der neoricardianischen Theorie beendet, sondern auch die aktuellen Lösungsvarianten behandelt, die man seit den 1980er Jahren in marxistischen Kreisen diskutiert.

Dieser Teil des Buches erfordert mathematische Kenntnisse und ist nicht leicht für den „nicht-professionellen“ Leser. Immer aber ist die Argumentation von Fröhlich klar und verständlich und er beurteilt in überzeugender Weise die Vorteile und Nachteile, die starken und schwachen Seiten der verschiedenen Interpretationen. Im Laufe der Argumentation wird klar, dass der Autor am meisten mit dem ziemlich originellen Ausgangspunkt von Shaikh sympathisiert. Sein Ausgangspunkt ist, dass man jeden Preis in drei Teile zerlegen kann: Materialkosten, Lohnkosten und Profite. Weil die Materialkosten analog zerlegt werden können, zerfällt letztlich jeder Preis in zwei Teile, den „vertikal integrierten“ Lohn und den „vertikal integrierten“ Profit. Die Lohnkosten hängen vom Arbeitsaufwand ab. Wäre die Lohn-Profit-Rate einheitlich, entsprächen die Preise den Arbeitswerten. In Wirklichkeit modifizieren die verschiedenen sektoralen Lohn-Profit-Raten diesen einfachen Zusammenhang. Die Schlussfolgerung von Shaikh ist, dass die Variationen der Lohn-Profitrate nur geringfügig auf das Verhältnis der Preise zu den Arbeitswerten wirken. Das so genannte Transformationsproblem ist nach Shaikh überschätzt: Der Zusammenhang von Marktpreisen und Arbeitswerten ist stärker als üblicherweise angenommen.

Fröhlich kritisiert die so genannte „New Solution“, weil sie seiner Ansicht nach kein inhaltliches Problem lösen kann. Dazu fehlen Aussagen über die einzelwirtschaftlichen Kausalzusammenhänge, die die Wert- und die Preisebene miteinander verknüpfen. Dem kann man zustimmen, aber vielleicht ist es doch etwas übertrieben zu sagen, dass die „New Solution“ zur Weiterentwicklung der Arbeitswerttheorie keinen Beitrag leisten kann. Auch Fröhlich gibt zu, dass es mit Hilfe der „New Solution“ möglich ist, gesamtwirtschaftliche Implikationen der Arbeitswerttheorie unter Verwendung der Daten der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zu überprüfen.

Mit guten Gründen kritisiert Fröhlich die „hundertprozentige Arbeitswerttheorie“ von Helmedag („Warenproduktion mittels Arbeit“, Marburg 1994). Er erklärt, dass die Schlussfolgerungen von Helmedag auf speziellen Prämissen basieren und dass dessen Modell nicht für empirische Überprüfungen geeignet ist. Auch scheint mir die Kritik der „Temporal Single System Interpretation“ berechtigt zu sein, die die mathematischen Modelle wortwörtlich mit dem Text von Marx im Dritten Band des „Kapital“ in Einklang zu bringen versucht. Fröhlich bemerkt, dass die zentralen Schlussfolgerungen der „Temporal Single System Interpretation“ auf willkürlichen Annahmen basieren. Zu diesen Annahmen gehört, dass eine Geldeinheit einer Arbeitsstunde genau entspricht.

Die wirkliche originelle Leistung des Buches ist eine empirische Analyse mit Hilfe von Input-Output-Tabellen für die deutsche Wirtschaft 2004. Zuerst fragt Fröhlich, ob es zulässig ist, diese Tabellen für Arbeitswert-Analysen zu benutzen, da die physischen Warenmengen in diesen Tabellen fehlen. Die Tabellen sind aus sektoralen Preissummen zusammengesetzt – individuelle Warenmengen oder Preise sind nicht in ihnen enthalten. Fröhlich geht davon aus, dass es zulässig ist, die vertikal integrierten Lohnkosten der volkswirtschaftlichen Sektoren als Preisausdruck ihrer sektoralen Arbeitswerte zu interpretieren. Er stellt sich die Aufgabe, mit statistischen Methoden zu überprüfen, wie gut die relativen sektoralen Preissummen dem relativen direkten und indirekten sektoralen Arbeitsaufwand entsprechen.

Fröhlich präsentiert vier empirische Modelle, die er mit statistischen Methoden testet. Modell A1 ist Helmedags „hundertprozentige Arbeitswerttheorie“, das heißt ein Modell, in dem ein direkter Zusammenhang von Arbeitswerten und Marktpreisen angenommen wird. Modell A2 ist das Modell von Shaikh, Modell A3 ein präzisiertes Modell nach Shaikh unter Berücksichtigung von Kapitalkoeffezienten und sektoralen Lohn-Profit-Raten. Hier wird eine Verzerrung des direkten Zusammenhangs angenommen. Modell N testet die neoricardianische Theorie, d.h. die Idee, dass die durchschnittliche Profitrate einen großen Einfluss auf die Marktpreise hat. Fröhlich ist nicht der erste Forscher, der solche statistischen Wertkalkulationen macht, aber die Vielfältigkeit der Modelle und seiner Kalkulationen ist bemerkenswert.

Alle Modelle haben eine ziemlich starke Erklärungskraft. Die Elastizität im Verhältnis von Preisen und Arbeitswerten beträgt wenigstens 0,9. Man kann von einer 90-prozentigen Arbeitswerttheorie sprechen. oder von einer „93-prozentigen“ wie Ricardo. Die beste Aussagekraft hat das Modell von Shaikh, wenn Fixkapital und sektorale Lohn-Profit-Raten in Betracht gezogen werden. Dann ist diese Elastizität genau = 1. Das heißt, dass einer 1-prozentigen Veränderung von Arbeitswerten eine 1-prozentige Veränderung von Preisen entspricht. Die empirischen Rechnungen zeigen, dass Marktpreise zu den Arbeitswerten in einem hochgradigen Abhängigkeitsverhältnis stehen. Man kann sagen, dass die Arbeitswerte die Gravitationszentren der Marktpreise darstellen.

Auch das neoricardianische Modell scheint eine ziemlich hohe Erklärungskraft zu haben, aber das Problem der Neoricardianer besteht darin, dass dieses Modell die Marktpreise empirisch nicht besser erklärt als die arbeitswerttheoretischen Modelle. Und überdies entspricht die zentrale Annahme einer einheitlichen Profitrate in der neoricardianischen Theorie, den Berechnungen von Fröhlich zufolge nicht der Wirklichkeit.

In seiner Zusammenfassung schreibt Fröhlich, dass „das Wertgesetz – also die Annahme, Marktpreise werden letztlich durch Arbeitswerte determiniert – einen leistungsfähigen Ansatz zur Erklärung des modernen Kapitalismus darstellt“ (S. 23). Er kommt zugleich zu der Schlussfolgerung, dass die neoricardianische Theorie mit diesen statistischen Berechnungen in Schwierigkeiten gerät.

Fröhlichs Studie stellt eine Zusammenfassung der Diskussionen zu Arbeitswerttheorie und Transformationsproblem dar. Der Autor ist sehr gut mit der internationalen Entwicklung und dem Stand der Diskussionen vertraut. Dennoch ist es auch klar, dass diese Diskussionen fortgesetzt werden müssen. Z.B. sollte man genauer analysieren, wie der Wert der Ware Arbeitskraft mathematisch modelliert werden soll. Bei Fröhlich bleibt diese Frage offen: Der Lohn wird in den meisten mathematischen und statistischen Modellen nur als eine Geldsumme behandelt und der Arbeitsaufwand mit Hilfe von Lohnsummen gemessen. Es fehlt hier auch der dynamische Aspekt. Die Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit verändert die Arbeitswerte ständig und ist die Grundlage des ökonomischen Wachstums und seiner Widersprüche im Kapitalismus. Dieser Aspekt der Werttheorie wird sehr selten behandelt und das Buch von Fröhlich macht in dieser Hinsicht keine Ausnahme.

Pertti Honkanen